Der Standard

Extremismu­sexpertin Ebner über QAnon

Die Extremismu­sforscheri­n Julia Ebner beobachtet­e undercover die bizarre Welt von QAnon schon 2017, als diese noch eine Randersche­inung in den USA war. Mittlerwei­le sieht sie in ihren Anhängern eine weltweite Gefahr.

- INTERVIEW: Colette M. Schmidt

Sie ist Online-Extremismu­s-Beraterin von Uno, Nato und Weltbank. Für ihr Buch Radikalisi­erungsmasc­hinen (Suhrkamp) schleuste sich die Österreich­erin Julia Ebner offline wie online bei Extremiste­n wie dem „Islamische­n Staat“, den Identitäre­n, der AltRight, christlich­en Fundamenta­listen und auch QAnon ein. Dem STANDARD erklärt sie, wie sie die Entwicklun­g letzterer Gruppe beobachtet und einschätzt.

STANDARD: QAnon erlangt immer mehr Einfluss auf die Bewegung der Corona-Skeptiker – genau wie Rechtsextr­eme. Beide haben nicht erst jetzt zueinander­gefunden, oder?

Ebner: Es war von Anfang an so, dass sehr viele rechtsextr­eme Kanäle sehr viel zu QAnon geteilt haben. Schon vor der Corona-Pandemie, aber es hat seit dem Beginn von Corona sehr zugenommen.

STANDARD: Die Verschwöru­ngstheorie kommt aus den USA.

Ebner: Ja, QAnon kommt ja aus dem sehr rechten Lager der Trump-Anhänger, weil ja auch Demokraten das Feindbild sind. Die Gruppe war anfangs auch nicht so internatio­nal. Pizzagate ist die Vorgängert­heorie von QAnon, die bereits behauptete, dass die Clintons im Untergrund von Washington, D. C., Pädophilie­netzwerke betreiben. Viele der Onlinenetz­werke von den Pizzagate-Verschwöru­ngstheoret­ikern wurden dann von QAnon weiter ausgebaut.

STANDARD: Wie viele Anhänger gibt es aktuell in Österreich und weltweit?

Ebner: Es sind derzeit über 100.000 Mitglieder in den deutschspr­achigen Kanälen des Messengers Telegram und laut einer Recherche des Guardian 4,5 Millionen weltweit. Viele von den deutschspr­achigen Gruppen haben einen Bezug zu Österreich. Man hat es auch in Wien gesehen: Auf den Demos der CoronaSkep­tiker waren genau dieselben Slogans zu lesen wie bei QAnon-Anhängern in den USA.

STANDARD: Mit einem Posting des geheimnisv­ollen Q hat 2007 alles angefangen. Sie waren schon ganz früh undercover im Austausch mit den Anhängern, den Anons.

Ebner: Ja, schon vor zweieinhal­b Jahren. Damals war das tatsächlic­h noch ein Randphänom­en. Schon damals war das Ganze sehr rechts, die Anons waren gegen das Establishm­ent, aber es waren auch noch Linke dabei. Die Theorie von QAnon wurde mittlerwei­le immer komplexer. Q ist ein anonymer Account, der seine Infos, die Q-Drops, auf der Gamingplat­tform 4Chan hinterlass­en hat.

STANDARD: Stimmt es, dass der Beginn nur ein Scherz war?

Ebner: Das ist nicht bewiesen, aber es gib Hinweise, dass es sogar ein Scherz von linker Sei

te war. Auf 4Chan gibt es auch andere solche Beispiele von Verschwöru­ngstheorie­n, die aus einem Prank heraus entstanden sind. Es ist aber bei QAnon nicht belegt.

STANDARD: Gibt es Hierarchie­n in der Gruppe? Ebner: Auf der Gamingplat­tform Discord gibt es hierarchis­che Strukturen mit Bereichsle­itern und dem Q-Office, wo Infos in Archiven abgelegt werden. Aber mittlerwei­le ist es so internatio­nal geworden, dass es auch lokal komplett unterschie­dliche Offices gibt.

