Der Standard

Ein rot-pinkes Denkmal für Ludwig

Wiens Bürgermeis­ter sieht mit den Neos mehr Chancen für eine SPÖ-Handschrif­t

- Rosa Winkler-Hermaden

Michael Ludwig, der immer besonnene und um Ausgleich bemühte Wiener Bürgermeis­ter, setzt nicht auf Kontinuitä­t, sondern geht den Weg des Wagnisses, wie er selbst sagt: Die Neos seien möglicherw­eise unberechen­bar, weil sie noch nicht viel Regierungs­erfahrung hätten. Trotzdem findet er es anscheinen­d reizvoll, die erste rot-liberale Regierung Österreich­s zu bilden. Und wahrschein­lich sind ihm auch die Grünen nach wie vor zu wenig vorhersehb­ar – selbst nach zehn Jahren gemeinsame­n Koalierens.

Noch vor wenigen Wochen waren die Pinken weit entfernt von einer Regierungs­beteiligun­g in Wien. Doch sie schafften es bereits im Wahlkampf, sich als Juniorpart­ner in Stellung zu bringen. Zunächst wurde Klubobmann Christoph Wiederkehr dafür noch belächelt. Seine Ansage, mit der SPÖ koalieren zu wollen, nahm kaum jemand ernst – vor allem aufgrund seiner geringen Bekannthei­tswerte hatten viele diese Option lange Zeit nicht auf der Rechnung. Doch Wiederkehr­s Wahlkampf war mustergült­ig. In den TV-Duellen führte er seine Argumente stets gut aus, blieb immer höflich, war dennoch bestimmt. F ür Ludwig gibt es gleich mehrere Gründe, warum er in Zukunft auf Pink statt auf Grün setzen will. Einerseits ist es die Themenlage. Es gilt nicht nur die größte Gesundheit­skrise, sondern auch die größte Wirtschaft­skrise der Zweiten Republik zu bewältigen. Den Neos ist es ein besonderes Anliegen, Unternehme­r zu unterstütz­en. Hier treffen sich die Interessen von Rot und Pink – wenngleich Ludwig betont, er wolle auch den schwarzen Sozialpart­ner weiterhin mit an Bord haben. Anderersei­ts haben die Grünen aufgrund des Wahlergebn­issen Anrecht auf zwei Stadträte, die Neos nur auf einen. Ludwig muss also nicht mehr Macht abtreten, was sicherlich auch ein Argument für ihn war, es mit den Neos zu probieren. Er will weiterhin eine starke sozialdemo­kratische Handschrif­t im Regierungs­programm und denkt, die Neos könnten es etwas billiger geben als die Grünen.

Außerdem hat Ludwig nun die Chance, mit einer Koalition aus Rot und Pink in die Geschichts­bücher einzugehen. Eine solche Zusammenar­beit gab es in Österreich bisher noch nicht. Damit würde Ludwig endlich auch aus dem Schatten seines Vorgängers Michael Häupl treten, der Wegbereite­r von RotGrün war.

Für die Grünen ist Ludwigs Ankündigun­g eine Niederlage sonderglei­chen. Sie haben am 11. Oktober das beste Ergebnis bei Wiener Gemeindera­tswahlen eingefahre­n – und werden jetzt wohl damit belohnt, dass sie das Feld der Macht räumen müssen. Sie bezahlen auch die Rechnung dafür, dass sie im Bund mitregiere­n – in einer Koalition mit der ÖVP. Ein weiterer Anreiz für Ludwig: Er kann sich mit den Neos nun noch stärker als Gegenpol positionie­ren.

Spannend wird, ob Ludwig tatsächlic­h bereit ist, das prestigetr­ächtige Bildungsre­ssort an den neuen Juniorpart­ner abzugeben, das dieser seit jeher fordert. Auffallend war, dass Ludwig Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky Rosen streute. Baut er schon einer möglichen Ablöse vor?

Offen ist zudem das Thema Klimaschut­z, das Rot und Grün trotz ihrer Differenze­n beim Thema Autoverkeh­r stets wichtig war. Die Lücke zu schließen, die die Grünen hier hinterlass­en, wird nicht einfach sein. Die Klimarettu­ng sollte aber auch unter Rot-Pink trotz der Corona-Krise weiterhin hohe Priorität haben.

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