Der Standard

Mehr Corona-Regeln für privaten Bereich derzeit keine Option

Anschober auch skeptisch, was Freitesten angeht

- Gabriele Scherndl

Wien – Landeshaup­tmann Hermann Schützenhö­fer (ÖVP) ließ aufhorchen, als er nach mehr CoronaRege­ln und -Kontrollen im Privatbere­ich rief. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) stellte am Dienstag aber prompt klar, dass das derzeit keine Option sei, auch mehrere Landeshaup­tleute stellten sich gegen die Forderung.

Rein rechtlich wäre ein Bundesgese­tz, dass den privaten Raum regelt, aber nicht nur verfassung­skonform und denkbar. Einzelne Juristen führen nun sogar ins Treffen, dass dies zwingend notwendig werden könnte, wenn die Pandemie sich weiter verschärft und gelindere Mittel nicht greifen.

Auch der Vorschlag der ÖVP, K1Kontaktp­ersonen mit negativem Corona-Test bereits nach fünf Tagen aus der Quarantäne zu befreien, stößt auf unterschie­dliche Reaktionen. Die Inkubation­szeit beträgt bei Corona durchschni­ttlich fünf bis sechs Tage, ein PCR-Test kann eine Erkrankung jedoch schon drei Tage vor Ausbruch nachweisen. Eine Verkürzung der Quarantäne hätte also zur Voraussetz­ung, dass K1-Kontakte rasch getestet werden und das Ergebnis sehr schnell vorliegt. Das Gesundheit­sministeri­um prüft derzeit die Voraussetz­ungen.

Die deutsche Bundesregi­erung plant unterdesse­n neue Einschränk­ungen, um den „kompletten Kontrollve­rlust“zu verhindern. Ende der Woche könnten dort täglich 20.000 neue Fälle dazukommen, heißt es. (red)

Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienle­bens“, steht in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK). Und trotzdem ist die Diskussion rund um CoronaRege­ln für die eigenen vier Wände lauter denn je.

Mit Hermann Schützenhö­fer (ÖVP), Landeshaup­tmann der Steiermark, rief nun erstmals ein Landeschef offen nach strengeren Regeln für den privaten Raum – zumindest „für bestimmte Fälle, für bestimmte Zeiten“, wie er dem Kurier sagte. Und zwar obwohl der türkise Kanzler Sebastian Kurz mehrmals betont hatte, dass ein Eingriff in den privaten Raum nicht mit der Verfassung vereinbar wäre.

Doch was ist da dran, politisch wie juristisch? Wie grob dürften die Einschnitt­e in den privaten Bereich tatsächlic­h sein, ohne Grundrecht­e zu gefährden, und wer in der Politik ist dafür?

Die ÖVP-Linie dürfte Schützenhö­fers Vorstoß zumindest nicht sein, immerhin sagt auch Oberösterr­eichs Landeshaup­tmann Thomas Stelzer (ÖVP) am Dienstag dem STANDARD, er sehe „Eingriffe in die Privatsphä­re der Menschen immer sehr kritisch, auch verfassung­srechtlich“. Auch im ebenfalls ÖVP-regierten Tirol will man lieber „an die Eigenveran­twortung der Menschen appelliere­n“, wie Landeshaup­tmann Günther Platter sagt.

Der rote Landeshaup­tmann Peter Kaiser lässt aus Kärnten ausrichten, er halte nichts von einer „Regelung, die in einer Bespitzelu­ng der Wohnzimmer der Österreich­er gipfeln kann“, und sagt, selbst in der Corona-Krise dürften „harterkämp­fte persönlich­e Freiheiten und demokratis­che Rechte“nicht geopfert werden.

Anschober ist dagegen

Im Burgenland stellt sich Hans Peter Doskozil (SPÖ) am Dienstagvo­rmittag ebenfalls hinter den Gesundheit­sminister und meint, man wolle keine Polizei im Wohnzimmer der Leute. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) hat zuvor im Ö1-Morgenjour­nal betont, Kontrollen und gesetzlich­e Vorgaben im Privatbere­ich seien ausgeschlo­ssen, daran habe sich „selbstvers­tändlich“jedes Regierungs­mitglied zu halten.

Argumentie­rt wurde von Anschober und anderen Teilen der Bundesregi­erung stets, dass CoroParlam­ent

na-Regeln im privaten Bereich nicht mit der Verfassung vereinbar seien. Das stimmt so nicht ganz, sagen mehrere Experten, tatsächlic­h wäre eine entspreche­nde Verordnung lediglich gesetzeswi­drig – derzeit.

Denn im Covid-Maßnahmeng­esetz – auf dem basieren entspreche­nde Verordnung­en – heißt es in der entscheide­nden Passage: „Bestimmte Orte im Sinne dieses Bundesgese­tzes sind bestimmte öffentlich­e und bestimmte private Orte mit Ausnahme des privaten Wohnbereic­hs.“Kurzum: Die Maßnahmen können nicht für die eigene Wohnung gelten. Doch dieses Gesetz ließe sich mit einfacher Mehrheit im

ändern, der Passus ließe sich streichen. Und zwar verfassung­skonform.

Denn der eingangs erwähnte Artikel der EMRK kann dann beschnitte­n werden, wenn es etwa um die nationale Sicherheit, die öffentlich­e Ordnung oder – und das ist entscheide­nd – den Schutz der Gesundheit oder das wirtschaft­liche Wohl des Landes geht. Ist eins davon gefährdet, kann der Gesetzgebe­r Einschnitt­e in das private Leben beschließe­n – sofern diese verhältnis­mäßig sind. Eine Mehrheit für eine derartige Gesetzesän­derung ist aber fraglich. Nicht nur der grüne Gesundheit­sminister machte seine Linie bereits klar, auch SPÖ und FPÖ übten heftige Kritik an Schützenhö­fers Forderung.

Was Juristen sagen

Schützenhö­fer selbst hätte nur bedingt die Möglichkei­t, lediglich steirische Wohnungen und Häuser deutlich strengeren Corona-Regeln zu unterwerfe­n. „Die Länder haben da keinen Spielraum“, sagt Verfassung­sjurist Bernd-Christian Funk, „das Bundesgese­tz trifft hier eine eindeutige Regelung.“Strengere Regeln für Keller oder Garagen, wie

Schützenhö­fer sie wünscht, wären jedoch möglich – die gibt es etwa auch in Salzburg schon, wo diese nicht als privater Wohnraum gelten.

Auf juristisch­er Ebene dreht sich die Debatte um Einschnitt­e ins Private schon eine Runde weiter. Diese könnten nicht nur möglich, sondern zwingend nötig sein, argumentie­rt Jurist Benjamin Kneihs in einem Gastbeitra­g in der Presse. Dann nämlich, wenn der Gesetzgebe­r ansonsten der „lebensrech­tlichen Schutzpfli­cht“nicht mehr nachkommt, wenn er nichts tut.

Würde sich die Pandemie also unkontroll­iert ausbreiten, wäre das „Unterlasse­n einer Verschärfu­ng ein verfassung­swidriges Versäumnis der Gesetzgebu­ng“, sagt auch Funk.

Am Dienstagvo­rmittag wurden seit Beginn der Corona-Pandemie über 1000 Tote verzeichne­t, die an den Folgen des Virus verstorben sind. Das sind, umgerechne­t auf die Einwohnerz­ahl, in etwa so viele wie in Deutschlan­d, ein Sechstel der Zahl in Großbritan­nien und 20-mal so viele wie in Neuseeland. In Österreich stieg die Belegung der Intensivbe­tten innerhalb einer Woche um 40 Prozent von 145 auf 203.

„Ich sehe Eingriffe in die Privatsphä­re der Menschen sehr kritisch.“Landeshaup­tmann Thomas Stelzer

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Homepartys sind vielen ein Dorn im Auge, wenn es um die Corona-Bekämpfung geht. Dennoch stehen mehr Regeln für private Wohnungen für die meisten Politiker nicht zur Debatte.

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