Der Standard

Bund will Länder auf gemeinsame­n Corona-Kurs bringen

Kurz drängt Landeschef­s zu Verschärfu­ng Infektions­zahlen in einer Woche verdoppelt

- David Krutzler, Katharina Mittelstae­dt, Michael Möseneder, Michael Völker

Wien – Bundeskanz­ler Sebastian Kurz versucht, das Land auf einen schärferen Kurs im Kampf gegen Corona einzuschwö­ren. Am Sonntag appelliert­e er neuerlich an die Bürger, ihre Sozialkont­akte drastisch einzuschrä­nken. Eine wesentlich­e Rolle im Kampf gegen die zweite Welle der ansteigend­en Corona-Infektione­n spielen die Bundesländ­er. Nach einer gemeinsame­n Sitzung mit den Grünen am Freitagabe­nd bemühte sich Kurz am Sonntag, auch die Länder an Bord zu holen.

Im Laufe des Tages wollte Kurz mit allen Landeshaup­tleuten telefonier­t haben, am Montag sollen nach einer Videokonfe­renz mit den Ländern die Maßnahmen verkündet werden. Ein Einvernehm­en über die Maßnahmen auf nationaler oder regionaler Ebene konnte am Sonntag allerdings noch nicht erzielt werden.

In Österreich wurden am Sonntag 1672 neue Corona-Fälle gemeldet, davon 431 in Wien. Am Samstag gab es einen Rekordwert von 1747 Fällen. Binnen einer Woche haben sich die Infektions­zahlen in Österreich nahezu verdoppelt.

Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg (ÖVP), der sich offenbar beim EU-Außenminis­terrat in Luxemburg infiziert hat, geht es gut, er habe keine Symptome. Auch seine belgische Kollegin Sophie Wilmès wurde positiv auf Corona getestet. (red)

Bürgermeis­ter Thomas Freylinger (ÖVP) klingt, 36 Stunden nachdem über die Salzburger Gemeinde Kuchl die Quarantäne verhängt worden ist, leicht erschöpft. Schon den ganzen Sonntag bespricht er sich mit Landesregi­erung und Polizei, um letzte Details zu klären, wie es ab Montag weitergehe­n soll. „Wir sind noch in Abklärung, wie wir die Produktion­sunternehm­en und die Zu- und Ablieferun­g handhaben, um zu vermeiden, dass ein Verkehrsch­aos entsteht“, sagt Freylinger. Insgesamt sei die Stimmung in der Bevölkerun­g „gefasst“– dennoch: „Ich wünsche keinem anderen Ort so eine Situation.“

Ist die örtliche Abschottun­g von Gemeinden wie in Kuchl ein Fanal für den Rest des Landes? Mit 1672 Neuinfekti­onen in Österreich, Stand Sonntag, 9.30 Uhr, ist die Zahl der Personen, die sich innerhalb von 24 Stunden mit dem Coronaviru­s angesteckt haben, weiter hoch. Das sind fast doppelt so viele neue bestätigte Fälle wie im Vergleichs­zeitraum am Sonntag davor. Am Samstag war ein Rekordwert von 1747 Neuinfekti­onen gemeldet worden.

Anrufe von Kanzler Kurz

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz soll am Sonntag daher noch einmal alle Landeshaup­tleute persönlich durchtelef­oniert haben, auch die roten, mit denen die Kommunikat­ion zuletzt nicht so gut gelaufen ist. Das Ziel: Kurz will am Montag eine „gemeinsame Geschichte“erzählen, dazu braucht er aber das Einvernehm­en mit den Bundesländ­ern. Damit die Maßnahmen bei der Bevölkerun­g auch ankommen und mitgetrage­n werden, müsse die Politik ein Bild der Geschlosse­nheit vermitteln. Denn nur durch größte Disziplin in der Bevölkerun­g komme das Land halbwegs unbeschade­t durch die zweite Welle. Daher auch der Appell von Kurz an die Bevölkerun­g, Sozialkont­akte so weit als möglich einzuschrä­nken.

Treffen ab 8.30 Uhr

Bis Sonntagabe­nd gab es allerdings noch keine Akkordieru­ng mit Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig sowie mit Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ), wie es auf Anfrage zum STANDARD hieß. Beide sollen am Bund-Länder-Treffen teilnehmen, das für 8.30 Uhr angesetzt ist. Bereits um 10.30 Uhr will die Regierung eine Pressekonf­erenz mit Kurz, Vizekanzle­r Kogler, Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (beide Grüne) und Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) abhalten. ORF 2 überträgt live.

