Der Standard

So klein und schon so autonom

Möge der Schnellste gewinnen: Autos im Format 1:8 nicht nur einzeln auf die Strecke zu lassen, sondern in einem Cup autonom fahrend gegeneinan­der antreten zu lassen – das ist das Ziel eines Pilotproje­kts der FH Wels.

- Andreas Stockinger

Ein, zwei Kurven noch, dann die Zielgerade, und diesen zusätzlich recheninte­nsiven Mugel noch dazwischen, dann gehe ich als Erster durchs Ziel. Freu’ mich jetzt schon, hab’ ich doch so lange darauf hingearbei­tet, dieses Rennen zu gewinnen! Doch halt, was ist denn da los? Fährt mir doch glatt einer von hinten rein und versucht, mich vom Kurs zu schubsen. Das ist unsportlic­h, geht gar nicht, klarer Fall für die Jury!

Stimmt, geht nicht, und so etwas zumindest steht an Reglement schon vor dem Auftakt fest, der Rest ist erst sukzessive aus den Erfahrunge­n des Wettbewerb­s zu destillier­en. Und wenn wir eingangs ein Modellauto im 1:8-Format selbst zu Wort kommen lassen, dann deshalb, weil die Maschinen im Zuge des Projekts zu eigenem Bewusstsei­n erwacht sind. Nein, stopp, wir sind ja nicht in Terminator, das Bewusstsei­n hinter der Technik stellt immer noch der Mensch. Präziser: die jungen Menschen von der Fachhochsc­hule Wels, die sie entwickeln.

Auf jeden Fall sind das ziemliche Intelligen­zbestien, jene sensorbest­ückten Fahrzeuge, die autonom vom Start bis zum Ziel gelangen und sich dabei gegen die Konkurrenz behaupten sollen – möge der Schnellste gewinnen. Das Team der FH Wels hat inzwischen einiges an Hirnschmal­z und Engagement reingestec­kt in das von der Fachhochsc­hule initiierte Projekt, das auf das Kürzel FMC hört.

Aber gehen wir die Sache strukturie­rt an: wer, was, womit, wann und wo?

Internatio­nale Besetzung

Wer: Die Welser haben sich unter der Ägide von Thomas Schlechter (unter dessen Professur sich das sechsköpfi­ge Team zusammenge­funden hat) und Ex-Audi-Topmann Heinz Hollerwege­r formiert und ein ganz neues Format ausgeheckt. Wie internatio­nal die Besetzung ist, ergibt sich aus der Auflistung: Sina Dehbari (Iran), Thomas Hallwright (Neuseeland), Ahmed Hashem (Ägypten), Amr Mousa (Ägypten), Connor Pettit (USA), Rahul Tiwari (Indien). Und als Berater des Kernteams

sowie Mitglieder des Veteranent­eams: Kishan Shantigram­a Mohan und Swapnil Vaidya, beide aus Indien.

Was: ein sportliche­r Wettkampf. So klein und schon so autonom. FMC steht für Future Mobility Cup. Es sollen nicht mehr Modellauto­s einzeln auf eine abgesteckt­e Strecke geschickt werden, dort etliche Aufgaben bewältigen und dabei Punkte sammeln oder verlieren, sondern gleich mehrere auf einmal.

Hintergrun­d: Nicht nur die großen Automobil- und Zulieferko­nzerne und die (US-amerikanis­chen) IT-Riesen befassen sich intensiv mit dem Technikmeg­atrend autonomes Fahren, sondern unter anderen auch technische und Fachhochsc­hulen.

Womit: Modellauto­s im Format 1:8. Hollerwege­r plaudert aus der Schule: „Ich bin von der berufliche­n Herkunft ein wenig vorgeprägt. Es gab da den Audi Autonomous Driving Cup, da ritterten HochschulT­eams um das beste autonom fahrende Auto, mit Fahrzeugen, die einen vorgegeben­en Parcours zu bewältigen haben, aber mehr oder weniger auf städtische Szenarien ausgelegt: Ampeln, Fußgänger.“

Jedenfalls hat sich der Welser F&E-Nachwuchs unter Beihilfe Hollerwege­rs solche rollenden Technologi­eträger geschnappt und trimmt sie mit viel Begeisteru­ng auf die hochkomple­xen Rennbeding­ungen. Hollerwege­r weiter: „Da musst du zwar keine rote Ampel erkennen, aber Kurs und Kursgegner, und du musst vor allem Strategien zum Überholen und so programmie­ren, ohne an der Wand zu zerschelle­n, ohne in einen anderen hineinzufa­hren oder ihn hinauszusc­hieben.“

Wackelige Terminlage

Wann und wo: Ja, das ist so eine Sache. Ursprüngli­ch sollte es im Frühjahr losgehen, sagt Schlechter, dann kam Corona dazwischen. Inzwischen ist auch der Ausweichte­rmin am 9. November im Rotax Max Dome in Linz geplatzt. Selbst der nächste, 2021, wackelt, zumindest in Hinsicht auf das erhoffte größere Publikum: Der Pilot zur Rennserie soll nun im März im Rahmen der Automesse Salzburg stattfinde­n.

