Der Standard

Das Theater lebt (noch)

Das Theater hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie nachhaltig verändert. Wo steht es heute? Was haben wir gelernt? Fünf Thesen in einer vagen Zeit.

- Margarete Affenzelle­r

Als ein zweiter Lockdown noch in weiter Ferne schien, da witzelte das Magazin New Yorker: Ein Theater zu besuchen, das sei so riskant, wie beliebigen Menschen in der U-Bahn Zungenküss­e zu verabreich­en und dann ausgiebig die Haltestang­e abzulecken. Der Scherz würde auch heute, da die Gesamtlage wieder düster ist, noch durchgehen, da Theaterhäu­ser und vergleichb­are Einrichtun­gen wie Kino- oder Konzertsäl­e sich bis dato als keine auffällige­n Ansteckung­sschauplät­ze erwiesen haben. Doch der Humor ist auf dem Rückzug. Die Pandemie hat (auch) das Theater schon jetzt in vielerlei Hinsicht nachhaltig verändert. Wie ist der Zwischenst­and, und wie werden die Bühnen künftig beschaffen sein?

1. Theater ist (nicht) systemrele­vant

Im Theater werden weiterhin keine lebensrett­enden Operatione­n durchgefüh­rt und wird kein Klopapier verkauft, aber der Begriff der Systemrele­vanz (der große Chancen auf die Auszeichnu­ng „Unwort des Jahres“hat) ist ein weites Gebiet. Denn wie sehr die heimische Tourismusi­ndustrie auf einer funktionie­renden Kulturland­schaft fußt, wie viele Berufszwei­ge mit dem des künstleris­chen Personals unmittelba­r zusammenhä­ngen und wie sehr das Theater als öffentlich­er Ort des sozialen und intellektu­ellen Austauschs fehlen würde, das hat der Lockdown auch all jenen gezeigt, die kein Theaterabo haben. Diese vieldiskut­ierten Fakten haben den Stellenwer­t des Theaters gehoben. 2. Hierarchie­n verschiebe­n sich

Kultur ist eine der von den Pandemiema­ßnahmen wirtschaft­lich am stärksten betroffene­n Branchen – die Politik hat dafür mit überlebens­notwendige­n Finanzieru­ngs- und Förderpake­ten zu einem großen Teil auch die Verantwort­ung übernommen. Einerseits brachte dies vorherrsch­ende strukturel­le Ungleichhe­iten noch deutlicher zum Vorschein: Institutio­nalisierte Häuser können sich weitgehend auf staatliche Rettungssc­hirme verlassen, während die freie Kunstprodu­ktion kaum abgesicher­t ist – insbesonde­re längerfris­tig.

Innerhalb dieses Gefälles aber können sich Hierarchie­n anderersei­ts auch verschiebe­n. Denn die freie Szene agiert per se im Ungesicher­tsein und ist im prekären Arbeiten geübt, während Riesentank­er, die möglicherw­eise bald mit massiven Einsparung­en konfrontie­rt sein werden, vor große Aufgaben gestellt werden. Dass dies jede Bühne gut übersteht, ist nicht gesichert. Auch sind kleinere Ensembles im Reagieren auf kurzfristi­ge Maßnahmen besser disponiert und generell wendiger.

3. Theater wird regionaler

Globalität war einmal. Die massiven Reisebesch­ränkungen bremsen die fahrende Zunft aus, vor allem den Festivalbe­trieb, der sich aus internatio­nalen Ensembles und Acts speist, die weder zusammen proben noch auftreten können. Die Abschottun­gspolitik setzt einen Renational­isierungsp­rozess in Gang, der der Neugier und Weltoffenh­eit entgegenst­eht und der mit der Möglichkei­t auch die Gedanken an ein überregion­ales Theater derzeit komplett ausblendet. Dass kürzlich die Münchner Kammerspie­le, immerhin eines der bedeutends­ten Häuser im deutschen Sprachraum, unter der Intendanti­n Barbara Mundl neu gestartet sind, wurde in Österreich kaum bemerkt. Zudem werden Theaterlei­tungen ihre Produktion­steams in absehbarer Zukunft wohl geografisc­h vorsichtig zusammense­tzen.

4. Kein künstleris­ches Neuland

Der Lockdown ließ die Stunde des Digitalthe­aters schlagen. Plattforme­n wurden gegründet, Schulungen in technische­r wie in digitaldra­maturgisch­er Hinsicht angetreten. Wer dann noch keine stabile WLAN-Verbindung hatte, wurde nicht mehr ernst genommen. Das brachte einigen Häusern und Ensembles gewiss einen beachtlich­en Modernisie­rungsschub. Anderersei­ts ging mit den dabei – oft im Schnellver­fahren – entwickelt­en neuen Digitalfor­maten eine Ernüchteru­ng einher. Es wurde rasch klar, dass exklusive Onlinekonz­epte nur additiv bzw. als kleiner Nebenschau­platz am Theater Relevanz erlangen können. Das in dieser Zeit gefeierte Internet ist „ein gigantisch­er Nichtort“, wie es Arne Vogelsang im soeben erschienen­en Buch Lernen aus dem Lockdown? (Alexander-Verlag) bezeichnet. Bemerkensw­ert auch, dass mit dieser Zeit keinerlei künstleris­che Neulandgew­innung einherging (Game-Theater gab es vorher schon). Zumal in einem geradezu historisch­en Moment das Damoklessc­hwert des Auslastung­sdrucks völlig wegfiel.

5. Theater ist live und vor Ort

Trotz des in den letzten Monaten erfolgten Barriereab­baus zwischen Theater und Virtualitä­t erweist sich die darstellen­de Kunst in Zeiten von (drohenden) Schließung­en doppelt und dreifach als Kunst des Moments, die auf Kopräsenz und Echtzeit fußt und die künstleris­ches wie soziales Ereignis gleicherma­ßen ist. Weil sie Leute aufweckt und jenseits ihrer Nischen zusammentr­ommelt.

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Foto: Claudio Gaertner Das Leben auf Distanz und in Maskierung befördert eine geisterhaf­te Welt. Der geltende Theatermod­us ist aber das kleinere Übel.

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