Der Standard

DANEBEN GEHEN

Die Kolumne von Christian Schachinge­r

- Neues von der Discokugel

Jedes Mal, wenn ich etwas melancholi­sch werde, weil sie im Fernsehen oder im Radio gerade wieder die Reizwörter Clubkultur, Live-Events und meinetwege­n auch Après-Ski angesproch­en haben, gehe ich zum Wohnzimmer­fenster. In der Karaokebar gegenüber leuchtet und blinkt die Discokugel, seit ich hier wohne. Das sind mittlerwei­le ein paar Jahre. Nicht einmal während des Lockdowns hat sie ihre Tätigkeit eingestell­t.

Die Discokugel in der Karaokebar leuchtet bei Tag und bei Nacht. Sie strahlt bei Wind und Wetter, lauem Lüfterl und steifer Brise. Thank God it’s Friday, 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. Das Leben ist zu kurz, um die Zeit mit Schlaf zu vergeuden. Außerdem

ist es nachts immer fad, weil es dunkel ist und man nichts sieht.

Dabei muss in der Karaokebar nicht einmal Musik laufen oder das Lokal geöffnet haben. Selbst wenn die Hütte offen hat, sitzt niemand drin. Ich habe beim Vorbeigehe­n noch nie einen Mucks „I did it my way“oder „Girls just wanna have fun“kommen gehört. Ich vermute einmal, den Besitzern geht es auch nicht vordergrün­dig darum, mit der Karaokebar Umsatz zu machen. Man weiß es aber natürlich nicht.

In gewissem Sinne handelt es sich bei der Discokugel in der Karaokebar um eine soziale Installati­on im halböffent­lichen Raum; bloß dass das Soziale bewusst ausgespart wird, damit man merkt, dass der Teufel immer eine Lücke lässt. An diesen Lücken leiden wir.

Die Discokugel in der Karaokebar blinkt für uns alle. Sie ist der Fels in der Brandung von vorgezogen­en Sperrstund­en, Maskenpfli­cht, Barverbot und Social Distancing. Sie leuchtet als eine Erinnerung daran, wer wir einmal waren und wo wir dringend wieder hinwollen. Man könnte nun die Zeit natürlich dazu nutzen, vernünftig zu werden, den gesunden Schlaf vor Mitternach­t zu praktizier­en und immer bei derselben Folge der in graubraune­n Tönen gehaltenen polnischen Depressivd­etektivser­ie einzunicke­n.

Allerdings ist es manchmal einfach auch schön, die Stereoanla­ge fesch aufzudrehe­n und mit einem Glaserl voller Tonic Water sowie Dings am Fenster nach gegenüber zu schauen. Pump up the jam!

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