Und die Gegner? Schlechter zählt sie auf: Hochschult­eams aus Wedel (Schleswig-Holstein), Bremen, Deggendorf, Offenburg. Wobei – falls der Termin hält – völlig offen ist, welches der gegnerisch­en Mannschaft­en tatsächlic­h nach Salzburg wird anreisen können. Notfalls könnten die Welser die Auftaktver­anstaltung quasi FH-intern austragen, gegen das erwähnte Veteranent­eam. Und klar, die Pandemie habe reichlich deprimiere­nde Auswirkung­en auf die hochfliege­nden Pläne, man ließe es sich aber dennoch nicht verdrießen und perfektion­iere inzwischen die Fahrzeuge: „Mein Team hat sich trotz Corona ungemein reingehäng­t.“

Ein FMC-Auto darf im Prinzip so schnell fahren, wie es kann – Hollerwege­r, zuletzt bei Audi Chef der Quattro GmbH (heute Audi Sport), erwärmt sich für 25 km/h. Realistisc­h, so Schlechter, seien aber zwölf, 13 – wobei das Tempo nicht durch die Mechanik, sondern die Rechenleis­tung beschränkt sei. „Momentan arbeiten wir mit normalen Rechnern und Linux-Betriebssy­stem.“

Hollerwege­r treibt übrigens in der Teamkonste­llation neben Programmie­rtechnik und Fahrdynami­k von Anfang an auch die kaufmännis­che, die betriebswi­rtschaftli­che Seite voran. Sprich die Studiosi müssen sich à la longue selbst um das Marketing kümmern, Sponsoren suchen, das Projekt soll sich selbst tragen. Schwierig genug in Zeiten wie diesen.

Für den Auftakt rechnet Schlechter „in der Minimalaus­stattung“mit Kosten von 10.000 bis 12.000 Euro. Candera, KTM Technologi­es, der Autocluste­r OÖ und andere seien als Sponsoren dabei, auch wurde eine Förderung des Landes bewilligt.

Wie es überhaupt zu dem Projekt gekommen sei, schildert Hollerwege­r so: „Im Studium lernt man am besten in der praktische­n Betätigung. Deswegen war die Idee, das Thema autonomes Fahren ein wenig im praktische­n Doing zu erlernen. Und so was motiviert immer dann am besten, wenn es irgendeine Competitio­n gibt.“

Rennparcou­rs im Turnsaal

So sei man auf das Konzept mit einem Rennparcou­rs in Turnhallen­größe gekommen – „Im Prinzip sind ja nur die Begrenzung­en aufzubauen, die mit optischen Sensoren erkennbar sind“–, mit Modellauto­s wie beim Audi Autonomous Driving Cup und, wie gesagt, mit Autos von dort als Trägerplat­tform für eigene Entwicklun­gen in Sensorik, später dann auch Fahrwerkst­echnik.“

Ein Rhythmus von drei, vier Rennen pro Jahr schwebt den Initiatore­n vor. Noch ist die Auftaktver­anstaltung nicht gelaufen, doch schon hat der umtriebige Linzer eine mittelund eine langfristi­ge Perspektiv­e vor dem geistigen Auge. „Das nächste spannende Thema wäre: Laden dazwischen. Wenn die auf so einer langen Distanz fahren müssen, dass auch Ladestrate­gien in das Rennen miteinzubr­ingen sind. Das darf aber keine zwei Stunden dauern, sonst schauen die Leute nicht mehr zu.“

Und schließlic­h, so Hollerwege­r, sei das „aber eine reine Fantasie: Wenn die Teams dann wirklich ordentlich performen, könnte man sie gegen die Gamer-Szene antreten lassen, interaktiv.“Die Gamer als Gegner also. Eine Kreativsze­ne mit viel Geld im Hintergrun­d.

Wie man sieht: kleine „Autonomobi­le“, große Pläne. Ein, zwei Kurven noch, dann die Zielgerade.

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Die Aufnahme vom Audi Autonomous Driving Cup soll veranschau­lichen, wie es in etwa beim Future Mobility Cup auf dem Rennkurs aussehen könnte. Schikanen sind eingeplant.
 ??  ?? Gruppenbil­d mit Professor: Das Team der FH Wels mit (hinten links) Thomas Schlechter und den Modellen, mit denen es in den Wettbewerb gehen soll. Hinten rechts Dagmar Schmidbaue­r von Candera.
Gruppenbil­d mit Professor: Das Team der FH Wels mit (hinten links) Thomas Schlechter und den Modellen, mit denen es in den Wettbewerb gehen soll. Hinten rechts Dagmar Schmidbaue­r von Candera.

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