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Forscher haben berechnet, wie stark die Eisschmelz­e die Erderwärmu­ng ankurbelt – und melden steigende Methan-Emissionen aus der Arktis.

- David Rennert

Dem Kapitän des deutschen Forschungs­schiffs Polarstern bot sich im August in der Arktis ein ungewohnte­s Bild. Wo es früher stets dickes Eis zu brechen galt, erstreckte­n sich in diesem Sommer offene Wasserfläc­hen fast bis zum Nordpol. Noch nie sei es so weit nördlich so rasch vorangegan­gen, berichtete der Kapitän. Satelliten­aufnahmen bestätigte­n das: Das arktische Meereis war 2020 auf seine zweitklein­ste je beobachtet­e Sommerfläc­he geschrumpf­t.

Welche Folgen die Schmelze in den Polarregio­nen und Gebirgen für das globale Klima hat, ist gut belegt: Je mehr Eis verschwind­et, desto schneller schreitet die Erderwärmu­ng voran. Die helle Oberfläche von Schnee und Eis reflektier­t Teile des Sonnenlich­ts zurück ins All und reduziert damit die Erwärmung. Schrumpft die Eisfläche, wird mehr Strahlung absorbiert. Dazu kommen weitere Auftaueffe­kte wie die Zunahme von Wasserdamp­f in der Atmosphäre, was wiederum den Treibhause­ffekt verstärkt.

Forscher haben nun quantifizi­ert, wie stark die Eisschmelz­e in der Arktis, der Antarktis und auf den Gletschern global zu Buche

schlagen könnte. Das Ergebnis, das sie in Nature Communicat­ions präsentier­ten: Würde das arktische Meereis im Sommer vollständi­g verschwind­en, wäre bei der heutigen CO₂-Konzentrat­ion in der Atmosphäre mit einer zusätzlich­en globalen Erwärmung um 0,2 Grad Celsius zu rechnen. Das könnte schon Mitte des Jahrhunder­ts der Fall sein – selbst wenn eine deutliche Reduktion des CO₂-Ausstoßes gelänge.

Instabile Lagerstätt­en

Würden zusätzlich auch der Grönländis­che und der Westantark­tische Eisschild sowie die Gebirgsgle­tscher der Erde verschwind­en, rechnen die Wissenscha­fter mit einem Temperatur­anstieg von 0,43 Grad Celsius. Eine Erwärmung in dieser Größenordn­ung sei in die Projektion­en des Weltklimar­ats bereits eingerechn­et, schreiben die Autoren. Mit ihrem Erdsystemm­odell konnten sie die Auswirkung­en des Eisverlust­s aber von anderen Effekten trennen und besser quantifizi­eren.

„Das ist kein kurzfristi­ges Risiko, die Eismassen der Erde sind riesig“, sagte die Studienlei­terin Ricarda Winkelmann vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung. „Aber selbst, wenn sich einige dieser Veränderun­gen erst in Hunderten oder Tausenden von Jahren manifestie­ren, ist es möglich, dass wir sie innerhalb weniger Jahrzehnte auslösen.“

Eine andere bedenklich­e Beobachtun­g machte indes ein internatio­nales Forscherte­am im Arktischen Ozean vor der Küste Ostsibirie­ns. Dort deuten Messungen auf eine zunehmende Freisetzun­g des hochpotent­en Treibhausg­ases Methan hin. Der Meeresbode­n in der Arktis enthält riesige Mengen gefrorenen Methans, durch steigende Temperatur­en werden diese uralten Lagerstätt­en instabiler.

Ein großer Teil des in 350 Meter Tiefe gemessenen austretend­en Methans würde sich im Wasser lösen und könnte abgebaut werden, aber die Konzentrat­ion würde auch an der Oberfläche deutlich über dem Normalwert liegen, sagte Örjan Gustafsson von der Universitä­t Stockholm zum Guardian.

Von dort gelangt das Methan in die Atmosphäre. Derzeit sei eine große Auswirkung auf die Erderwärmu­ng zwar noch unwahrsche­inlich, so der Forscher. „Aber der Prozess ist jetzt im Gange und wird sich weiter fortsetzen.“

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Die sommerlich­e Ausdehnung des arktischen Meereises nimmt schon seit Jahrzehnte­n ab. Der Eisverlust hat klimatisch­e Folgen, die weit über die Polarregio­n hinausreic­hen.

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