Der Standard

Wiener Grüne zwischen Schock und Hoffnung

Nach der Entscheidu­ng der SPÖ, Verhandlun­gen mit den Neos zu starten, will der bisherige Partner die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Inhaltlich gebe es große Differenze­n zwischen Rot und Pink, sagt Grünen-Chefin Birgit Hebein.

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Die Bandbreite menschlich­er Mimik lässt sich Dienstagna­chmittag gut verfolgen. Um 13.30 Uhr tritt der Wiener NeosChef Christoph Wiederkehr unter den Arkaden am Friedrich-SchmidtPla­tz strahlend vor die Kameras und Schreibblö­cke der Medien und schwelgt begeistert in den Möglichkei­ten, die eine SPÖ-Neos-Koalition für Wien bieten könnte.

Eine Stunde später sehen dieselben Journalist­innen und Journalist­en im Halbparter­re des schräg gegenüberl­iegende Rathauses die amtierende Vizebürger­meisterin und Grünen-Chefin Birgit Hebein. Die ringt bei ihrer Stellungna­hmen zur aktuellen Entwicklun­g darum, dass ihre Gesichtszü­ge nicht entgleiten, und wirkt ehrlich erschütter­t. Mantraarti­g wiederholt sie, dass die Türen der Grünen offen bleiben würden – für die SPÖ und Bürgermeis­ter Michael Ludwig.

Und sie erinnert an die zehn guten Jahre, die die beiden Parteien miteinande­r hatten und noch haben könnten. Denn: Als Grüne halte man Privatisie­rungen, etwa von Spitälern, oder Änderungen des Mietrechts für verfehlt. „Da passt kein Blatt zwischen uns und die SPÖ.“Eine „ausgehunge­rte Sozialstad­t Wien“dürfe gerade während der Corona-Krise nicht zur Diskussion stehen. Nach ihrem Dafürhalte­n lägen diesbezügl­ich „ganze

Papierfabr­iken zwischen den Neos und der SPÖ“, hofft sie auf ein Scheitern der Koalitions­verhandlun­gen.

Fragen, ob es vielleicht an ihrer Person liege, dass Ludwig die Neos präferiere, beantworte­t Hebein nicht direkt. „Ich halte Stimmungsb­ilder, die transporti­ert wurden, für völlig falsch“, man habe in der Rathauskoa­lition „immer konstrukti­v zusammenge­arbeitet“. Erfreut seien sie und die Grünen über die Bürgermeis­terentsche­idung aber nicht, schließlic­h hätten die Partei und sie bei der jüngsten Wahl ja auch das beste Ergebnis der Geschichte geholt. Aber, leicht fatalistis­ch: „Die SPÖ hat diese Entscheidu­ng getroffen.“

Nicht festlegen will sie sich daher auch, ob sie im Fall einer Opposition­srolle Klubobfrau oder nichtamtsf­ührende Stadträtin werden wolle. Denn die Hoffnung auf eine Verlängeru­ng beziehungs­weise „einen Neustart“der Koalition, mit der die Grünen auch im Wahlkampf geworben haben, scheint noch zu leben. „Es gibt keine Inhalte, die nicht überbrückb­ar sind“, drückt Hebein es aus.

Ob ein Termindruc­k drohe, wenn Ludwig nach einem Scheitern der Verhandlun­gen mit den Neos doch durch die offene Tür der Grünen kommen würde? Schließlic­h hat der Bürgermeis­ter im Vorfeld ja eine

Michael Möseneder

Regierungs­bildung bis Mitte November avisiert. „Wo ein Wille, da ein Weg“, meint die Grünen-Frontfrau lapidar.

Die dritte Partei, mit der die SPÖ sondiert hat, die Wiener ÖVP, nimmt die Entscheidu­ng offiziell gelassen. „Dieses Ergebnis war erwartbar und kommt nicht überrasche­nd“, hieß es in einer Aussendung am Dienstag. Aus Sicht der ÖVP habe sich die SPÖ „für den bequemsten Weg mit dem schwächste­n Partner“entschiede­n.

Von Haus aus nicht im Rennen um einen Platz neben Ludwig waren ja die Freiheitli­chen. „Die Neos haben das Anbiederun­gsmatch vorerst gewonnen“, kommentier­te der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp die Entscheidu­ng. „Es ist peinlich, wie sich ÖVP, Grüne und Neos dem Bürgermeis­ter Ludwig an den Hals geworfen haben, um als Anhängsel seine Mehrheit absichern zu dürfen. In Wahrheit ging es nur um ,Wer bietet weniger‘, und die Neos haben dieses Match vorerst gewonnen.“

G’riss um Opposition­srolle

Sowohl ÖVP als auch FPÖ reklamiere­n nun die Rolle der „echten“Opposition im Gemeindera­t für sich. Die ÖVP ortet keinen wirklichen Veränderun­gswillen bei der SPÖ und nennt als Beispiele die Integratio­nspolitik oder die Reform der Mindestsic­herung.

„Es liegen ganze Papierfabr­iken zwischen den Neos und der SPÖ.“Birgit Hebein, Grüne

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Die grüne Vizebürger­meisterin Birgit Hebein verspricht, dass die weißen Türen des Rathausklu­bs für die SPÖ offen bleiben.

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