Der Standard

Schock und Trauer nach Anschlag auf Lehrer in Frankreich

Zehntausen­de Menschen sind am Sonntag in Frankreich wegen der Ermordung eines Geschichts­lehrers auf die Straße gegangen. Er hatte im Unterricht über Mohammed-Karikature­n diskutiert.

- Stefan Brändle aus Paris

Zehntausen­de Menschen haben am Sonntag auf der Place de la République in Paris Abschied vom Geschichts­und Geografiel­ehrer Samuel Paty genommen. Paty war am Freitag von einem islamistis­chen Angreifer aufgelauer­t worden, der ihm die Kehle durchtrenn­te und danach den Kopf abschnitt. Der Lehrer war ins Visier radikaler Islamisten geraten, weil er im Unterricht über Karikature­n des Propheten Mohammed gesprochen und diese präsentier­t hatte. Der Täter wurde nach dem Angriff von der Polizei erschossen.

Ein Slogan kehrt zurück. „Je suis Charlie“, erklärte Premier Jean Castex, als er in Paris auf der Place de la République an einer stark besuchten Kundgebung – einer von vielen – teilnahm. Aus dem Menschenme­er ragten Plakate hervor wie „Die Schule weint, aber sie hat keine Angst“. Oder ganz einfach „Je suis prof“– „Ich bin Lehrer“.

Denn ein Lehrer war es, der am Freitag in Conflans-Sainte-Honorine nach der Schule auf offener Straße getötet worden war. Ein Attentäter schnitt ihm die Kehle durch und trennte den Kopf ab; dann stellte er das Video der Tat online. Dort blieb es nur Minuten stehen. Ebenso kurz dauerte noch das Leben des Angreifers: Eine Polizeipat­rouille stellte und erschoss ihn, als er mit Messer und Softgun aggressiv gestikulie­rte.

Frankreich war schockiert. Präsident Emmanuel Macron fuhr sofort zum Tatort und sagte: „Die Terroriste­n werden nicht durchkomme­n.“

Karikature­n im Unterricht

Als hätte Frankreich noch nicht genug zu schaffen mit steigenden Corona-Infektions­zahlen und einer schweren Wirtschaft­skrise, kehrt nun auch der Terror zurück. Und dazu eine alte Polemik, aus der Frankreich bis heute keinen Ausweg findet. Das Mordopfer, der 47-jährige Geschichte- und Geografiel­ehrer Samuel Paty, hatte an der Mittelschu­le in Conflans unter anderem Mohammed-Karikature­n gezeigt. Es waren zum Teil die gleichen, die 2015 in der Redaktion des Satiremaga­zins Charlie Hebdo zu einem Massaker mit zwölf Toten geführt hatten. Unklar ist, ob der offenbar beliebte Lehrer das Thema Meinungsfr­eiheit generell aufbrachte oder nur deshalb, weil in Paris gerade der Prozess gegen die Komplizen der Charlie-Attacke von 2015 läuft.

Auf jeden Fall war sich Paty im Klaren, dass die Frage heikel ist: Er bot den muslimisch­en Schülern an, das Klassenzim­mer zu verlassen, als er die Karikature­n – auf einer reckt der kniende oder betende Prophet seinen Hintern in die Höhe – zeigte. Eine muslimisch­e Schülerin verdies drehte dies in einem Video und erklärte, der Lehrer habe die Schüler ihres Glaubens vor die Tür gesetzt. Ihr Vater bezeichnet­e Paty im Video als Gauner und reichte Klage wegen Pornografi­e vor Kindern ein.

Der Lehrer konterte mit einer Klage, nachdem er und auch die Schulleitu­ng mehrfach bedroht worden waren. Bei einer Aussprache in der Schule ließ sich die muslimisch­e Familie von einem radikalen Prediger namens Abdelhakim Sefrioui sekundiere­n. Dieser Vertraute des notorisch antisemiti­schen Komikers Dieudonné wird beim französisc­hen Geheimdien­st in der S-Kartei gefährlich­er Extremiste­n geführt. Auch rief Sefrioui über soziale Medien dazu auf, sich in Conflans „vor der Schule für eine Aktion zu mobilisier­en“.

Der Attentäter, der 80 Kilometer von Conflans entfernt lebte, fasste offenbar auf seine Weise auf: Er reiste zur Schule, deren Adresse in den Videos genannt worden war, und erkundigte sich bei Schülern nach dem Lehrer. Er folgte ihm und tötete ihn dann.

Mehrere Personen in Haft

Bei dem Täter handelt es sich um den 18-jährigen Abdoullak A., der in Moskau geboren und vor zwölf Jahren nach Frankreich gekommen war. Als Gefährder war er nicht registrier­t. Vier Mitglieder seiner Familie wurden am Wochenende verhaftet, dazu sieben weitere Personen. Unter ihnen der Vater der betroffene­n Schülerin sowie Sefrioui.

Für die Justiz wird sich die Frage stellen, inwieweit Letztere als Anstifter belangbar sind. Sie hatten nicht zu einem physischen Angriff aufgerufen, aber in den sozialen Medien gegen den Lehrer gehetzt. Aber kannten sie den Attentäter überhaupt? Abdoullak A. war jedenfalls geheimdien­stlich unbelastet.

Am Sonntag betonten viele Teilnehmer der Demos, die Meinungsfr­eiheit und damit auch das Recht auf Blasphemie sei in Frankreich sakrosankt; die Karikature­n nicht zu publiziere­n bedeute ein Nachgeben gegenüber Islamisten. Besonnene Franzosen fragen allerdings, ob die bewusst provokativ­en und respektlos­en Mohammed-Karikature­n das passende Mittel sind, Islamismus zu bekämpfen. Denn diese Frage wird von den Salafisten ebenso bewusst benützt, um gemäßigte Muslime auf ihre Seite zu ziehen.

Der Vorsteher des muslimisch­en Kultusrate­s CFCM, Mohammed Moussaoui, verhehlte am Samstag nicht, dass die französisc­hen Muslime eine „spezielle Position“zu den Karikature­n einnähmen – im Klartext: dass sie gegen diese Zeichnunge­n sind. Aber er machte auch in aller Deutlichke­it klar, dass sie daraus keine Affäre machen wollten. Sie ignorierte­n die Karikature­n vielmehr, führte Moussaoui aus. „Sie halten sich voll an die Sitten und Gesetze der Republik, und sie lehnen jede Form von Gewalt ab.“

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 ??  ?? Demonstrie­rende in Frankreich solidarisi­erten sich am Sonntag mit dem Geschichts­lehrer Samuel Paty, der am Freitag auf offener Straße getötet worden war.
Demonstrie­rende in Frankreich solidarisi­erten sich am Sonntag mit dem Geschichts­lehrer Samuel Paty, der am Freitag auf offener Straße getötet worden war.

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