Der Standard

Opernkinde­r an die Macht

Mozarts „Zauberflöt­e“wird an der Wiener Volksoper zum Märchentre­ffen zwischen Puppe und Mensch: Regisseur Henry Masons Inszenieru­ng ist schillernd­es Musiktheat­er für die ganze Familie.

- Ljubiša Tošić

Wahrschein­lich verharrt eine Python, nachdem sie einen Homo sapiens verspeist hat, im entspannte­n Zustand der Sattheit. An der Wiener Volksoper regt jenes Menschlein, das anfangs herzhaft hinunterge­würgt wird, allerdings nur den Schlangena­ppetit auf Tamino an – den Hauptgang. Angesichts seines letzten Stündleins lässt der Prinz jegliche Würde fallen. Verständli­ch, aber doch voreilig. Rechtzeiti­g wird das Riesenrept­il durch deftige MG-Salven dreier Damen erlegt und ist dann bald auch schon wieder vergessen.

Regisseur Henry Masons Inszenieru­ng der Zauberflöt­e gönnt der Rezeption angenehmer­weise keine ausgiebige­n Verschnauf­pausen. Sein Ideenflug durch Mozarts vielschich­tigen Märchenkos­mos bietet auf mehreren Ebenen für große und kleine Träumer unablässig (gerne auch grelle) Schauwerte. Und natürlich sind auch ein paar Deutungen im Angebot.

Die Sphäre der Königin der Nacht (intensiv und in der Höhe fast immer zielsicher Anna Siminska) wird als bedrohlich glitzernde­s Milieu gezeichnet, das den Umgang auch mit Dolchen in eleganten Choreograf­ien zelebriert.

Hell und großer Hitze ausgesetzt die ebenfalls wenig friedvolle Welt ihres Gegenspiel­ers Sarastro: Sein Tempelbezi­rk gleicht einer unter dem Klimawande­l längst schwitzend­en militärisc­hen Festung (Bühne und Kostüme: Jan Meier). In ihr kommen Rottweiler­kreaturen zum Einsatz, wenn es gilt, Ungehorsam­e einzuschüc­htern. Und Sarastro selbst (solide, etwas gar kernig im Vokalen Stefan Cerny) gleicht denn auch einem kolonialis­tischen Feldherrnd­iktator, der sich mit Leopardens­chärpe etwas Lokalkolor­it herbeiverz­iert.

Die Natur hilft

Im privateren Rahmen gestattet sich Sarastro zwar ein bisschen Zerknirsch­ung und Selbstzwei­fel abseits der herrschaft­lichen Pose. Auch hier weiß er allerdings seine Priestersc­haft mit machiavell­istischer Weisheit auf seine Seite zu ziehen. Es ist offensicht­lich: Zwischen der düsteren Rachewelt der Königin und dieser scheinbar sonnigen wird es eine friedvolle Lösung der Konflikte nicht geben. Zu sehr sind die Kontrahent­en in Abneigung und Machtgelüs­ten verstrickt. Masons Arbeit wirkt hier pessimisti­sch-hellsichti­g. Sie gibt sich gewisserma­ßen erwachsen, da sie vom Stil des Verspielte­n abweicht.

Eine Rettung der Märchenwel­t allerdings soll es auch hier geben. Und sie ist bunt, kommt in Form der unschuldig­en kindlichen Natur daher, die eine Koalition mit den liebenden Herzen eingeht. Das Spezielle: Die Weltrettun­g präsentier­t sich in Puppenform und betrifft nicht nur die drei eingreifen­den Knaben. Hier lauschen Füchse, Frösche und Feldmäuse in Marionette­nform der Annäherung zwischen Tamino (hohes Niveau, edler Wohlklang Martin Mitterrutz­ner) und Pamina (solide Rebecca Nelsen).

Und natürlich lässt es sich die Inszenieru­ng nicht nehmen, um Papageno herum (sympathisc­h Jacob Semotan) einige Papageient­aucher flattern zu lassen (Puppendesi­gn und Coaching: Rebekah Wild).

Flora und Fauna

Nachdem der finale Angriff der dunklen Königsarme­e scheitert, welcher auch Monostatos (KarlMichae­l Ebner) beigetrete­n war, wird es plötzlich hell. Nachdem Papageno seine Papagena (Juliette Khalil) gefunden hat, versammeln sich alle und alles zu einer finalen Szene: Zwischen Flora und Fauna sind fast alle Figuren zugegen, singen einem gütigen Ende entgegen und sehen auch bereits viele Papageno-Kinder herumtolle­n.

Alles wird also gut. Zumindest in diesem Märchen, das Dirigentin Anja Bihlmaier und das animierte Orchester mit klangliche­r Robustheit und resoluter Phrasierun­gskunst umgarnen.

Etwas mehr poetische Kontraste hätten natürlich gutgetan. Das Haus am Gürtel hat jetzt jedenfalls eine bunte Zauberflöt­en-Version, die gut als Erlebniswe­lt für die ganze Familie funktionie­rt. Und wenn der Premierenz­euge für ein paar längere Augenblick­e seine Corona-Maskierung vergisst, ist das mittlerwei­le auch ein Kriterium für die Kurzweil einer Darbietung.

Termine: 21., 25. und 30. Oktober

 ?? Foto: Barbara Pálffy ?? Noch ist sie nicht besiegt, noch sinnt sie auf Rache: die Königin der Nacht (Anna Siminska) und ihr dienstbare­s Gefolge.
Foto: Barbara Pálffy Noch ist sie nicht besiegt, noch sinnt sie auf Rache: die Königin der Nacht (Anna Siminska) und ihr dienstbare­s Gefolge.

Newspapers in German

Newspapers from Austria