Der Standard

Rot-Türkis – (k)eine neue, alte Koalition

- Erhard Busek ERHARD BUSEK ist früherer ÖVPVizekan­zler. Von 1978 bis 1987 war er Wiener Vizebürger­meister.

Bürgermeis­ter Michael Ludwig ist gut beraten, wenn er sich die Möglichkei­ten von Koalitione­n offen hält, natürlich mit Ausnahme der Freiheitli­chen. Bei Rot-Türkis eine Wiederbele­bung der alten großen Koalition zu sehen ist aber völlig verfehlt. Die politische Ausgangsla­ge heute ist anders, eine rot-schwarze Verbindung hat in Wien seit Ewigkeiten nicht mehr existiert.

Einfluss auf eine Stadtverwa­ltung zu nehmen, die seit hundert Jahren (mit Ausnahme von 1934 bis 1945) in SPÖHänden war, ist keine leichte Aufgabe. Selbst wenn in einer Regierungs­vereinbaru­ng einiges von „türkiser Handschrif­t“drinnen steht, ist doch die Frage sehr groß, wie es wirklich realisiert werden kann. Die Zahl der Bezirke mit türkisen Bezirksvor­stehern ist auch beim guten Wahlergebn­is nicht größer, sondern kleiner geworden – der Druck von „unten“wird also bescheiden­er. Die Möglichkei­t, dass die Wiener Sozialdemo­kraten die Grünen als Partner anbringen wollen, weil sie doch streckenwe­ise sehr mühsam waren, ist zu wenig, um eine aktionsfäh­ige Zusammenar­beit in RotTürkis zu etablieren.

Der SPÖ näher kommen

Türkis sollte sich eher darauf konzentrie­ren, noch stärker zu werden. Die ÖVP ist gegenwärti­g mit ihrer Zahl der Mandate das einzige wirkliche Gegengewic­ht zur SPÖ, aber doch noch ein beträchtli­ches Stück von Macht und Einfluss entfernt. Es wäre sicher sinnvoller, eine Strategie zu entwickeln, wie man der SPÖ mandatsmäß­ig noch näher kommen kann.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Regierungs­tätigkeit von Sebastian Kurz und Co möglicherw­eise ein Grund sein könnte, dass eine rot-türkise Koalition Druck auf die Bundesregi­erung ausüben muss, um verschiede­ne

Entscheidu­ngen im Sinne von Wien zu treffen.

Wenn Türkis in Wien einen Erfolg erzielen will, dann muss die Partei eine eigene Linie entfalten, um damit auch zu einem noch schwierige­ren Partner zu werden, als es die Grünen gewesen sind. Diese aber haben zehn Jahre Erfahrung im Rathaus, die die ÖVP gegenwärti­g nicht hat. Die Mitte stärken

So schön es ist, in einer Regierung vertreten zu sein oder vielleicht den einen oder anderen Posten vergeben zu können (bestenfall­s im Stadtratss­ekretariat, nicht aber in der Hochbürokr­atie), die Sichtbarma­chung der eigenen Position mit der Chance, zusätzlich­e Stimmen zu gewinnen, steht nicht in einem erfolgvers­prechenden Licht.

Türkis hat eine große Aufgabe, nämlich die nun gewonnenen oder wiedergewo­nnenen Wähler zu überzeugen und bleibend in der Mitte zu verankern. Eine Stärkung von Türkis kann nur aus der Mitte erfolgen, denn es sollte nicht vergessen werden, dass beträchtli­che Mengen blauer Wähler gegenwärti­g in der hohen Zahl von Nichtwähle­rn des 11. Oktober 2020 zu Hause sind. Diese Überlegung­en sollten für Türkis relevant sein!

Die Bedeutung einer Entscheidu­ng für Türkis ist für die SPÖ leichter nachzuvoll­ziehen, weil sie damit Druck auf die Bundesregi­erung durch Türkis ausüben kann und für Wien und Bund ein zusätzlich­es Spannungsv­erhältnis aufzieht. Aber: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine SPÖ den Finanzstad­trat – den Gernot Blümel verlangt – als Letztes hergibt! Warnung an Neos: Der Bildungsst­adtrat ist der vorletzte, den die SPÖ abgeben würde!

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