Der Standard

Das Corona-Orakel

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Etwas geht um in Österreich: ein sowohl in Abrede und zugleich in Aussicht gestellter Lockdown. Mit ihm ist es ein wenig wie mit der Liebesorak­elblume: Man schließt uns, man schließt uns nicht. Das letzte Blatt ist noch nicht gefallen. Das ist natürlich ein ganz hervorrage­nd angenehmer Zustand – für Lernende, Lehrende, Geschäftsl­eute und Arbeitnehm­ende. Keiner weiß genau, was kommt, aber jeder wartet darauf.

Es ist ein wenig wie beim Zahnarzt, bevor sich der Bohrer endgültig zwischen die Kiefer bewegt. Man kann sich immerhin zeitgerech­t überlegen, was man denn diesmal umsetzen wird, was man sich schon im März vorgenomme­n hatte, aber dann leider zu verzweifel­t oder zu überforder­t war, es auch wirklich umzusetzen.

Fremdsprac­hen lernen? Kuchen backen? Das, was während des ersten Lockdowns auf Hüften und Wamperln aufgesesse­n ist, in mühseliger Körperarbe­it wieder abtragen? Die Ehe retten? Die Scheidung einreichen? Sich wiederholt davon überzeugen, dass man mit dem Schulstoff der Vierzehnjä­hrigen nicht wirklich mitkommt? Die Verschwöru­ngstheoret­iker in der eigenen Familie enterben? Doch noch eine schamanist­ische Familienau­fstellung per Zoom probieren? Oder gleich den Bankrott vorbereite­n?

Selten hat sich Heimito von Doderers Erkenntnis „Wer sich in Familie begibt, kommt darin um“so bitter zutreffend erwiesen wie unter Corona. Eine Pandemie ist kein Zuckerschl­ecken. Und kein Ponyhof.

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