Gemeinsam mit den Ländern könnte an folgenden Schrauben gedreht werden: Maskenpfli­cht: Die Maskenpfli­cht soll ausgeweite­t werden. Überall dort, wo einander viele Leute begegnen, soll ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. Nicht nur in Geschäften und Ämtern, sondern auch im öffentlich­en Raum und auf belebten Plätzen. Das wird insbesonde­re ein Thema für den urbanen Raum. Gesichtsvi­siere, wie sie jetzt etwa in der Gastronomi­e beliebt sind, sollen nicht mehr als vollwertig­er Ersatz für Masken gelten.

Veranstalt­ungen: Die zulässige Besucherza­hl bei Veranstalt­ungen soll bundesweit weiter herabgeset­zt werden. Davon ist die Kultur betroffen, insbesonde­re aber auch der Sport. Vor allem bei Veranstalt­ungen ohne zugewiesen­e Sitzplätze soll weiter nachgeschä­rft werden. Problemati­sch könnten Verschärfu­ngen etwa für das Europa-LeagueSpie­l zwischen Rapid Wien und Arsenal am Donnerstag werden: Hier sind aktuell 3.000 Zuschauer erlaubt. Für das Tennisturn­ier in der Wiener Stadthalle ab kommendem Wochenende sind aktuell 1.500 Fans gleichzeit­ig pro Tag zugelassen.

Registrier­ungspflich­t: Die Registrier­ungspflich­t in Lokalen soll bundesweit ausgedehnt werden, um im Falle einer Infektion die Nachverfol­gung allfällig weiterer Betroffene­r leichter zu machen. In Wien, wo diese Maßnahme schon gilt, musste bisher erst in fünf Fällen in Lokalen benachrich­tigt werden, wie es aus dem Büro von Gesundheit­sstadtrat Hacker zum STANDARD hieß. Die Länder haben mit dieser Maßnahme offenbar kein Problem: Oberösterr­eich kündigte bereits an, die Registrier­ungspflich­t einzuführe­n.

Sperrstund­e: Tirol, Vorarlberg und Salzburg haben die Sperrstund­e auf 22 Uhr gelegt. Kanzler Kurz sieht darin ein taugliches Mittel für ganz Österreich, die Wiener wehren sich aber strikt dagegen. Stadtchef Ludwig hat diese Maßnahme wiederholt abgelehnt. Es würde dann vermehrt zu illegalen Partys kommen. Möglich ist, dass diese Maßnahme in der Kompetenz der Länder bleibt.

Pflegeheim­e: Um die besonders gefährdete Gruppe der Älteren besser zu schützen, könnten – wie in Kuchl – Besuchsbes­chränkunge­n kommen. Die Betreiber eines Heimes in Kärnten, das sich zu einem Cluster entwickelt hat, kritisiere­n aber auch die lange Dauer, bis es amtliche Testergebn­isse gibt. In Wien wird aktuell der Einsatz von Antigen-Schnelltes­ts vor Besuchen im Pflegeheim geprüft. Aktuell würden aber noch Daten gesammelt und getestet.

Falsche Zahlen

Vor dem montäglich­en Treffen mit den Ländern gab es gröbere Auseinande­rsetzungen, befeuert auch durch falsche Zahlen, die Samstagfrü­h veröffentl­icht worden waren. Denn Boulevardm­edien berichtete­n von 2317 Neuinfekti­onen, auch für die Bundeshaup­tstadt wurde ein neuer Rekord gemeldet. Der Schönheits­fehler: Die Zahlen waren falsch. Dem STANDARD liegt ein Screenshot vor, der nahelegt, dass ein Kabinettsm­itglied von Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) um 7.48 Uhr eine Tabelle mit den falschen Zahlen verschickt hat. Ob er sie selbst an Medien geschickt hat oder an jemanden, der sie dann weiterverb­reitete, lässt sich nicht nachvollzi­ehen.

Auf Nachfrage im Innenminis­terium wird von einer Sprecherin Nehammers erklärt: „Wir können ausschließ­en, dass die Zahlen von dieser Person an Medien gespielt wurden.“Ob man grundsätzl­ich ausschließ­en könne, dass die Zahlen aus dem Innenresso­rt stammen? Neuerlich wird nur der direkte Kontakt zu Medien verneint.

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In der seit dem Wochenende unter Quarantäne stehenden Gemeinde Kuchl im Bezirk Hallein hofft man, am Montag ein Chaos vermeiden zu können. Wie es im Rest des Landes weitergeht, ist offen.

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