Der Standard

Herbergssu­che wird für viele Deutsche zur Strapaz

Gäste aus Risikogebi­eten bekommen kein Hotelbett

- Birgit Baumann aus Berlin

Es war alles so schön geplant. Fünf Tage Urlaub auf der Ostseeinse­l Usedom. Die Kinder würden am Strand Muscheln sammeln, die Eltern mit einer Tasse Sanddorn-Grog vom Strandkorb aus zusehen.

Doch dann mussten viele Berliner Familien kurzfristi­g ihre Pläne ändern, und nun heißt es in ihren Herbstferi­en: Grunewald statt Ostsee. Grund dafür sind Verordnung­en in vielen deutschen Bundesländ­ern, die Hotels und Pensionen die Beherbergu­ng von Gästen aus einem innerdeuts­chen Risikogebi­et nur dann erlauben, wenn ein negativer Corona-Test vorliegt. Das kann bei einer vierköpfig­en Familie – abgesehen vom zeitlichen Aufwand – ziemlich ins Geld gehen.

Besonders hart davon betroffen sind die Berliner. Die gesamte deutsche Hauptstadt mit ihren 3,8 Millionen Einwohnern gilt seit Neuestem als Risikogebi­et, es wurden also mehr als 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner in den vergangene­n sieben Tagen registrier­t.

13 Millionen in roter Zone

Die Regelung ist höchst umstritten und wird auch nicht von allen Ländern angewandt. „Unsinn“, nennt sie Thüringens linker Ministerpr­äsident Bodo Ramelow und lockt Berliner sowie Einwohner aus anderen „roten Zonen“in sein Land.

Und diese werden immer mehr. Laut Robert-Koch-Institut leben bereits mehr als 13 Millionen (von 83 Millionen) Deutschen in einem Risikogebi­et, die meisten in NordrheinW­estfalen und Bayern.

„Das ist schon fast grober Unfug“, kritisiert der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Andreas Gassen, das Beherbergu­ngsverbot. Innerdeuts­che Reisen seien nicht gefährlich, das Problem liege vielmehr bei traditione­llen Großhochze­iten, in fleischver­arbeitende­n Betrieben und bei unkontroll­iertem Feiern.

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­gVorpommer­n, das mit seiner langen Ostseeküst­e ein Tourismusl­and ist, verteidigt hingegen die Regelung: „Wir brauchen eine klare, stringente Linie. Die kann in einer Zeit, wo die Zahlen in Deutschlan­d immer mehr steigen, nicht Lockerung sein.“Ihr eigener Finanzmini­ster, Reinhard Mayer (SPD) widerspric­ht: „Die Gefahren liegen nicht bei der Übernachtu­ng in einer Ferienwohn­ung auf dem Land und auch nicht in einem Hotel einer Stadt.“Er ist zugleich Präsident des deutschen Tourismusv­erbandes.

Pendeln ist erlaubt

Bleibt die Regelung, führt das weiterhin zu merkwürdig­en Situatione­n: Zehntausen­de Brandenbur­ger pendeln täglich nach Berlin zur Arbeit, Berliner dürfen aber nicht in Brandenbur­g nächtigen.

In Bayern wiederum gilt das Hotelverbo­t nicht für Bayern. Ein Bewohner des Risikogebi­ets München kann problemlos in Oberbayern Urlaub machen. Will jemand aus Frankfurt (ebenfalls Risikogebi­et) dies tun, ist ein Test nötig.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) ist ohnehin der Meinung, man sei kurz davor „die Kontrolle zu verlieren“. Er will beim heutigen Treffen der Ministerpr­äsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel Lockerunge­n verhindern. Diesmal möchte Merkel die Länderchef­s übrigens nicht nur per Video sehen, sondern persönlich im Kanzleramt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria