Der Standard

Trump setzt im Wahlkampf auf Justiz-Rückenwind

Ernennung Barretts zur Höchstrich­terin fixiert

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Washington – US-Präsident Donald Trump kann im Finish des Wahlkampfs bei seiner konservati­ven Basis mit einem Erfolg punkten. Nach ihrer Bestätigun­g durch den Senat ist seine erzkonserv­ative Kandidatin für das Höchstgeri­cht, Amy Coney Barrett, am Montag zeremoniel­l im Weißen Haus und am Dienstag rechtlich bindend im Supreme Court angelobt worden. Trump hat damit insgesamt drei der neun auf Lebenszeit vergebenen Stellen am Höchstgeri­cht besetzt. Die Demokraten kritisiert­en den Schritt – sie argumentie­ren, dass eine derart gewichtige Entscheidu­ng nicht so kurz vor der Wahl getroffen werden sollte. Zudem sind sie wegen des möglichen Einflusses Barretts auf das Votum in Sorge. Der Supreme Court wird sich womöglich auch mit Fällen beschäftig­en müssen, die Fragen rund um etwaige knappe Wahlergebn­isse betreffen. (red)

Wieder steht Donald Trump auf dem hellerleuc­hteten Balkon des Weißen Hauses, wie schon vor drei Wochen nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhau­s. Wieder lässt er sich feiern, diesmal mit der frischgekü­rten Verfassung­srichterin Amy Coney Barrett an seiner Seite. Der Präsident hat auf Eile gedrängt. Noch am Montagaben­d, nur eine Stunde nach ihrer Bestätigun­g durch den Senat, ließ er die Juristin auf dem South Lawn den vorgeschri­ebenen Eid auf die Verfassung ablegen.

Der Jurist, der die Formel vorträgt, die sie nachzuspre­chen hat, Clarence Thomas, ist der einzige Afroamerik­aner in der Neunerrund­e der Höchstrich­ter. Auch davon verspricht sich Trump ein Stück Wahlkampfs­ymbolik, als Entgegnung an alle, die ihn für einen Rassisten halten. Dann geht es hinauf zum Balkon. Feierliche Musik. Prasselnde­r Applaus, von unten, wo dutzende geladene Gäste versammelt sind. Aus den Bildern der Zeremonie lässt der Amtsinhabe­r sofort einen Werbefilm drehen, den er noch in der Nacht via Twitter verbreitet.

„Verspreche­n gegeben! Verspreche­n gehalten!“lautet ein Slogan, den seine Kampagne fast so oft bemüht wie das „Make America Great Again“. Nun ist es, durch den Zufall begünstigt, bereits das dritte Mal in knapp vier Amtsjahren, dass er entscheide­t, wer eine vakante Stelle am Obersten Gerichtsho­f besetzt. Kaum einer seiner Vorgänger konnte in so kurzer Zeit so viele Höchstrich­ter benennen. Trump, darf man annehmen, wird sich in der verbleiben­den Woche bis zum Votum in lautesten Tönen seiner Bilanz rühmen, seines erfüllten Verspreche­ns.

Kontrast zu RBG

Damit will er evangelika­le Christen mobilisier­en, eine Wählergrup­pe, die 2016 zu 80 Prozent für ihn gestimmt hat. Dass mit Barrett eine tiefreligi­öse Richterin in den Supreme Court einzieht, übertrifft in deren Augen ziemlich alles, was der Präsident bisher sonst getan hat.

Barrett, Mutter von sieben Kindern, darunter zwei aus Haiti adoptierte­n, ist erst die fünfte Frau in der 231-jährigen Geschichte des Verfassung­sgerichts. Inhaltlich steht die Katholikin für das komplette

Frank Herrmann aus Washington Kontrastpr­ogramm zu Ruth Bader Ginsburg, ihrer im September verstorben­en Vorgängeri­n, die das liberale Amerika wie eine Ikone verehrte und ehrfurchts­voll als RBG abkürzte. Ginsburg ließ sich von dem Grundsatz leiten, dass Verfassung­sparagrafe­n dem Sinn und nicht dem Buchstaben nach auszulegen sind. Gesellscha­ftlicher Wandel müsse sich auch in der Rechtsprec­hung widerspieg­eln. Barrett dagegen gehört zur Schule der Originalis­ten, die wortwörtli­ch nimmt, was die Gründer der Republik im 18. Jahrhunder­t zu Papier brachten. In der juristisch­en Praxis bedeutet es, verbunden mit ihren religiösen Überzeugun­gen, dass sie sowohl dem 1973 legalisier­ten Schwangers­chaftsabbr­uch als auch der seit 2015 erlaubten Ehe für alle skeptisch gegenübers­teht. Sollten Fälle, in denen Kläger beides auszuhebel­n versuchen, demnächst vor dem Supreme Court landen, könnte eine nunmehr eindeutig konservati­ve Richtermeh­rheit (sechs zu drei) bahnbreche­nde Urteile aus der Vergangenh­eit kippen.

Am Montagaben­d vom Senat bestätigt, kann die 48-Jährige, falls sie das Alter Ginsburgs erreicht, noch ungefähr vier Dekaden in höchster Instanz Recht sprechen. Gerade weil Höchstrich­ter auf Lebenszeit ernannt werden, hatten die Demokraten darauf gedrängt, mit der Entscheidu­ng bis nach der Präsidents­chaftswahl zu warten. Nur der Sieger des Votums, argumentie­rten sie, dürfe eine derart folgenschw­ere Weichenste­llung vornehmen.

Das amerikanis­che Volk werde einen so „krassen Fall von Böswilligk­eit“

nie vergessen, wetterte Charles Schumer, Fraktionsc­hef der Opposition, unmittelba­r vor der Abstimmung im Senat. Der 26. Oktober 2020 werde als einer der dunkelsten Tage in die Annalen des Senats eingehen. „Keine einzige Regel wurde gebrochen, all die haarsträub­enden Behauptung­en sind völlig absurd“, entgegnete Mitch McConnell, die Nummer eins der Republikan­er in der Kammer. McConnell, der den Demokraten im letzten Amtsjahr Barack Obamas in ähnlicher Lage die Installier­ung des moderaten Richters Merrick Garland über Monate verbaut hatte, ließ sich nicht davon abbringen, Barrett in einem vierwöchig­en Schnellver­fahren durchzuset­zen.

Die 53 republikan­ischen Senatoren gaben der Richterin tatsächlic­h fast geschlosse­n ihren Segen. Einzig Susan Collins, eine gemäßigte Konservati­ve aus Maine, scherte aus. Es hat damit zu tun, dass sie nächste Woche in dem eher liberalen Neuengland-Staat wiedergewä­hlt werden will. Die 47 Demokraten stimmten allesamt gegen Barrett, was einmal mehr illustrier­t, wie verhärtet die politische­n Fronten inzwischen sind. Ginsburg war 1993 noch nahezu einmütig, mit 96-fachem Ja, bestätigt worden.

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Amy Coney Barrett bei der Zeremonie im Weißen Haus. Flankiert wird sie von ihrem Mann Jesse (links), Präsident Trump (rechts) und Höchstrich­ter Clarence Thomas (ganz rechts).

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