Ein Traumpaar der Nachkriegszeit
Nuria Giménez Lorangs Spielfilmdebüt „My Mexican Bretzel“setzt Echtheit und Fake ineinander
Wien – Vivian Barrett sieht genau so aus, wie sie heißt: Sie trägt schicke Sonnenbrillen, teure Kostüme und rote Lippen, ist gertenschlank und lächelt immer in die Kamera ihres Mannes Léon, der alles mitfilmt: zu Hause in der Villa am Zürichsee, auf der soeben neu vom Stapel gelassenen Yacht, beim Geschäftsessen in Paris, beim Urlaub in New York, in Barcelona, in Venedig oder beim Skifahren in den Alpen.
Es ist die Nachkriegszeit, die Zeit des Feierns und Vergessens.
Vivians Tagebuch
Léon war Pilot der Luftwaffe, erlitt bei einem Flugzeugabsturz einen Hörschaden und darf seither nicht mehr fliegen, was ihn deprimiert. Das Paar kann keine Kinder bekommen und überlässt sich ganz dem eigenen Wohlstand, dem mit Freundinnen und Freunden gefrönt wird. Léon steigt immerhin in die Entwicklung eines Medikaments ein, das bald am Markt boomen wird.
Die fröhlichen Gesichter, die schönen, über Jahre hin gemachten farbenprächtigen Super-8-Filmaufnahmen zeigen ein Traumpaar, das es allerdings so nie gegeben hat.
Vivian und Léon Barrett sind Erfindungen der Regisseurin Nuria Giménez Lorang, die die Urlaubsfilme ihrer Großeltern als Found Footage für eben diese Erzählung einer mondänen Nachkriegsbeziehung instrumentalisiert hat. Das Narrativ in My Mexican Bretzel wird von den in Untertiteln eingeblendeten englischsprachigen Tagebuchaufzeichnungen Vivian Barretts vorangetrieben. Bild und Text ergeben eine Symbiose, die von einer bemerkenswerten Tonspur moduliert wird (Ton: Jonathan Darch).
Der Film verläuft über weite Phasen stumm, in denen Vivians Tagebucheintragungen, ihre geheimen Gedanken und Reflexionen über ihre Ehe, sie selbst und das Leben an sich den Erzählfaden vorgeben. Manchmal aber, meist in dramaturgischen Höhepunkten, verschafft sich der Originalton Gehör und bricht sich von einer Sekunde auf die andere etwa als das Branden der Gischt Bahn.
Auch manipulative, rhythmische Soundscores schleichen sich ein, die das sonnige Farbfilmglück sachte unterwandern.
Vivian, das formvollendete Ideal weiblicher Schönheit des beginnenden Konsumzeitalters, hat nämlich auch abgründige Gedanken. Halt findet sie immer wieder in den Weisheiten des Gurus Kharjapalli, dessen Sprüche ihr beispielsweise das schlechte Gewissen anlässlich einer Affäre vertreiben helfen.
Da heißt es: „Sehnsucht ist nicht etwas, das man verschwenden sollte.“Oder: „Ein Moment des Glücks währt länger als die Ewigkeit des Unglücks.“
Doch die erschütternden Erlebnisse beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans anno 1955, bei dem Vivian und ihr Mann als mondänes Societypaar selbstverständlich zugegen waren und bei dem infolge eines historischen Crashs 85 Menschen starben, stellen eine Zäsur dar. Immer wieder handelt Vivian in ihren Tagebucheinträgen Existenzphilosophisches ab und „spricht“vom Tod und der Leere, mit der einen das Leben verfolgt – während dazu heitere Urlaubsbilder flimmern.
Es sind poetisch formulierte Gedanken, die das eigene Menschsein abwägen und die in ihrem Anschein von Aufrichtigkeit und ihrer dramatischen Setzung ganz auf die Beglaubigung des Gezeigten abzielen: auf die vermutete Tristesse hinter den Traumbildern. Das Ineinandergreifen von Wahrheit und Fake in Nuria Giménez Lorangs Langspielfilmdebüt verläuft leichthändig bis zur Deckungsgleichheit. Das vorangestellte Motto von My Mexican Bretzel lautet ja: „Lügen sind auch nur ein Weg, um die Wahrheit zu sagen.“Admiral, 27. 10., 20.30; Filmmuseum, 28. 10., 18.30; Metro, 29. 10., 21.00