Rot-Türkis – (k)eine neue, alte Koalition
Bürgermeister Michael Ludwig ist gut beraten, wenn er sich die Möglichkeiten von Koalitionen offen hält, natürlich mit Ausnahme der Freiheitlichen. Bei Rot-Türkis eine Wiederbelebung der alten großen Koalition zu sehen ist aber völlig verfehlt. Die politische Ausgangslage heute ist anders, eine rot-schwarze Verbindung hat in Wien seit Ewigkeiten nicht mehr existiert.
Einfluss auf eine Stadtverwaltung zu nehmen, die seit hundert Jahren (mit Ausnahme von 1934 bis 1945) in SPÖHänden war, ist keine leichte Aufgabe. Selbst wenn in einer Regierungsvereinbarung einiges von „türkiser Handschrift“drinnen steht, ist doch die Frage sehr groß, wie es wirklich realisiert werden kann. Die Zahl der Bezirke mit türkisen Bezirksvorstehern ist auch beim guten Wahlergebnis nicht größer, sondern kleiner geworden – der Druck von „unten“wird also bescheidener. Die Möglichkeit, dass die Wiener Sozialdemokraten die Grünen als Partner anbringen wollen, weil sie doch streckenweise sehr mühsam waren, ist zu wenig, um eine aktionsfähige Zusammenarbeit in RotTürkis zu etablieren.
Der SPÖ näher kommen
Türkis sollte sich eher darauf konzentrieren, noch stärker zu werden. Die ÖVP ist gegenwärtig mit ihrer Zahl der Mandate das einzige wirkliche Gegengewicht zur SPÖ, aber doch noch ein beträchtliches Stück von Macht und Einfluss entfernt. Es wäre sicher sinnvoller, eine Strategie zu entwickeln, wie man der SPÖ mandatsmäßig noch näher kommen kann.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Regierungstätigkeit von Sebastian Kurz und Co möglicherweise ein Grund sein könnte, dass eine rot-türkise Koalition Druck auf die Bundesregierung ausüben muss, um verschiedene
Entscheidungen im Sinne von Wien zu treffen.
Wenn Türkis in Wien einen Erfolg erzielen will, dann muss die Partei eine eigene Linie entfalten, um damit auch zu einem noch schwierigeren Partner zu werden, als es die Grünen gewesen sind. Diese aber haben zehn Jahre Erfahrung im Rathaus, die die ÖVP gegenwärtig nicht hat. Die Mitte stärken
So schön es ist, in einer Regierung vertreten zu sein oder vielleicht den einen oder anderen Posten vergeben zu können (bestenfalls im Stadtratssekretariat, nicht aber in der Hochbürokratie), die Sichtbarmachung der eigenen Position mit der Chance, zusätzliche Stimmen zu gewinnen, steht nicht in einem erfolgversprechenden Licht.
Türkis hat eine große Aufgabe, nämlich die nun gewonnenen oder wiedergewonnenen Wähler zu überzeugen und bleibend in der Mitte zu verankern. Eine Stärkung von Türkis kann nur aus der Mitte erfolgen, denn es sollte nicht vergessen werden, dass beträchtliche Mengen blauer Wähler gegenwärtig in der hohen Zahl von Nichtwählern des 11. Oktober 2020 zu Hause sind. Diese Überlegungen sollten für Türkis relevant sein!
Die Bedeutung einer Entscheidung für Türkis ist für die SPÖ leichter nachzuvollziehen, weil sie damit Druck auf die Bundesregierung durch Türkis ausüben kann und für Wien und Bund ein zusätzliches Spannungsverhältnis aufzieht. Aber: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine SPÖ den Finanzstadtrat – den Gernot Blümel verlangt – als Letztes hergibt! Warnung an Neos: Der Bildungsstadtrat ist der vorletzte, den die SPÖ abgeben würde!