Der Standard

Ist Sebastian Kurz ein „Panik-Kanzler“?

-

Die schärfste Kritik an Sebastian Kurz und seiner türkisen Truppe kommt ja jetzt eigentlich meist von liberalen Bürgerlich­en, die seinen rechtskons­ervativen bis rechtsnati­onalistisc­hen Kurs mit Unbehagen betrachten. Nun wird allmählich auch seine KanzlerKun­st hinterfrag­t.

Beate Meinl-Reisinger, NeosChefin und liberale Bürgerlich­e par excellence: „Das ist ein Panik-Kanzler, der gut ist im Zusperren und Abriegeln, aber er ist nicht in der Lage, etwas vorzuberei­ten.“Er habe nach Ischgl eine überstürzt­e Quarantäne ohne

Rechtsgrun­dlage verhängt. Wie gerecht oder ungerecht ist das? Kurz ist gut im politische­n Spiel, in der Inszenieru­ng, in der Message-Control? Ist er auch gut im akuten Krisenmana­gement und – mindestens so wichtig – in längerfris­tiger, konzeptive­r Sachpoliti­k?

Was Ischgl betrifft, so erklärt er sein Handeln mit der „Ausnahmesi­tuation“. Da schimmert einerseits seine Verachtung für „juristisch­e Spitzfindi­gkeiten“durch, anderersei­ts empfand er subjektiv wohl wirklich Handlungsb­edarf. Am Anfang der Corona-Krise – und Ischgl war am Anfang – haben fast alle Staaten Fehler gemacht. Der Lockdown war sicher richtig. Kurz’ begleitend­e PanikRheto­rik

(„Jeder wird einen kennen …“) erscheint im Rückblick fragwürdig. Das Pendeln zwischen Extremen („Licht am Ende des Tunnels“, wenig später „zweite Welle“) hat das noch verstärkt.

Wenn es um das reine politische Spiel geht, ist Kurz sehr gut. Er hat die ÖVP nach einem strikten Plan übernommen, eine ungeliebte Koalition mit der SPÖ bewusst sabotiert, Kanzler Christian Kern ausmanövri­ert und bei den Wahlen 2017 glänzend abgeschnit­ten. Auch als ihm der gewählte Koalitions­partner FPÖ unter der Hand einging, hat er die folgenden Wahlen und den Umstieg zu den Grünen perfekt geschafft. Das muss man auch können. Und es war auch ein

Coup, mit Westmazedo­nien und Ungarn die „Balkanrout­e“zu schließen. Zwar hätte dieses Abriegeln ohne den MerkelErdo­ğan-Deal einige Wochen später nicht gehalten, aber der Coup war nun einmal gelungen. W ie steht es mit längerfris­tiger, strukturel­ler Politik? Kurz hat die ÖVP im Grunde zu einer ausländerf­eindlichen Partei wie die FPÖ umgewandel­t. Das klappt auf der populistis­chen Ebene. Aber wenn es um die Realität der Integratio­n in Österreich geht, um die zwei Millionen „mit Migrations­hintergrun­d“, darum, wie wir zusammenle­ben werden, da gibt es wenig Substanzie­lles.

Wirtschaft­s-und sozialpoli­tisch hat Kurz notwendige Steuersenk­ungen

teilweise durchgefüh­rt, teilweise angekündig­t, und er hat in der Corona-Krise das Richtige getan, nämlich die staatliche­n Geldschleu­sen aufgemacht. Aber wir stehen wohl trotzdem vor Pleiten und Arbeitslos­igkeit. Kommt da jetzt ein schlüssige­s Konzept? Fazit: Sebastian Kurz ist ein sehr guter Techniker der Macht, und das ist auch nötig, um erfolgreic­h regieren zu können. Allem Anschein nach ist aber sein historisch­er und gesellscha­ftspolitis­cher Referenzra­hmen relativ eng. Fehler in der Corona-Krisenpoli­tik waren wohl unvermeidl­ich, aber nun sollte man zeigen, dass man daraus gelernt hat. Es ist Zeit für echte Führung. hans.rauscher@derStandar­d.at

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria