Die zweite Welle kommt und geht noch nicht
Die Zahlen blieben niedrig. Ab 29. Mai sollte alles noch ein Stück normaler werden. Die Regierung musste keine Verschärfungen mehr verkaufen, sondern das „große Öffnungsprogramm“. Entsprechend losgelöst war die Rhetorik. Kogler zeigte sich selbstironisch: „Wenn es was zu verlautbaren gibt, sind wir ja bekannt dafür, dass wir nicht geizen mit Pressekonferenzen.“Die Lockerheit war keine nur kommunikative, sie war auch an den Maßnahmen abzulesen; im Handel verschwand die Maskenpflicht. Wo das Zuckerbrot ist, ist die Peitsche aber nicht weit: „Es wäre absurd, dass wir alles zugesperrt lassen und Österreich in Ausnahmezustand versetzen, wenn sich die Situation verbessert. Und genauso wäre es absurd, nichts zu tun und die Hände in den Schoß zu legen, wenn sich die Situation wieder verschlechtert“, sagte Kurz und drückte es am 24. Juni noch praxisnäher aus: „Die Maske bitte nicht wegwerfen. Wir werden sie noch brauchen.“
Die Infektionszahlen stiegen Anfang Juli wieder an und erreichten bald Werte, wie sie die Dashboards seit zwei Monaten nicht mehr gesehen hatten. Am 21. Juli, als der Mundnasenschutz in Lebensmittelhandel, Banken und Post zurückkehrte, war die sommerliche Leichtigkeit der Regierungskommunikation wieder zurückgenommen. Nicht lange, nachdem die Bevölkerung die Maske ablegen durfte, betonte Kurz ihren hohen symbolischen Wert: „Je mehr sie aus unserem Alltag verschwindet, desto unbeschwerter wird wieder alles.“
Anschober schaute trotz Mahnungen positiv Richtung Herbst. Anders als im Frühjahr, „wo das ganze Thema gewaltig auf uns zugekommen ist – ohne Erfahrungen, ohne dass es ein Wissen gegeben hat“, könne man sich nun auf die nächste Phase vorbereiten.
Am 4. September waren die Neuinfektionen bei mehr als 300 Fällen pro Tag angekommen. Dennoch erneuerte Kurz angesichts der Fortschritte in der Forschung die optimistische Metapher vom „Licht am Ende des Tunnels“. An sich ging es bei der Pressekonferenz um die an diesem Tag startende Corona-Ampel. Für den Gesundheitsminister war sie ein erhabener „Fortschritt für die Transparenz“und Mittel, um regionale Maßnahmen bindend einzusetzen. Beides ist die Ampel bis heute nicht, und so lassen sich Anschobers damalige Worte nahezu ironisch lesen: „Natürlich brauchen wir ein paar Tage Umsetzungszeithorizont, um das in gute Verordnungen zu gießen, und das ist auch für die andere Seite gut, denn es gibt ja Betroffene, die sich darauf einstellen müssen.“
Querschüsse und Defensive
Am 11. September hielt sich Kurz trotz Werten von 500 täglich neuen Fällen weiter ans „Licht am Ende des Tunnels“. Zugleich griff er, wie auf Italien im Frühjahr, als Negativbeispiel auf das hart von der zweiten Welle getroffene Israel zurück, um per Worst-Case-Szenario hiesige Verschärfungen zu argumentieren – wurden an diesem Tag doch neue Obergrenzen bei Events und die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen bekanntgegeben.
In dieser Zeit mehrten sich auch die Querschüsse gegen die Wiener Landesregierung wegen deren Krisenhandlings: „Ich bin sehr dankbar als Bürger, aber auch als Innenminister, dass es jetzt auch in Wien zu einem Umdenken gekommen ist, dass die Lage sehr ernst genommen wird. Besser spät als nie“, sagte Nehammer. Am 17. September fand sich die Regierung – wie schon bei den Ausgangsbeschränkungen – im rechtlichen Graubereich wieder und musste ihre PR danach ausrichten.
Konkret stellte sich die Frage, ob Personenobergrenzen auch zu Hause gelten. Hatte Kurz Kritik an den Corona-Gesetzen Wochen zuvor noch als „juristische Spitzfindigkeiten“weggewischt, so gab er sich nun fast defensiv: „Wir regeln, was wir können, und respektieren als überzeugte Demokraten in einem liberalen Rechtsstaat, dass es verfassungsrechtliche Grenzen gibt, und das betrifft die eigenen vier Wände.“
Bei allem juristischen Fachjargon versuchte Kurz die Menschen aber einmal mehr auch auf der Gefühlsebene abzuholen: „Gerade das, was vielen von uns Freude macht, ist oft der Ort für Ansteckungen. Gerade das, wo sich viele Menschen ganz besonders sicher fühlen, weil sie die handelnden Personen kennen, mit Freunden oder Familie unterwegs sind.“Kogler füllte seine Rolle ähnlich und setzte hinzu: Auf Après-Ski folge nun Après-Fußball, wo man genauso aufpassen müsse.
Am 19. Oktober, einem Montag, der mehreren Tagen mit vierstelligen Neuinfektionswerten folgte, wurden die strengsten Verschärfungen seit Frühling verkündet. Auch in ihren Pressestatements zogen die Regierungspolitiker Parallelen zum Frühjahr. Affektiv wie Anschober: „Im Frühling hat Österreich ganz großartig dagegengehalten, mit einem fantastischen Engagement.“Oder inhaltlich wie Kurz, der Vergleiche mit den neuerlich exponentiell ansteigenden Zahlen zog.
Anders als im Frühling, als der Lockdown knapp vor der Ausrufung noch dementiert wurde, ließ der Kanzler am Ende dieser Pressekonferenz anklingen, dass die härtesten Maßnahmen nicht mehr weit sein müssen – wie gehabt im Vergleich mit dem Ausland: „Wenn der Trend weitergeht, befinden wir uns in der Situation vieler anderer Länder, die deutlich drastischere Maßnahmen setzen müssen als wir.“
„Die Corona-Ampel ist ein Fortschritt für die Transparenz.“
„Wir respektieren als Demokraten in einem liberalen Rechtsstaat verfassungsrechtliche Grenzen.“