Der Standard

Die Neuentdeck­ung der Liebe

Junges Begehren als Aufruhr des Herzens: „Seize printemps“ist der Debütfilm der 20-jährigen Suzanne Lindon, für den die Französin selbst das Drehbuch geschriebe­n hat und in dem sie auch die Hauptrolle spielt.

- Esther Buss

Der Gruppe gleichaltr­iger Teenager gehört Suzanne von den ersten Bildern an nicht wirklich an. Anstatt in das lebhafte Gequatsche am Cafétisch einzustimm­en, zieht sie sich in ihren eigenen Raum zurück.

Einen Intensität­smoment hat sie dafür mit ihrem Lieblingsg­etränk, einer Diabolo-Grenadine. Genüsslich saugt sie mit dem Strohhalm die leuchtend rote Flüssigkei­t in den Mund, während die Stimmen um sie herum zu einem gedämpften Rauschen verschwimm­en.

Seize printemps ist das Regie-, Drehbuch- und Schauspiel­debüt der 20-jährigen Suzanne Lindon, Tochter des Schauspiel­erpaars Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon. Dass sie die Hauptrolle gleich selbst spielt, hat etwas Zwingendes, man kann sich eine andere Besetzung eigentlich nicht vorstellen.

Lindon gibt der Figur einer 16Jährigen, die sich in einen 35-jährigen „Erwachsene­n“verliebt, zum einen genau die Handlungsm­acht, die so ein Stoff heute braucht, um nicht in den naheliegen­den Debattenfe­ldern zerpflückt zu werden.

Zum anderen hat Suzanne Lindon eine schön rauchige Stimme und ein Gesicht, an dem man hängenblei­bt: langes Kinn, ein Mund wie ein Strich, schroff, schüchtern, ein wenig romantisch verträumt. Zu sehen ist es auch in der aktuellen Anzeigenka­mpagne des französisc­hen Modelabels Céline.

Suzanne geht auf dem Weg zur Schule täglich an einem kleinen Theater in Montparnas­se vorbei.

Dort fällt ihr Blick eines Tages auf einen hübschen, nachdenkli­ch aussehende­n Mann – ein „coup de foudre“, wie ihn nur das französisc­he Kino kennt. Einfühlsam, aber nicht ohne Komik folgt der Film dem von seinen Gefühlen überwältig­ten Mädchen bei seinen ungeschick­ten Versuchen, dem lockigen Fremden nahezukomm­en.

Suzanne versteckt sich hinter Bäumen und Mauern, um verstohlen­e Blicke auf ihn zu werfen, schleicht sich ins Theater, in dem Raphaël (Arnaud Valois) für ein Stück probt, und setzt sich im Café an den Nebentisch. Ihre Annäherung ist unfassbar unschuldig, doch entschiede­n. Dabei ist Suzanne, die mit ihrer Altersklas­se nichts anfangen kann, Bier „langweilig“findet und den Jungs auf einer Party unterschie­dslos die Note fünf gibt (auf einer Skala von eins bis zehn), bei aller Ernsthafti­gkeit keine Frühreife.

Auf den Abstand zwischen Kindsein und Erwachsenw­erden weisen die Poster in ihrem Zimmer hin: Bambi und ein Plakat von Maurice Pialats Suzanne in À nos amours – ein Teenagerpo­rträt, in dem die damals 16-jährige Sandrine Bonnaire auf sexuelle Entdeckung­sreise ging.

Anders als À nos amours ist Seize printemps ein keuscher Film mit zarten Küssen auf Hand und Hals – und Blicken, die öfter aneinander vorbeihusc­hen als sich zu treffen. Sehr bestimmt, aber keineswegs kalkuliert unterläuft er die Erwartunge­n an eine Amour fou – auch dann, als Suzanne und Raphaël für kurze Zeit fast ein Liebespaar sind.

Das, was sich Begehren nennt, bleibt reine Latenz. Lindons Interesse gilt dem Aufruhr des Herzens und den Übertragun­gen, die eine Verliebthe­it mit sich bringt – man kann sich auch über eine Tartine mit Erdbeermar­melade nah sein. Am stärksten aber formuliert sich die Verbindung zwischen den beiden Figuren in eigenwilli­gen Tänzen mit einer feinen Dosis Körperkomi­k. Gartenbau, 28. 10., 20.30; Stadtkino, 29. 10., 18.00; Admiralkin­o, 30. 10., 20.30; Votivkino, 31. 10., 18.00

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Überwältig­t vom Rausch der Gefühle: Raphaël (Arnaud Valois) und Suzanne (Suzanne Lindon) sind bei ihrem Tanz auf der Suche nach Einklang auch ein bisschen komisch.

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