Der Standard

Neun Teams verhandeln über die rot-pinke Zukunft in Wien

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Rot-Pink statt Rot-Grün in der Wiener Stadtregie­rung hat fürs Erste ein positives Echo gefunden. Ein Grund dafür ist, dass nun statt der Umwelt ein anderes Thema an die erste Stelle gerückt zu sein scheint: die Bildung. Und dahinter verborgen, selten explizit genannt, aber allen bewusst, die Tatsache, dass hunderttau­sende Migrantenk­inder keine adäquate Förderung erhalten und so mit einem gewaltigen Bildungsde­fizit ins Berufslebe­n starten.

Wenn hier, wie die Neos verkünden, ein „großer Wurf“ansteht – nur zu. Die Grünen, nun wohl in Opposition, können aber trotzdem mit ihrer Leistung zufrieden sein. Sie haben nicht nur mit den Projekten Mariahilfe­r Straße und Rotenturms­traße Erfolge erzielt, sondern in den letzten Jahren auch eine beachtlich­e Erziehungs­arbeit geleistet, am Koalitions­partner SPÖ ebenso wie an der Wiener Bevölkerun­g.

Als die Umgestaltu­ng der Mariahilfe­r Straße in eine Begegnungs­zone begann, gab es dagegen massiven Widerstand. Heute sind praktisch alle dafür. Bäume statt Autos, Wiese statt Beton, kühlende Brunnen und begrünte Fassaden sind kein Minderheit­enprogramm mehr, sondern Mainstream. Und zahllose Wiener fahren heute ganz selbstvers­tändlich mit dem Fahrrad statt mit dem Auto in die Arbeit. Das wird sich wohl auch in Zukunft nicht ändern. Danke, Grüne.

Aber jetzt ist tatsächlic­h, wie Bürgermeis­ter Michael Ludwig sagte, Zeit für etwas Neues. Während des Wahlkampfs haben alle Parteien außer FPÖ und ÖVP das Thema Integratio­n und Zuwanderer gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Nur ja nicht die nun heimatlose­n FPÖ-Wähler verschreck­en! Auch jetzt sagt man lieber „sozialer Zusammenha­lt“und „respektvol­les Miteinande­r“. Aber gemeint ist schon das Richtige: Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir eine Einwanderu­ngsgesells­chaft sind, dass fast die Hälfte der Wiener einen Migrations­hintergrun­d hat und dass wir daraus das Beste machen müssen und auch können. Nicht durch undifferen­ziertes IslamBashi­ng und Reden über „unsere Werte“à la FPÖ und ÖVP, sondern durch positives Handeln.

Was könnte der Impuls sein, den die Neos mit ihrer Parole „Bildung, Bildung, Bildung“in die neue Koalition einbringen können? Mehr Geld für Kindergärt­en und Brennpunkt­schulen, die manche verächtlic­h „Restschule­n“nennen. Restschule­n, erklärte jüngst eine Lehrerin, sind die Schulen mit den Schülern und Lehrern, die niemand haben will. Mehr Ganztagssc­hulen mit entspreche­nder Infrastruk­tur, Sozialarbe­itern und einladende­n Räumlichke­iten.

Eine Lehrerausb­ildung, die – wie von der Autorin Melisa Erkurt gefordert – Kompetenze­n im Umgang mit einer gemischt zusammenge­setzten Schülerpop­ulation vermittelt. Mehr qualifizie­rte Menschen mit Migrations­hintergrun­d in die Lehrerscha­ft, in die Polizei, in weithin sichtbare Stellen in der Verwaltung. Vom Bund ist da wenig zu erwarten. Um so mehr Grund für Wien, ein Gegenmodel­l anzubieten. Ein „soziallibe­rales Wien“als Nachfolgep­rojekt des legendären Roten Wien der Zwischenkr­iegszeit.

Bisher haben die Neos nur Verspreche­n machen können. Jetzt haben sie die Chance, zumindest einige davon einzulösen. Wir warten auf den „großen Wurf“.

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