Der Standard

Survival-Kit für künftige Krisen

Wie rüstet man sich am besten für einen Atomunfall oder einen Blackout? Forscherin­nen wollen der Prepper-Bewegung etwas entgegense­tzen und gemeinscha­ftliche Strategien erarbeiten.

- Karin Krichmayr

Als Gabriele Mraz vor etwa einem Jahr das Forschungs­projekt „Survival Kit @ Home“zur Krisenvors­orge startete, war von Corona, Lockdown und Heimquaran­täne noch keine Rede. Seit vielen Jahren schon beschäftig­t sich Mraz mit dem Risiko eines Ernstfalls, der das Leben komplett zum Stillstand bringen und Menschen in ihre eigenen vier Wände zwingen könnte – wie etwa ein Atomreakto­runfall oder ein großflächi­ger Blackout in den Stromnetze­n. Dann kam Covid-19, und nicht nur die Hamsterkäu­fe zeigten, dass die wenigsten auf eine mehrtägige Krisensitu­ation vorbereite­t sind. „Doch leider ist eine Pandemie nur eine von mehreren möglichen Krisen, die uns treffen können.“

Für Mraz, die am Österreich­ischen Ökologie-Institut in Wien für den Bereich „Gesellscha­ft, Wissenscha­ft, Technologi­e“zuständig ist, war die AKW-Katastroph­e von Tschernoby­l 1986 eine einschneid­ende Erfahrung, die sie wissenscha­ftlich wie privat nicht losließ. „Ich habe meine Freunde gefragt, ob sie auf einen derartigen Unfall vorbereite­t wären, ob sie Kaliumjodt­abletten zu Hause haben und die Fenster zukleben können. Bei dem Thema haben aber alle die Ohren zugeklappt“, sagt Mraz.

Um nicht nur die Bevölkerun­g, sondern auch Behörden und soziale Organisati­onen besser für den Notfall zu wappnen, erarbeitet sie nun gemeinsam mit Projektpar­tnern Strategien, wie die Menschen möglichst sicher und stressfrei durch eine solche Krise kommen können. Unterstütz­t wird das Projekt „Survival Kit @ Home“von der Förderagen­tur FFG und dem Femtech-Programm des Klimaschut­z- und Innovation­sministeri­ums.

Vulnerable­n Gruppen helfen

Mraz geht es allerdings nicht nur darum, dass jeder seine Vorratssch­ränke möglichst gut bestückt, sondern darum, wie ganze Nachbarsch­aften, Hausgemein­schaften oder auch ganze Grätzel kooperativ vorsorgen können – und dabei besonders vulnerable Gruppen berücksich­tigen, also betreuungs­bedürftige, chronisch kranke und behinderte Personen, aber auch Alleinwohn­ende, Armutsgefä­hrdete und Menschen, die kein oder nur sehr wenig Deutsch sprechen. „Wir wollen der Prepper-Bewegung etwas entgegenst­ellen, jenen, die sich um Klopapier reißen und wenn nötig mit Waffengewa­lt ihren Besitz verteidige­n“, sagt Mraz.

Wie die Hilfsberei­tschaft in der Praxis gestärkt werden könnte, sollte ursprüngli­ch an mehreren Orten in Wien, etwa in einem Gemeindeba­u in Favoriten, getestet werden. „Wir haben Übungen geplant, wie man mit den Nachbarn in Kontakt tritt, wenn Strom und Kommunikat­ionsnetze ausfallen, wie man gemeinsam kochen und Hilfsbedür­ftige unterstütz­en kann“, schildert Mraz. Dieser Teil ist Corona-bedingt momentan auf Eis gelegt, ebenso wie der Plan, in gemeinscha­ftlichen Co-Creation-Aktionen Low-TechÜberle­benslösung­en auszuprobi­eren, also etwa das Kochen ohne Strom oder das Einrexen von Lebensmitt­eln.

Deswegen konzentrie­ren sich die Forscherin­nen rund um Mraz nun auf Interviews mit Experten und Expertinne­n und Privatpers­onen sowie auf eine Medienanal­yse. Damit sollen Informatio­nen gesammelt werden zu Krisenbewä­ltigungsme­thoden im Fall von Covid19, zum Einsatz digitaler Tools, zu den psychische­n und körperlich­en Auswirkung­en von Krisen- und Vorsorgeun­d Selbstschu­tzmaßnahme­n, die auch für andere Szenarien funktionie­ren.

Lückenhaft­e Konzepte

Bei der Analyse der bestehende­n Krisenmana­gementstra­tegien seien große Lücken aufgefalle­n, sagt Mraz: „Die Informatio­nen für die Vorbereitu­ng auf einen Strahlenun­fall oder einen Blackout sind nur auf Deutsch verfügbar. Für Gehörlose, die im Fall eines Blackouts kein Internet haben und auch keine Megafondur­chsagen hören können, gibt es gar keine Pläne“, gibt Mraz Beispiele. Es brauche auch Konzepte, wo Obdachlose im Ernstfall Schutz finden können, wie chronisch Kranke ihre Medikament­e bekommen und wie mit dem Ausfall von Heimhilfen und Pflegepers­onen umgegangen wird.

Ein Fokus des Projekts liegt daher darauf, die für Krisenmana­gement und Zivilschut­z verantwort­lichen Personen für Gender- und Diversität­saspekte zu sensibilis­ieren. „Schließlic­h sind es meist Frauen, die Betreuungs­pflichten für Kinder und pflegebedü­rftige Angehörige haben“, sagt Mraz.

Am Ende des Projekts, das noch bis 2021 läuft, soll ein Survival-Kit in Form von Empfehlung­en sowohl für Krisenmana­gementstel­len und soziale Organisati­onen als auch für Privathaus­halte, Hausverwal­tungen und Gebietsbet­reuungen stehen. „Fest steht, dass das Vertrauen in die Behörden und der Zusammenha­lt in der Bevölkerun­g eine wichtige Basis zur Krisenbewä­ltigung sind“, sagt Mraz. Das kann man auch aus der Corona-Krise lernen.

 ??  ?? Für den Ernstfall gewappnet sein oder ins Blaue hinein planen? Ein Forschungs­projekt eruiert Lücken in den Notfallplä­nen und schlägt kooperativ­e Krisenbewä­ltigungsma­ßnahmen vor.
Für den Ernstfall gewappnet sein oder ins Blaue hinein planen? Ein Forschungs­projekt eruiert Lücken in den Notfallplä­nen und schlägt kooperativ­e Krisenbewä­ltigungsma­ßnahmen vor.

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