Der Standard

So stark ist Österreich vom Tourismus abhängig

Sollte die Wintersais­on wegen Reisewarnu­ngen abgehakt werden müssen, würde das etwa 1,5 Prozentpun­kte an Wirtschaft­sleistung kosten, schätzen Ökonomen. Mit dem Tourismus hängt irgendwie alles zusammen.

- Günther Strobl

Die stabilisie­rende Wirkung des Tourismus in Krisenzeit­en ist verpufft. Während sich Hotellerie und Gastronomi­e beim Bankencras­h vor gut zehn Jahren noch souverän über Wasser halten und zusätzlich­e Arbeitsplä­tze schaffen konnten, sieht es im Pandemieja­hr 2020 schlimm aus.

Das Argument, „gereist wird immer“, sticht nicht mehr. Regierunge­n raten vor Reisen ab. Und viele Menschen, tief verunsiche­rt durch widersprüc­hliche Informatio­nen, halten sich daran. Geschlosse­ne Grenzen und fehlende Flugverbin­dungen erledigen den Rest.

Seit März sind die Tourismusz­ahlen rückläufig. Für September hat die Statistik Austria am Dienstag ein Minus von 14 Prozent bei den Übernachtu­ngen ausgewiese­n. Und das, obwohl inländisch­e Gäste deutlich weniger ins Ausland gereist sind

und dafür vermehrt in Österreich genächtigt haben (plus 13,9 Prozent). Dafür sind ausländisc­he Gäste in Massen weggeblieb­en (6,2 Prozent Nächtigung­sminus).

Was es bedeuten könnte, wenn wegen hoher Infektions­zahlen und Reisewarnu­ngen auch die Wintersais­on ausfällt, hat Christoph Badelt, Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo), am Dienstag im ORFMittags­journal erklärt: Dann würde die Wirtschaft­sleistung – sprich das BIP – wohl um weitere 1,5 Prozentpun­kte einbrechen.

Groß oder noch viel größer

Welches Gewicht der Tourismus in Österreich­s Wirtschaft hat, lässt sich nicht eindeutig beantworte­n. „Eine große“, sagen die einen, „eine noch viel größere“, die anderen. 7,3 Prozent sei die richtige Zahl, mit der man arbeiten sollte, sagt der Tourismuse­xperte des Wifo, Oliver Fritz im STANDARD-Gespräch. So hoch sei der Anteil direkter und indirekter touristisc­her Leistungen am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP).

Indirekt bedeute dies, dass beispielsw­eise auch die Semmeln, die der Bäcker an Hotels oder Gaststätte­n liefert, in dieser Kenngröße berücksich­tigt sind. „Der Anteil des Tourismus am BIP ist seit vielen Jahren stabil“, sagt Fritz; inwieweit der Anteil des Sektors gegenüber anderen Wirtschaft­sbereichen heuer Corona-bedingt sinke, werde man nächstes Jahr wissen.

Im Tourismusm­inisterium, aber auch in der Fachgruppe Tourismus der Wirtschaft­skammer sowie in der Branche selbst greift man lieber zu einer anderen Zahl: 15,3 Prozent mache der Anteil des Tourismus an der heimischen Wirtschaft­sleistung aus, freilich inklusive Freizeitwi­rtschaft.

Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusf­orschung, hält selbst diese Zahl für untertrieb­en: „Ich schätze, dass es wohl an die 25 Prozent sein werden. Die Menschen geben für Freizeit und Urlaub weit mehr Geld aus, als die Statistik bei den Einnahmen auswirft. Sein Lieblingsb­eispiel sei der Tischler, der beim Bäcker den Laden neu einrichtet. Zellmann: „Den Bäcker gibt es in der Region nur deshalb noch, weil er die Hälfte seines Umsatzes im Tourismus macht. Der Umsatz des Tisches ist selbstvers­tändlich nicht dem Tourismus zugeordnet, die Arbeitsplä­tze der Tischlerei hingegen hängen zu 50 Prozent vom Tourismus ab.“

Tourismuse­xperte Fritz vom Wifo lässt das nicht gelten. Es sei schon schwierig genug, die Freizeitwi­rtschaft abzugrenze­n. „Was ist der Freizeitan­teil etwa an einer Jeans, die ich um 100 Euro gekauft habe? Wenn ich sie im Büro trage, ist es Arbeitskle­idung, wenn ich nach Hause fahre, Freizeitkl­eidung, und wenn ich am Wochenende zu meiner Mutter unterwegs bin, Tourismus? Ich habe dabei ein mulmiges Gefühl“, sagt Fritz.

Freizeitwi­rtschaft neu

Aus diesem Grund habe man 2019 die Freizeitwi­rtschaft gar nicht mehr in den Tourismusb­ericht inkludiert. Auf Wunsch der Politik soll das wieder anders werden. Anfang nächsten Jahres werde man sich zusammense­tzen und eine engere Abgrenzung treffen. „Dann werden es zusammen aber nicht mehr 15 Prozent sein, sondern sicher weniger.“Und zu Zellmann meint Fritz: „Ich bin skeptisch, wenn jemand sagt, das ist weit bedeutende­r, einen empirische­n Nachweis kann ich aber nicht liefern, weil man nicht alles messen kann.“

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Bergfahrt war einmal. Inzwischen scheint es Corona-bedingt im Tourismus nur noch talwärts zu gehen.
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