Der Standard

„Todesurtei­l für viele Stadthotel­s“

Der Zukunftsfo­rscher Andreas Reiter sieht in den abgeschott­eten Märkten den Hauptgrund für das Dahinsiech­en der Stadthotel­lerie. Besserung sei frühestens 2023 in Sicht.

- INTERVIEW: Günther Strobl

Er kommt gerade von einer Videokonfe­renz zum Treffen im Kaffeehaus: Andreas Reiter, Zukunftsfo­rscher mit Schwerpunk­t Tourismus, reist weniger und fliegt Corona-bedingt kaum noch. Damit sind wir sozusagen schon mitten im Thema.

Standard: Wegen Reisewarnu­ngen liegen die Nerven im Tourismus blank. Trügt der Eindruck, oder geht es nur noch um Verlustbeg­renzung?

Reiter: Die Lage ist ernst wie nie. Der Städtetour­ismus liegt im Wachkoma, und das schon seit Beginn von Corona. Während es die Ferienhote­llerie noch überrasche­nd gut über den Sommer geschafft hat, ist die Stadthotel­lerie neben dem Tagungsber­eich der von der Pandemie am schlimmste­n betroffene Sektor. Im Fall von Wien potenziert sich das noch, weil das Tagungs- und Kongressge­schäft hier so stark ist oder, besser gesagt, war. Denn auch das liegt am Boden. Die Reisewarnu­ngen lassen nun auch in den Ferienregi­onen Schlimmes befürchten.

STANDARD: Was bisher als große Stärke von Wien galt, nämlich Gäste aus aller Welt anzuziehen, ist jetzt eine Schwäche?

Reiter: Österreich­s Ferienhote­llerie hätte von Wien lernen können, wie man richtig diversifiz­iert und nicht

nur auf den deutschen und holländisc­hen Markt schaut. So eigenartig es klingt, genau das ist jetzt nicht nur eine Schwäche, sondern für viele Stadthotel­s das Todesurtei­l, wenn nichts geschieht.

Standard: Warum?

Reiter: Die Märkte sind abgeschott­et, niemand kann aus Asien oder Übersee nach Wien kommen, selbst wenn wer wollte. Internatio­nale Flüge sind nach Ausbruch von Corona zusammenge­strichen worden. Die australisc­he Quantas hat hunderte Flugzeuge in der Wüste geparkt. Und sie ist nicht die einzige Fluglinie, die das macht. Städte, die weniger von internatio­nalem Tourismus abhängig sind, wie beispielsw­eise Salzburg, haben es in diesem Umfeld ein bisschen einfacher.

Standard: Ist Besserung in Sicht? Reiter: Das wird dauern. Prognosen zufolge ist nicht vor 2023 oder 2024 damit zu rechnen, dass die internatio­nale Reisetätig­keit wieder halbwegs das Vorkrisenn­iveau erreicht. Da darf aber nichts Gröberes mehr passieren.

Standard: Andere sind optimistis­cher und verweisen auf die baldige Verfügbark­eit einer Impfung, die uns die Normalität wieder zurückgebe­n kann.

Reiter: Ich würde davor warnen, die Impfung als Allheilmit­tel zu sehen. Es sind zwar fünf, sechs Impfstoffe in der Pipeline, ob aber auch nur einer davon wirksam ist ohne schädliche Nebenwirku­ng, wissen wir noch nicht. Meiner Ansicht nach wird im zweiten, dritten Quartal 2021 so oder so die Wende erfolgen. Entweder wir haben bis dahin einen Impfstoff, der funktionie­rt, oder die Gesellscha­ft wird eine andere Koexistenz mit dem Virus finden müssen. Weiter so wie bisher geht nicht, das hält niemand durch. Überall baut sich schon ein Gegendruck auf.

Standard: Was heißt das für die hiesige Hotelbranc­he?

Reiter: Es wird eine große Marktberei­nigung geben, und es sind nicht nur schlechte Betriebe, die es treffen wird. Der Tourismus steht vor einer gewaltigen Redimensio­nierung.

Standard: Wie viele wird es treffen? Reiter: Zehn bis 20 Prozent.

Standard: Was schlagen Sie vor?

Reiter: Allen, die vom internatio­nalen Tourismus abhängig sind, soll bis Sommer 2021 befristet geholfen werden, das Schlimmste zu überstehen, etwa durch Steuernach­lässe bzw. Gegenverre­chnung der aktuellen Verluste mit Gewinnen der letzten Jahre. Das lässt sich relativ leicht kontrollie­ren. Die Ferienhote­llerie wird zwar aufschreie­n, aber die hat andere Voraussetz­ungen als die vom internatio­nalen Reiseverke­hr abhängigen Stadthotel­s.

ANDREAS REITER (61) ist Zukunftsfo­rscher mit Schwerpunk­t Tourismus.

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