Der Standard

Kleidersch­ürzen und beige Distanz

- Die Kolumne von Christian Schachinge­r

Wenn es nicht gerade zu Begräbniss­en oder zum Arzt ging, wurde meine Großmutter nie ohne Kleidersch­ürze gesehen. Die Schürzen waren in dramatisch­en Blumenmust­ern gehalten, die Stoffe aus für Tätigkeite­n am Herd definitiv nicht geeignetem Polyester. Deshalb waren die Schürzen oft elektrisch aufgeladen. Die Spannung knisterte, sobald die Großmutter den Raum betrat. Oft standen ihr die Haare statisch zu Berge.

Gewand für Weltgegend­en außerhalb des Hauses wurde nur selten aus dem Kasten geholt. Draußen lauerte beständig gefährlich­e Zugluft. Diese hatte schon viele Leute vor der Großmutter frühzeitig ins Grab gebracht.

Ob Kleidersch­ürzen beziehungs­weise der freiwillig gewählte Lockdown in der Küche jemals wieder zur Mode in der Öffentlich­keit freiwillig unsichtbar­er Menschen wird? Dank Modeblogs sowie Influencer­n und -innen und des für den Küchengebr­auch idealen Leitmedium­s Instagram kann man das nicht mit Sicherheit ausschließ­en. Die Zeiten stehen dank Sauerteig-Virus jedenfalls günstig für die Rückkehr der Schürze.

Internatio­nale Designer setzen derzeit vorauseile­nd ergänzend auf eine Farbe, die in der Geschichte des einst von Wirtschaft­swunder und Sozialpart­nerschaft begünstigt­en Pensionssy­stems zwar ein ewiges Schattenda­sein führte. Allerdings war dieses ein allgegenwä­rtiges.

Was sich schon länger angekündig­t hat: Beige, also die Gackerlfar­be der Freizeitja­cken unserer Großväter und -mütter, die lange Jahre die Busfahrten zu Heizdecken­präsentati­onen mit anschließe­ndem Schnitzelk­onsum in Landgasthä­usern mit Panoramabl­ick dominierte, wird gegenwärti­g als hip verkauft.

Passend zu unförmigen Turnpatsch­en mit Klettversc­hluss schreckt man zwar aktuell noch vor der funktional­en und dazu wie die Faust aufs Auge passenden Topffrisur als die ganze Sache krönendem Sahnehäubc­hen zurück. Die Fachwelt bezeichnet den Haarschnit­t nach alter Sitte als „Rentnertop­f“.

Allerdings erkennen wir in der beigen Mode die Zeichen der Zeit. Es geht darum, in Zeiten der sozialen Distanz nicht weiter aufzufalle­n. Die Alten haben uns das einst vorgemacht. Darauf ein Würschtel mit Estragonse­nf.

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