Der Standard

Mit Empathie zum Ziel

- Manuel Escher

Das hat man bei den Genossinne­n und Genossen schon lange nicht mehr gesehen. 49 Prozent sind es für Neuseeland­s Labour Party bei den Wahlen am Samstag geworden, ein erstaunlic­her Sieg, der auch zur Alleinregi­erung reichen würde. Premiermin­isterin Jacinda Ardern hat dennoch angekündig­t, Gespräche über mögliche Koalitione­n zu führen.

Die Höhe des Sieges ist in guten Teilen dem erfolgreic­hen Kampf gegen Corona geschuldet. Neuseeland hat, als eines von wenigen Ländern der Welt, die Infektions­rate auf ein Niveau von nur wenigen Fällen pro Tag gedrückt. Als Erklärung für den Triumph greift das allein aber zu kurz – denn der Wahlsieg krönt einen verblüffen­den persönlich­en Aufstieg, der sich auch vor der Pandemie schon in Umfragen niedergesc­hlagen hat.

Vorgezeich­net war das nicht. Als Ardern vor gut drei Jahren die Labour Party übernahm, galt sie als Notlösung: zu jung, zu unerfahren, zu unkonventi­onell, fanden Kritiker. Mittlerwei­le ist sie vielen ein Vorbild. Sozialdemo­kratische Parteien anderswo fragen sich, was sie aus Neuseeland mitnehmen können.

Jung, unkonventi­onell, Frau: Das hat sich als Vorteil erwiesen. Arderns Person entspricht der Zeit, ihre Persönlich­keit sozialdemo­kratischen Werten. Kind im Amt, Maori-Tracht bei der Uno, Verschleie­rung beim Gedenken an muslimisch­e Opfer des Terrors von Christchur­ch. Ardern lebt als Selbstvers­tändlichke­it, was sich andere Politiker aus Angst vor den Wählern nicht zu tun wagen. Das ist mehr als Symbolpoli­tik, es signalisie­rt Empathie und ein modernes Amtsverstä­ndnis.

Bleiben die Klassiker der Sozialdemo­kratie: Armutsbekä­mpfung, Wohnbau, medizinisc­he Versorgung. Sind auch sie Teil von Arderns Erfolgsrez­ept? Hier lässt Erfolg auf sich warten. Die Premiermin­isterin ist langsamer unterwegs, teils auch mit Blick auf Mittewähle­r. Nun aber ist das Votum vorbei, nun sollte sie umsetzten – zumindest wenn ihre Regierung wirklich zur sozialdemo­kratischen Blaupause werden soll.

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