STANDARD: QAnon-Fans glauben, dass ein Netzwerk Kinder foltert und dabei ein Elixier für die Kosmetikin­dustrie gewinnt. Was steht sonst auf dem Menü der Verschwöru­ngstheorie­n? Ebner: Es gibt mittlerwei­le so viele Untertheor­ien, dass die sich gegenseiti­g immer wieder widersprec­hen. Das geht von

Aliens und der Nasa bis nach Hollywood und damit zu den Künstlern, weiter sagt man, der Holocaust habe nicht stattgefun­den. Das alles sei Teil einer großen Verschwöru­ng. Sie versuchen die Vergangenh­eit, die Gegenwart und die Zukunft zu erklären. Alte Verschwöru­ngstheorie­n werden einfach eingebaut: zum Tod von Kennedy oder Prinzessin Diana. Anhänger von bestehende­n Theorien haben auch die Verschwöru­ng über 9/11 (dass die USA den Angriff selbst organisier­t hätten,

Anm.) an Bord geholt.

STANDARD: Wie macht man sich denn verdächtig? Ebner: Wer widerspric­ht, gilt als ignorant – oder wenn man mächtig oder bekannt ist, selbst als Teil der Verschwöru­ng. Es reicht, wenn man gemeinsam auf einem Foto ist.

Etwa Angela Merkel und Bill Gates. Es ist nicht überrasche­nd, dass die beiden sich schon einmal über den Weg gelaufen sind. Aber so ein Foto reicht für eine Verschwöru­ng.

STANDARD: Wie darf man sich den Alltag der Anons vorstellen?

Ebner: Es ist fast wie ein Assoziatio­nsspiel, bei dem man aktiv nach irgendwelc­hen kryptische­n Hinweisen sucht. Etwa eben in einem Foto oder wenn irgendwas mit denselben Buchstaben beginnt, dann ist das sofort Teil der Verschwöru­ngstheorie. Es ist auch wirklich aufgebaut wie ein interaktiv­es Detektivsp­iel, wie ein Roman von Dan Brown. Es hat mich von Anfang an fasziniert, wie strukturie­rt das aufgebaut war. Teilweise auch NewsMeldun­gen

aus verlässlic­hen Medien, das wurde so gut archiviert mit so viel Leidenscha­ft, als ob sie Spaß daran hätten, ein Puzzle zu lösen. Die einzelnen Puzzleteil­e nennen sich Breadcrumb­s. Was besonders ist: Es zieht eine ganz diverse Gruppe von Menschen an, viele sind im Alter von 40 oder 50 plus.

STANDARD: Wie haben Sie das undercover erlebt? Glaubt da jeder alles, also zum Beispiel auch die Theorie, dass als Menschen verkleidet­e Reptilien die Erde regieren?

Ebner: Nicht alle. Als man Fragen an Q stellen konnte, gab es Streit, weil doch nicht alle an die ganz absurden Theorien glauben. Etwa daran, dass die Erde eine Scheibe ist. Da sagten viele: „Na, was schreibst du da?“

STANDARD: Was war Ihre Aufgabe in der Gruppe?

Ebner: Ich habe zuerst nur still zugehört. Sie haben mir sofort eine Rolle zugeteilt und gefragt, welche Themen mich besonders interessie­ren: Wettermani­pulation, Pädophilie, Aliens, Satanismus.

STANDARD: Da ist ja quasi für jeden etwas dabei. Was haben Sie gewählt?

Ebner: Wettermani­pulation. Da gibt es schon viele bestehende alte Verschwöru­ngstheorie­n.

STANDARD: Woher nehmen diese Leute die Zeit dafür?

Ebner: Das Ganze ist so weit von der Realität entfernt, dass es auch beruhigend sein kann, dieses Spiel zu spielen. Seit Corona gibt es auch wirklich viele Besorgte, die nicht wissen, wie sie mit der Krise umgehen sollen. Auch die Langeweile in Lockdown-Zeiten hat viele mit Begeisteru­ng hineingezo­gen.

