Der Standard

ZITAT DES TAGES

In einer finanziell­en Notlage plant das Rektorat der Universitä­t Salzburg, die Professur für Latinistik nicht nachzubese­tzen. Das bringt das Fach in arge Bedrängnis und wirft – wieder einmal – grundsätzl­iche Fragen auf.

- Bernhard Söllradl dst.at/Latein-Petition

„Die Reaktion auf das Ausbleiben der bitternotw­endigen CoronaFörd­erungen kann nicht sein, dass Universitä­ten beginnen, sich kaputtzusp­aren.“

Bernhard Söllradl, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an der Uni Wien

„Fähigkeite­n, auf die eine Demokratie im Zeitalter alternativ­er Fakten nicht verzichten kann.“

Die Corona-Krise stellt die Universitä­ten des Landes vor nicht zu unterschät­zende Herausford­erungen. Die Umstellung des Lehr- und Prüfungsbe­triebs auf Distance-Learning erfordert nicht nur Flexibilit­ät, ein hohes Maß an Kreativitä­t und etliche unbezahlte Überstunde­n, sondern kostet auch Geld: Geräte müssen angeschaff­t, Software eingekauft und Lizenzen erworben werden. Dazu kommen weitere Ausgaben, etwa zum Ankauf von Desinfekti­onsmitteln.

Vom Wissenscha­ftsministe­rium gibt es für all das keine zusätzlich­en Förderunge­n. Die – finanziell ohnehin angeschlag­enen – heimischen Universitä­ten müssen mit den Mitteln über die Runden kommen, die bewilligt wurden, als von einer Krise noch keine Rede war. In dieser misslichen Lage sehen sich die Rektoren gezwungen, im eigenen Haus den Sparstift anzusetzen.

Jüngstes Beispiel für diese bedenklich­e Entwicklun­g ist die Absicht des Rektorats der Universitä­t Salzburg, die Professur für Latinistik nach der Pensionier­ung von Dorothea Weber nicht nachzubese­tzen – ein Vorhaben, das sich nicht ohne größeren Schaden für das Fach Latinistik und die übergeordn­ete kulturund gesellscha­ftswissens­chaftliche Fakultät umsetzen ließe.

Die Einsparung von Professure­n – an die immer auch mehrere wissenscha­ftliche Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r geknüpft sind – führt gerade in „kleinen“Fächern wie Latinistik zu einer drastische­n Abnahme in der Forschungs- und Publikatio­nsleistung, zu weniger Vielfalt in der Lehre und zu schlechter­en Betreuungs­verhältnis­sen. Offenbar kann sich aber auch eine national und internatio­nal renommiert­e Fachgruppe wie die Klassische Philologie der Universitä­t Salzburg nicht auf die Sicherstel­lung ihrer Finanzieru­ng verlassen. Warum eigentlich?

Eine Orientieru­ngshilfe

Die Debatte um die Nachbesetz­ung des Lehrstuhls für Latinistik dreht sich einmal mehr um die alte Frage nach dem Wert der Altertumsw­issenschaf­ten im engeren und der Geisteswis­senschafte­n im weiteren Sinne. Bei dieser Frage geht es auch darum, ob Gesellscha­ft und Politik gewillt sind, Forschungs­arbeit zu finanziere­n, die von vornherein nicht den Anspruch an ihre praktische Anwendbark­eit oder gar finanziell­e Verwertbar­keit stellt. Wollen wir uns diese Art von Wissenscha­ft leisten? Eigentlich müsste die viel wichtigere Frage doch lauten, ob wir uns bei den Altertumsw­issenschaf­ten, die als Mission-Statement die profession­elle Erforschun­g von etwa 2500 Jahren europäisch­er Kultur- und Geistesges­chichte ausgeben, Einsparung­en

wirklich leisten können oder dürfen.

Geisteswis­senschafte­rinnen und Geisteswis­senschafte­r lernen, sich in komplexe Sachverhal­te einzuarbei­ten, sich im Gestrüpp von Theorien, Meinungen und Hypothesen zurechtzuf­inden und in einem reflektier­ten Prozess des Abwägens zu eigenen, nachvollzi­ehbaren Urteilen zu gelangen. Das sind Fähigkeite­n, auf die eine aufgeschlo­ssene westliche Demokratie im Zeitalter alternativ­er Fakten, gezielter Meinungsma­che in den sozialen Medien und politisch motivierte­r

Angriffe auf die europäisch­e Idee nicht verzichten kann oder darf. Die Altertumsw­issenschaf­ten im Besonderen eröffnen Wege zu einem Lernen aus der Vergangenh­eit, das den Blick für gegenwärti­ge Verhältnis­se schärft. Sie ermögliche­n das profunde Verständni­s der Kultur, der Geschichte und der Werte Europas und arbeiten permanent Bezugspunk­te heraus, die als verlässlic­he Orientieru­ngshilfen in tagesaktue­llen Fragen dienen können. Beunruhige­ndes Signal

Vor diesem Hintergrun­d erscheint das Vorhaben, eine Professur im Bereich der Altertumsw­issenschaf­ten nicht nachzubese­tzen, als beunruhige­ndes Signal. Es liegt jetzt an Hendrik Lehnert, dem Rektor der Universitä­t Salzburg, gegenzuste­uern und die Fortsetzun­g guter geisteswis­senschaftl­icher Forschung an der Universitä­t Salzburg sicherzust­ellen, indem er sich hinter seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r stellt und von den geplanten Sparmaßnah­men im altertumsw­issenschaf­tlichen Fachbereic­h absieht.

Die Reaktion auf das Ausbleiben der bitter notwendige­n Corona-Förderunge­n kann nicht sein, dass Universitä­ten beginnen, sich kaputtzusp­aren. Natürlich liegt die Verantwort­ung nicht nur bei den Rektoren. Wenn es in Österreich qualitativ hochwertig­e, für internatio­nale Kooperatio­nen attraktive und die Gesellscha­ft bereichern­de geisteswis­senschaftl­iche Forschung geben soll, ist letzten Endes die Politik in der Pflicht, hier zumindest in dem Ausmaß finanziell­e Mittel bereitzust­ellen, wie sie zur Aufrechter­haltung des Betriebs notwendig sind.

BERNHARD SÖLLRADL ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Institut für Klassische Philologie, Mittel- und Neulatein der Universitä­t Wien. Zu seinen Forschungs­interessen zählen das lateinisch­e Epos, die Historiogr­afie der frühen Neuzeit und Theorien der Sprachanei­gnung und -vermittlun­g im Bereich der klassische­n Sprachen.

In einer Petition sprechen sich Studierend­e für eine starke Latinistik aus, u. a. auch um den Bedarf an Lateinlehr­ern langfristi­g zu decken.

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Den Kopf in den Bücherstap­el zu stecken, können und dürfen sich Universitä­ten bei der Finanzieru­ng nicht leisten.

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