Grüner Unterwerfungsprozess
Die Wiener SPÖ kann die Grünen aufs Podest oder aus den Angeln heben
Für die Grünen sind das bange Stunden und Tage. Sie wollen als Koalitionspartner der SPÖ in die Wiener Stadtregierung – unbedingt. Aber die SPÖ lässt sich bitten, lässt sich sehr bitten und kokettiert mit der pinken Alternative: Die Neos wären ein netter, kleiner Partner und wahrscheinlich weniger anstrengend als die nervigen Grünen.
Für die Grünen ist das eine entscheidende Weichenstellung, nicht nur auf Landesebene. Sie fühlen sich der Oppositionsrolle entwachsen, sie wollen mitregieren und mitgestalten. Es geht nicht nur um Geld, Macht und Einfluss. Das auch, keine Frage. Das Amt der Vizebürgermeisterin, bisher bestückt mit den Agenden Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz und Energieplanung, ist nicht nur finanziell interessant, da lassen sich auch grüne Mitstreiter in guten Positionen beschäftigen. Vor allem aber: Diese Agenden bieten sehr konkrete Möglichkeiten, in Wien Einfluss zu nehmen und Projekte umzusetzen. Gerade in der Verkehrspolitik war das in den vergangenen Jahren für viele Wienerinnen und Wiener erlebbar – sehr positiv oder auch störend. er
DSPÖ war das offenbar schon zu viel an Einfluss. Mit den Neos gäbe es mit Sicherheit weniger Bewegung – und damit Reibung. Für die Grünen würde das bedeuten: Sie könnten nichts mehr umsetzen, sie könnten nur noch reinkeppeln. Ein Albtraum aus grüner Sicht. Daher sind sie jetzt, anders als im Wahlkampf, sehr brav und liebdienerisch. Anders gesagt: Sie rutschen vor der SPÖ auf Knien herum. Man kann es so und so sehen: Sie wollen an den Futtertrögen der Macht bleiben oder, ganz idealistisch betrachtet, sie wollen weiter die Welt verbessern.
Abgesehen davon war die rot-grüne Stadtregierung auch ein wunderbarer, ideologisch gesehen unabdingbarer, notwendiger Gegenentwurf zum Experiment der türkis-grünen Koalition auf Bundesebene. Diese Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz und seiner türkisen „Schnöseltruppe“, wie Parteichef Werner Kogler das einmal formuliert hat, entspricht dem Naturell der Grünen viel weniger als die naheliegende rot-grüne Zusammenarbeit. Scheitert die Regierungsbeteiligung in Wien, droht das grüne Selbstverständnis aus dem Gleichgewicht zu geraten. Wenn die Grünen nur noch Sebastian Kurz folgen, Flüchtlinge in Dreckslagern auf Lesbos verkommen lassen und mit dem Plastikpfand gegen die Wand laufen, ohne wenigstens in Wien kräftig dagegenhalten und den Weltverbesserungsanspruch stellen zu können, wird das zu einem massiven Aufbegehren der eigenen Leute führen und sich in der Folge auch empfindlich auf Wahlergebnisse niederschlagen.
Daher werden sich die Grünen in Wien situationselastisch zeigen (müssen). Diesbezügliche Erfahrung haben sie auf Bundesebene schon intensiv sammeln dürfen, jetzt steht ihnen dieser etwas demütigende Unterwerfungsprozess in Wien bevor. Der darf freilich nicht zur Selbstaufgabe führen, sonst wäre das Mitregieren nur noch Selbstzweck. Was ist für Grüne (in Wien) wichtig, wenn nicht gar spielentscheidend? Die Verkehrspolitik, die sich weitgehend mit der Klimapolitik deckt. Dieses Ressort muss Bedingung sein. Das wissen freilich auch die Roten. Wenn sie die Grünen loswerden wollen, bieten sie ihnen einfach alles andere an.
Es liegt jetzt an Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, die Grünen aufs Podest oder aus den Angeln zu heben.