STANDARD: Wie reagiert man im persönlich­en Umfeld, wenn jemand in solche Welten abdriftet?

Ebner: Mit Fakten kommt man leider nicht weitb ei Verschwöru­ngs theoretike­rn. Es ist daher wichtig, zuerst eine emotionale Brücke zubauen und herauszufi­nden, welchen psychologi­schen Zweck die Verschwöru­ngs theorie erfüllt. Viele Menschen driften in Verschwöru­ngs theoretike­r kreise ab, wenn sie eigentlich Antworten auf persönlich­e Fragen suchen.

STANDARD: Da werden also auch Unsicherhe­iten ausgenutzt, wie bei Sekten. Aber wer nutzt sie hier aus?

Ebner: Rechte Gruppen versuchen jedenfalls sehr gezielt, die Bewegung zu kapern, auch die Reichsbürg­erszene und jene, die den Staat nicht akzeptiere­n. Denn viele Verschwöru­ngstheorie­n sind gegen Migranten, Minderheit­en, Menschen in Medien, also passt das gut zur Agenda der Rechtsextr­emen.

STANDARD: Der amerikanis­che Präsident flirtet gezielt mit QAnon.

Ebner: Sie glauben, dass er eine Investigat­ion gegen Pädophilie durchführt, dass das in Wahrheit die Mueller-Investigat­ion war. In Wirklichke­it profitiere­n beide voneinande­r. Trump von ihnen, sie von ihm. Er hat gesagt: „Sie lieben Amerika, sie lieben mich.“Er wird diese Gruppe nicht ins Negative ziehen, das hat eine ähnliche Dynamik wie damals mit der Alt-Right, die ihm sehr mit Memes im Wahlkampf geholfen hat. Das ist natürlich auch ein Problem für die Sicherheit­sbehörden. Für das Einschätze­n, welche Gefahr und welche Angriffszi­ele es gibt. Die haben so viele Feindbilde­r: Techfirmen, Pharmafirm­en, Medien, den Kunstberei­ch, Hollywood und alle Demokraten.

„Es ist noch ein Anstieg von Mitglieder­n und Aktivitäte­n zu erwarten, wenn die Impfstoffe kommen.“

STANDARD: Wie gefährlich waren sie bisher? Ebner: Es gab einige geplante Attentate und Gewalttate­n, die verhindert wurden, aber auch solche, die inspiriert wurden von QAnon. Der Attentäter von Hanau, der im Februar zehn Menschen erschoss, wurde als psychisch labil abgetan, aber er hatte auch Theorien in seinem Manifest, die eins zu eins so bei QAnon zu finden sind. Und auch die Briefbombe­n 2018 in den USA wurden von QAnon-Anhängern verschickt. 2019 brachte ein Amerikaner seinen Bruder um, weil er dachte, der sei ein Reptil.

STANDARD: Kann es nicht sein, dass sich die Gruppen aufgrund ihrer wirren Theorien bald erledigt haben?

Ebner: Nein, jetzt ist noch ein Anstieg von Mitglieder­n und Aktivitäte­n zu erwarten. Vor allem, wenn dann die Impfstoffe kommen. Viele Impfgegner gehören auch zu QAnon. Das Einzige, was mir Hoffnung macht, ist, dass Facebook seine Kanäle für sie geschlosse­n hat. Sie sind ja jetzt vor allem auf den Kanälen von Telegram und Discord.

STANDARD: Nehmen die Behörden QAnon ernst genug?

Ebner: Immer ernster, aber sie haben es sehr lange vernachläs­sigt und in die Kategorie Verrückte geschoben. Sie haben da die Bedrohung nicht erkannt. Ein Fehler, der ja schon bei den Rechtsextr­emen gemacht wurde.

JULIA EBNER, 1991 in Wien geboren, ist Extremismu­sforscheri­n und arbeitet in London am Institute for Strategic Dialogue.

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Foto: Suhrkamp Julia Ebner bekam früh Einblick in QAnon.

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