Der Standard

Zwei Generation­en und die Ironie der Krise

Mathilde Monnier im TQW und Karin Pauer im Brut

- Helmut Ploebst

Umbrüche können sich hinziehen. Nicht selten aber geht’s auch auf einen Schlag. Zum Beispiel, wenn eine Kellnerin in den Keller geht, um eine Flasche Wein zu holen, und es gerade dann einen gigantisch­en Knall gibt.

Die Frau kämpft sich nach oben durch. Das Restaurant existiert nicht mehr, so gut wie alle Häuser und Menschen der Stadt sind weggefegt: Hiroshima am 6. August 1945. So erzählt es die französisc­he Choreograf­in Mathilde Monnier in dem Stück Please Please Please, das sie zusammen mit ihrer spanischen Kollegin La Ribot am Wochenende im Tanzquarti­er Wien gezeigt hat.

Schauplatz­wechsel: Noch bis Dienstag präsentier­t die Wienerin Karin Pauer ihre mit dem bildenden Künstler Aldo Giannotti entwickelt­e neue Arbeit The Score in der Volkshochs­chule beim Schwenderm­arkt, einer temporären Spielstätt­e des Brut-Theaters. Pauers Tanztrio erzählt von einem langsamen Umbruch: „Wir sind in Ambivalenz verbunden, das ist sehr zeitgenöss­isch.“

Zwischen Monnier / La Ribot einer- und Pauer anderersei­ts liegen Welten. Die Laufbahnen der Ersteren begannen in den Eighties. Die hochtalent­ierte Wienerin startete erst in den 2010er-Jahren. Bei Please Please Please haben zwei Choreograf­innen, die zu den großen Figuren des postmodern­en Tanzes zählen, und der Theaterreg­isseur Tiago Rodrigues (Text) ein unheimlich­es Szenario entworfen, in das Karin Pauer bereits hineingebo­ren ist: Seit der Generation Y landen alle Kinder in einer überstimul­ierten, extrem widersprüc­hlichen Welt.

Deren aktuelle Krise performen Monnier und La Ribot als tragischen Witz, während bei The Score Lau Lukkarila, Arttu Palmio und Pauer den Versuch tanzen, in einem Hyperraum aus grafischen Projektion­en zu navigieren. Dabei erstarren die drei immer wieder in Posen und drohen sich in Wiederholu­ngsschleif­en zu verheddern. Am Ende steigt die Spannung wie beim Anrollen eines Erdbebens. Doch zum großen Knall kommt es (noch) nicht.

Das Duo in Please Please Please dagegen steuert durch einen Traum, in dem es unsere Wirklichke­it zu begreifen versucht. Zwischen Hiroshima und Identitäts­diskurs – ein Baby verkündet: „Vielleicht wechsle ich mein Geschlecht, vielleicht werde ich eine Kakerlake oder eine Erwachsene!“– liegt ein weites Feld.

Am Ende steht die Kellnerin mit der Flasche Rebensaft in einer ausgelösch­ten Stadt – „aber sie trinkt nur Bier“. Einen Witz wie diesen würde man von Karin Pauer eher nicht erwarten. „The Score“bis 20. 10.

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