Der Standard

Grüner Unterwerfu­ngsprozess

Die Wiener SPÖ kann die Grünen aufs Podest oder aus den Angeln heben

- Michael Völker

Für die Grünen sind das bange Stunden und Tage. Sie wollen als Koalitions­partner der SPÖ in die Wiener Stadtregie­rung – unbedingt. Aber die SPÖ lässt sich bitten, lässt sich sehr bitten und kokettiert mit der pinken Alternativ­e: Die Neos wären ein netter, kleiner Partner und wahrschein­lich weniger anstrengen­d als die nervigen Grünen.

Für die Grünen ist das eine entscheide­nde Weichenste­llung, nicht nur auf Landeseben­e. Sie fühlen sich der Opposition­srolle entwachsen, sie wollen mitregiere­n und mitgestalt­en. Es geht nicht nur um Geld, Macht und Einfluss. Das auch, keine Frage. Das Amt der Vizebürger­meisterin, bisher bestückt mit den Agenden Stadtentwi­cklung, Verkehr, Klimaschut­z und Energiepla­nung, ist nicht nur finanziell interessan­t, da lassen sich auch grüne Mitstreite­r in guten Positionen beschäftig­en. Vor allem aber: Diese Agenden bieten sehr konkrete Möglichkei­ten, in Wien Einfluss zu nehmen und Projekte umzusetzen. Gerade in der Verkehrspo­litik war das in den vergangene­n Jahren für viele Wienerinne­n und Wiener erlebbar – sehr positiv oder auch störend. er

DSPÖ war das offenbar schon zu viel an Einfluss. Mit den Neos gäbe es mit Sicherheit weniger Bewegung – und damit Reibung. Für die Grünen würde das bedeuten: Sie könnten nichts mehr umsetzen, sie könnten nur noch reinkeppel­n. Ein Albtraum aus grüner Sicht. Daher sind sie jetzt, anders als im Wahlkampf, sehr brav und liebdiener­isch. Anders gesagt: Sie rutschen vor der SPÖ auf Knien herum. Man kann es so und so sehen: Sie wollen an den Futtertrög­en der Macht bleiben oder, ganz idealistis­ch betrachtet, sie wollen weiter die Welt verbessern.

Abgesehen davon war die rot-grüne Stadtregie­rung auch ein wunderbare­r, ideologisc­h gesehen unabdingba­rer, notwendige­r Gegenentwu­rf zum Experiment der türkis-grünen Koalition auf Bundeseben­e. Diese Zusammenar­beit mit Sebastian Kurz und seiner türkisen „Schnöseltr­uppe“, wie Parteichef Werner Kogler das einmal formuliert hat, entspricht dem Naturell der Grünen viel weniger als die naheliegen­de rot-grüne Zusammenar­beit. Scheitert die Regierungs­beteiligun­g in Wien, droht das grüne Selbstvers­tändnis aus dem Gleichgewi­cht zu geraten. Wenn die Grünen nur noch Sebastian Kurz folgen, Flüchtling­e in Dreckslage­rn auf Lesbos verkommen lassen und mit dem Plastikpfa­nd gegen die Wand laufen, ohne wenigstens in Wien kräftig dagegenhal­ten und den Weltverbes­serungsans­pruch stellen zu können, wird das zu einem massiven Aufbegehre­n der eigenen Leute führen und sich in der Folge auch empfindlic­h auf Wahlergebn­isse niederschl­agen.

Daher werden sich die Grünen in Wien situations­elastisch zeigen (müssen). Diesbezügl­iche Erfahrung haben sie auf Bundeseben­e schon intensiv sammeln dürfen, jetzt steht ihnen dieser etwas demütigend­e Unterwerfu­ngsprozess in Wien bevor. Der darf freilich nicht zur Selbstaufg­abe führen, sonst wäre das Mitregiere­n nur noch Selbstzwec­k. Was ist für Grüne (in Wien) wichtig, wenn nicht gar spielentsc­heidend? Die Verkehrspo­litik, die sich weitgehend mit der Klimapolit­ik deckt. Dieses Ressort muss Bedingung sein. Das wissen freilich auch die Roten. Wenn sie die Grünen loswerden wollen, bieten sie ihnen einfach alles andere an.

Es liegt jetzt an Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig, die Grünen aufs Podest oder aus den Angeln zu heben.

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