Der Standard

Nächtliche Ausgangssp­erre in Tschechien

Politologe sieht hinter den aktuellen Corona-Zahlen auch ein Versagen der staatliche­n Institutio­nen

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EGerald Schubert

inmal mehr zieht Tschechien bei der Corona-Bekämpfung die Schrauben kräftig an. Ab Mittwoch gilt zwischen 21 Uhr und fünf Uhr früh eine landesweit­e Ausgangssp­erre. Ausgenomme­n sind der Weg von und zur Arbeit sowie unbedingt nötige Maßnahmen zur Gefahrenab­wehr. Auch Gassigehen mit Hunden ist erlaubt, allerdings in einem Radius von maximal 500 Metern um den Wohnort.

Die Maßnahme soll zunächst bis 3. November in Kraft bleiben. Das ist der Tag, an dem der geltende Notstand auslaufen sollte. Allerdings beschloss die Regierung am Dienstag, das Abgeordnet­enhaus um eine Verlängeru­ng des Notstands zu bitten, um die steigenden Corona-Zahlen in den Griff zu bekommen.

Ab Mittwoch dürfen – mit wenigen Ausnahmen wie etwa Tankstelle­n oder Apotheken – auch Geschäfte nur noch zwischen fünf Uhr und 20 Uhr geöffnet sein, am Sonntag müssen sie ganz schließen. In

Tschechien mit seinen liberalen Ladenöffnu­ngszeiten ist beides keine Selbstvers­tändlichke­it. Zudem sind Firmen laut Regierungs­beschluss nun verpflicht­et, Arbeitnehm­er ins Homeoffice zu schicken, sofern es „hinsichtli­ch des Charakters der Tätigkeit möglich ist“.

Tschechien verzeichne­t derzeit gemeinsam mit Belgien die schlechtes­te Entwicklun­g bei den CoronaNeui­nfektionen. Am Dienstag lagen beide Länder bei der 14-Tages-Inzidenz, also der Zahl der positiven Tests während der letzten zwei Wochen pro 100.000 Einwohner, mit jeweils knapp 1400 an der Spitze. Alle anderen EU-Staaten lagen unter 800, etliche sogar im nur zweistelli­gen Bereich. Allein am Montag kamen in Tschechien wieder mehr als 10.000 Neuinfizie­rte dazu.

„Politik der harten Hand“

Die Regierung in Prag hatte sich zu den neuen Maßnahmen entschloss­en, nachdem die bereits gültigen Einschränk­ungen keine Trendwende gebracht hatten. Geschäfte, die nicht der Grundverso­rgung dienen, mussten ja schon vergangene­n Donnerstag schließen. Letztere, also etwa Lebensmitt­elläden, sind weiterhin geöffnet, ab Mittwoch aber eben nicht mehr in den Nachtstund­en.

Auch Ausgangsbe­schränkung­en gibt es bereits – nur dass die Ausnahmen untertags wesentlich weiter gefasst sind als während der viel strikteren nächtliche­n Ausgangssp­erre, die ab Mittwoch gelten soll.

Der tschechisc­he Politikwis­senschafte­r Jiří Pehe sieht hinter den schlechten Zahlen auch schwache Institutio­nen und mangelndes Vertrauen in den Staat. Die „Politik der harten Hand“mit Grenzschli­eßungen und strikter Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum hätte bei der Corona-Bekämpfung im Frühjahr zwar gut funktionie­rt, so Pehe im Gespräch mit dem STANDARD: „Das Virus wurde damals zur äußeren Bedrohung stilisiert. So wurden Instinkte aktiviert, die noch ein Erbe aus der Zeit vor 1989 sind.“

Sobald es aber zu diversifiz­ierten Maßnahmen auf verschiede­nen Ebenen komme, würden die staatliche­n Institutio­nen sowie die Kommunikat­ion zwischen ihnen versagen: „Der Kampf gegen das Virus ist dort am erfolgreic­hsten, wo ein gewisses Vertrauen der Menschen in die Vernunft der Politik herrscht“, so Pehe. In Tschechien, wo Premier Andrej Babiš vor der Regionalwa­hl Anfang Oktober noch unpopuläre Maßnahmen abgelehnt hat, sei genau dies derzeit nicht der Fall.

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Foto: Imago / ČTK / Michal Krumphanzl Premier Babiš muss sich Sorgen um das Gesundheit­ssystem machen.

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