Zweiter Lockdown würde Wachstum in Österreich abwürgen
Ganz Österreich wird auf Corona-Ampel rot Experte fährt Konjunkturprognose zurück
Wien – Der sich abzeichnende Lockdown light in Österreich wird sich laut Ökonomen massiv auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt auswirken. Der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), Martin Kocher, rechnet nicht nur mit direkten Auswirkungen durch mögliche Schließungen von Restaurants oder weiteren Beschränkungen von Events – vielmehr werde die schlechtere Stimmung allgemein auf Konsum und Investitionstätigkeit drücken. Kocher rechnet mit einer leichten Verschärfung der Rezession im laufenden Jahr. „2021 wird das größere Problem“, sagt er im STANDARD-Gespräch.
Das Wachstum werde dann nur noch ein Prozent anstatt der bisher erwarteten 4,7 Prozent ausmachen. Das würde den Arbeitsmarkt stark belasten, insbesondere dann, wenn die Insolvenzen rapide ansteigen sollten.
Neue Beschränkungen lassen den Ruf nach Entschädigung der Betriebe schon laut werden. Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer spricht sich für ein „maximales Offenhalten“aus und fordert – wie auch Branchenvertreter – neue Hilfsleistungen, die sofort bei den Unternehmen ankommen.
Wie genau diese Beschränkungen aussehen, war am Donnerstag allerdings noch unklar. Bei einer Pressekonferenz der Regierung wurde eine Information für Samstag angekündigt. Dass strenge, bundesweite Maßnahmen kommen werden, war jedoch klar – nicht zuletzt auch wegen der jüngsten Ampelschaltung der Corona-Komission. Diese stufte einerseits Österreich in seiner Gesamtbewertung auf Rot, anderseits wurden in der Detailbewertung sämtliche Bundesländer bis auf Kärnten und alle bis auf 16 Bezirke rot eingefärbt.
Maßnahmen noch unklar
Darüber, wie die Maßnahmen konkret aussehen, gab es am Donnerstag weiterhin nur Spekulationen: Diese reichen von einem Schließen der Gastronomie über nächtliche Ausgangssperren bis hin zu Kontaktbeschränkungen oder Homeschooling für Oberstufenschüler.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) warnte außerdem davor, dass schon Ende November die Intensivstationen an ihre Grenzen stoßen könnten. Dies würde dann eintreten, wenn die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf 6000 steigen würde, am Donnerstag lag sie bei knapp 4500. (red)
Die guten Nachrichten zuerst: Wir wüssten heute viel mehr über das Virus, das mache das Handeln einfacher, sagen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Auch die Dunkelziffer sei heute geringer. Und eine massentaugliche Impfung liege inzwischen in näherer Ferne. Ansonsten heißt es in der Krise jetzt dennoch sprichwörtlich: zurück zum Start. Wir stecken wieder genauso tief drinnen wie im Frühjahr vor dem Lockdown – mindestens.
Kommende Woche
Am Samstag wird die Regierung bekanntgeben, welche weiteren Verschärfungen zur Eindämmung der Pandemie bevorstehen. Zuvor treffen Kanzler und Minister am Freitag die Sozialpartner, am Samstag führen sie Gespräche mit den Parlamentsparteien und den Landeshauptleuten. Grund für den Termin erst am Wochenende ist, dass für die Verschärfungen teilweise der Hauptausschuss des Nationalrats benötigt wird. Darüber hinaus sollen am Samstag bereits fertige Verordnungen vorliegen. In Kraft treten werden die Neuregelungen dann im Laufe der kommenden Woche – so der Plan.
Schon seit Tagen und Wochen wird über einen partiellen Lockdown spekuliert. Von Einschränkungen in der Gastronomie ist die Rede. Es gehe auch um die Reduktion von Kontakten. Die Regierung
selbst bleibt vage und verweist auf den Samstag. Am Donnerstag stand eine mögliche Ausgangssperre bei Nacht und Homeschooling für Oberstufenschüler im Raum.
Fest steht: Corona lässt sich ohne weitere Maßnahmen derzeit nicht bremsen. Die Corona-Betten in den Spitälern füllen sich, die Zahl der Indramatisch,
tensivpatienten steigt, die Aufklärungsquoten in der Fallnachverfolgung sinken. Am Freitag wurden 4453 neue Corona-Fälle bestätigt. Es geht fast täglich bergauf. Wir stünden derzeit in etwa bei einer Verdoppelung der Positivtestungen innerhalb einer Woche, sagt der Kanzler. Das sei viel zu viel. Die Lage sei
die Situation hochproblematisch, stimmt Anschober zu.
Die Forderungen nach bundesweiten Maßnahmen werden inzwischen auch immer lauter. SPÖ-Chefin Pamel Rendi-Wagner richtet am Donnerstag einen eindringlichen Appell an die Österreicher und die Regierung. Die Bevölkerung müsse die
Corona-Maßnahmen einhalten und soziale Kontakte reduzieren. TürkisGrün fordert sie auf, „jetzt, jetzt, jetzt zu handeln“. Aus heutiger Sicht müsste in spätestens zehn Tagen ein Lockdown kommen, sagt die Politikerin und Gesundheitsexpertin.
„Die Zeit der regionalen Maßnahmen ist vorbei“, heißt es auch aus dem Büro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ). Man erwarte vom Bund „einheitliche Lösungen“, um das Problem in den Griff zu bekommen. Gespräche über zu treffende Vorbereitungen habe es mit dem Bund noch nicht gegeben.
Der gleiche Ruf tönt aus Innsbruck. Schon vor zwei Wochen, als Innsbruck von der Ampel-Kommission auf Rot geschaltet wurde, dachte Bürgermeister Georg Willi (Grüne) eine nächtliche Ausgangssperre an. Sollten vom Bund oder dem Land Tirol keine ausreichenden Maßnahmen gesetzt werden, werde man „in Innsbruck diskutieren müssen, selbst welche zu ergreifen“, sagt Willi zum STANDARD.
Kärnten bleibt orange
Angesichts der Situation bewertet die Corona-Ampel-Kommission Donnerstagabend erstmals Österreich gesamt – und stuft das Land als rot ein. Auf Bundesländerebene werden acht Länder rot – nämlich alle außer Kärnten. Auf Bezirksebene bleiben nur 17 Bezirke, die nicht rot leuchten – also in die höchste Corona-Warnstufe rutschen.