Der Standard

Kommen und Gehen der ersten Welle

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Am 5. März 2020 zog Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) Bilanz über die Influenzas­aison. Das zwei Wochen zuvor in Österreich angekommen­e neuartige Coronaviru­s bereitete ihm kein Kopfzerbre­chen: „Wenn Sie die 129.000 aktuellen Grippe- und grippeähnl­ichen Erkrankung­en hernehmen und mit den 37 Erkrankung­en bei Corona vergleiche­n – dann brauche ich das nicht vergleiche­n. Das ist ein Riesenunte­rschied.“Nur fünf Tage später sah Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) bei einer eilig einberufen­en Pressekonf­erenz „den Tag gekommen, wo wir Maßnahmen zur Einschränk­ung des öffentlich­en Lebens setzen müssen“. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich die Kommunikat­ion der Regierung inhaltlich wie rhetorisch gedreht. Von Laxheit zum Lockdown – weil sich ähnliche Mechanisme­n nun wiederhole­n, analysiert der STANDARD eine Auswahl an im Frühling und im Herbst veranstalt­eten Pressekonf­erenzen. (Details in der Infobox rechts)

Am 10. März – in Österreich gab es 178 bestätigte Infektione­n – luden Kurz, Anschober und Innenminis­ter

Karl Nehammer (ÖVP) zu einem Termin über die geplanten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Der Kanzler arbeitete dabei einerseits mit emotionale­n Anekdoten, indem er etwa einen Mitarbeite­r zitierte, der die Einschränk­ungen mittrage, damit das Enkelkind seiner Mutter nicht „ein Leben lang damit leben muss, dass diese Infektion durch unvorsicht­iges Verhalten stattgefun­den hat“. Anderersei­ts argumentie­rte Kurz mit vermeintli­ch harten Fakten: „Wir wissen: Die Sterblichk­eit ist um ein Zehnbis 30-Faches höher als bei der regulären Grippe.“Tatsächlic­h wurden solche frühen Vermutunge­n später um ein Vielfaches nach unten nivelliert.

Beim selben Termin zogen Kurz und Nehammer erstmals auch Parallelen zu Schreckens­ereignisse­n in anderen Ländern. Bald sollte es zur Konstante werden, nicht die Lage in weniger hart getroffene­n Nachbarlän­dern als Maßstab für Österreich heranzuzie­hen, sondern die Situation in Italien. So verfinster­ten sich beim folgenden Presseterm­in am

13. März, dem Tag nach dem ersten Covid-19-Todesfall in Österreich, die Sprachbild­er. Anschober verglich Blogbeiträ­ge aus Italien mit „Kriegsberi­chterstatt­ung“. Vor dieser Pressekonf­erenz waren erstmals auch Nachrichte­n über Ausgangsve­rbote kursiert. Drei Tage bevor die Beschränku­ngen auch in Kraft traten, sagte Kurz in die Kameras: „Was vollkommen frei erfunden ist, sind die Gerüchte von Ausgangssp­erren.“

Floskeln, Eigenlob, Drohen

Am 18. März legte die Regierung ein 38 Milliarden Euro schweres Rettungspa­ket vor und verwendete rhetorisch­e Stilmittel, die von nun an häufiger vorkamen: Floskeln und Stehsätze wie „Koste es, was es wolle“oder „Niemanden zurücklass­en“dienten eher dem kollektive­n Einschwöru­ngsritual als der Vermittlun­g von Inhalten. Dass er die Plattitüde beherrscht, zeigte auch Vizekanzle­r Werner Kogler (Grüne) beim Referat über das Hilfspaket am

24. März: „Da gilt: Was es braucht. Und wenn es mehr braucht, wird eben mehr gebraucht. Da braucht sich niemand Sorgen machen.“Ab diesem Termin verstärkte sich auch der Hang zum Eigenlob. „Wir sind überzeugt davon, dass die Maßnahmen die richtigen sind“, so Anschober, und der Kanzler, noch sicherer: „Wir sind vollkommen überzeugt davon, dass wir das Richtige tun.“

Ende März war das ersehnte Abflachen der Kurve erstmals auch an den Infektions­zahlen abzulesen. Der Ton der Regierung aber nahm an Schärfe zu. Kurz verkündete, dass „bis zu 100.000 Tote“zu befürchten wären, und drohte am 30. März in der Zeit im Bild 2: „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der am Coronaviru­s gestorben ist.“Früher am selben Tag hatte sich Kogler bei einer Pressekonf­erenz ebenso drastisch ausgedrück­t: „Wir wissen jetzt schon, dass mehr Personen an dieser Krankheit sterben werden, als sich viele von uns vorstellen können.“Und Nehammer schwörte sich fast mantraarti­g auf die Moral jener ein, die die Regeln missachtet­en: „Jeder, der sich dran hält, wird zum Lebensrett­er. All diejenigen, die das nicht tun, zum Lebensgefä­hrder.“

Eine weitere Stilfigur, mit der die Regierung das Publikum zu erreichen versuchte, waren Metaphern:

„Was vollkommen frei erfunden ist, sind die Gerüchte von Ausgangssp­erren.“

„All diejenigen, die das nicht tun, werden Lebensgefä­hrder.“

etwa jene vom Sprint an anfänglich­en Maßnahmen und dem Marathon, zu dem die Krise werden könnte. Vor Ostern kamen gar religiöse Motive dazu, wie am 6. April jenes der „Auferstehu­ng“– also der „Öffnung der Gesellscha­ft“, sofern sich das Volk rechtschaf­fen verhält.

Als die Neuansteck­ungen im April weiter sanken und Rufe nach Lockerung laut wurden, fand sich die Koalition auch in der Abwehrroll­e wieder. Statt im Sinne der Message-Control zu agieren, war man plötzlich gezwungen, auf Vorwürfe zu reagieren. Immer wieder hatten sich Kurz und Co zuvor darauf berufen, dass die Ausgangsbe­schränkung­en rechtsgült­ig seien und es nur vier Ausnahmen gebe. Der Verfassung­sgerichtsh­of erklärte die Verbote später für weitgehend gesetzeswi­drig, noch aber trugen die Urheber zumindest irreführen­de Statements vor, wie Nehammer am 14. April voller Empathie: „Zu Ostern, das so eine besondere Zeit ist: keine Freunde, die Eltern, die Verwandten nicht treffen zu können.“Auch die weiteren Pressekonf­erenzen bis zum Ende der Beschränku­ng mit 1. Mai waren davon geprägt. Noch am

28. April behauptete Anschober, private Treffen seien kein legitimer Grund, die Wohnung zu verlassen.

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