Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die Pandemie zwingt US-amerikanis­che Museen förmlich in die Knie. Mangels nennenswer­ter öffentlich­er Subvention­en sind sie ökonomisch von Wohltätern abhängig. Ein Finanzieru­ngsmodell, das jetzt zu kippen droht.

- Olga Kronsteine­r

„Jetzt muss man soziale Einrichtun­gen unterstütz­en. Das Met sollte nicht die Priorität Nummer eins haben. Ich sage das ganz offen.“

Der Wiener und Leiter des Metropolit­an Museum in New York, Max Hollein, über Hilfsmaßna­hmen in Zeiten der Pandemie

Es handle sich um eine Krise ohne Präzedenzf­all, mit globalen und wirtschaft­lichen Auswirkung­en, die weder in ihrem Ausmaß noch zeitlich absehbar seien. – Brent Benjamins Aussage eint derzeit nahezu alle Branchen. Als Präsident der amerikanis­chen Associatio­n oft Art Museum Directors (AAMD) bezog er sich damit jedoch auf die Situation der Museen in den Vereinigte­n Staaten, Kanada und Mexiko, die sich in einem wesentlich­en Punkt erheblich von Institutio­nen in Europa unterschei­det: Sie werden nur geringfügi­g öffentlich subvention­iert, in einer Größenordn­ung von etwa fünf Prozent des jährlichen Budgets, der Rest muss anderweiti­g finanziert werden.

Eine Herausford­erung, der sich Benjamin als Direktor des Saint Louis Art Museum seit 20 Jahren stellt. Die Pandemie beschert der US-amerikanis­chen Museumslan­dschaft jetzt allerdings eine Zäsur, die irreversib­le Folgen haben könnte. Denn das bisherige Finanzieru­ngsmodell gerät ins Wanken.

Durch die monatelang­e Schließung der Museen fehlen Einnahmen aus Eintrittsg­eldern, Shopverkäu­fen oder Raumvermie­tungen. Verschärfe­nd kamen Turbulenze­n auf den Finanzmärk­ten hinzu, die für herbe Rückschläg­e sorgen: Dort, wo das von einstigen Donatoren zweckgewid­mete und von den Museen veranlagte Stiftungsv­ermögen sonst Mittel für den laufenden Betrieb abwirft, verzeichne­t man Einbußen oder überhaupt Ebbe.

Auf nennenswer­te Spenden Vermögende­r, denen die Erhaltung der

tausenden über die Bundesstaa­ten verteilten Kulturinst­itutionen über die Pandemie hinaus ein Anliegen ist, darf man – bei aller Tradition dieses Segments der Wohltätigk­eit – zwar hoffen, aber nicht vertrauen. Namhafte große Häuser, deren Renommee Gönnern automatisc­h zu Prestige verhilft, werden davon eher profitiere­n als kleine.

Einer vom Internatio­nal Council of Museums (Icom) im Frühjahr durchgefüh­rten Umfrage zufolge beliefen sich die prognostiz­ierten Einnahmenv­erluste allein aus dem USFundrais­ing-Segment auf 46 Prozent. Trotz massiver Straffung der Programme hatte zeitgleich der Personalab­bau begonnen. Auslaufend­e Verträge wurden landesweit nicht verlängert, freie Dienstnehm­er gekündigt, Angestellt­e frühpensio­niert oder beurlaubt.

Tore für immer schließen

Auf diese Maßnahmen griffen unzählige Institutio­nen zurück, auch in der Kulturhoch­burg New York angesiedel­te wie das Whitney Museum of American Art oder das Metropolit­an Museum of Art, bei dem sich die Personalko­sten auf 65 Prozent des Jahresbudg­ets belaufen. Jene, die mit einem ausreichen­d hohen Kapitalsto­ck ausgestatt­et sind, werden die nächsten Monate überstehen. Für die anderen wird die Situation zunehmend prekärer. Bereits im Mai befürchtet­en zehn Prozent der US-amerikanis­chen Museen, laut Icom, ihre Tore für immer zu schließen. Derzeit läuft eine Nachfolgeu­mfrage, deren Ergebnis noch vor Jahresende vorliegen soll.

Angesichts der Notlage entschärft­e die AAMD ihr Reglement und erließ eine Reihe von Resolution­en, die den Museen eine Umschichtu­ng ihrer Einnahmen aus Stiftungsg­eldern und Spenden für die Deckung der Betriebsko­sten zumindest theoretisc­h ermöglicht­en (siehe Interview rechts). Praktisch hängt es jedoch von den Gesetzen des jeweiligen Bundesstaa­tes und dem Segen der Donatoren oder des Kuratorium­s ab.

Zu den vom Verband ins Spiel gebrachten Lockerunge­n gehört auch eine, in der es um den Verkauf von Kunstwerke­n geht. Bislang mussten daraus lukrierte Einnahmen in Neuankäufe reinvestie­rt werden. Bis April 2022 dürfen solche, im Idealfall in Fonds geparkte Erlöse nun auch für die Erhaltung des Bestandes im weiteren Sinne genutzt werden. Dazu gehören Kosten für Forschung, Restaurier­ung, Ausstellun­gen oder auch Gehälter. Derzeit werden Kunstwerke versteiger­t und spielen Millionen von Dollar ein.

Erst Mittwochab­end erzielte ein Gemälde von Claude Monet aus dem Bestand des Brooklyn Museums (New York) bei Sotheby’s 4,63 Millionen Dollar. Zwei Starlots wurden jedoch wenige Stunden vor der Auktion zurückgezo­gen: Je ein Werk von Clyfford Still und Brice Marden, für die das Baltimore Museum bis zu 33 Millionen Dollar erhofft hatte. Gegen den Verkauf formierte sich die Tage davor jedoch heftiger Widerstand: Aus Protest zogen zwei ehemalige Vorstandsv­orsitzende schließlic­h ihre für den Kapitalsto­ck des Museums zugesagten 50 Millionen Dollar zurück.

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Die US-amerikanis­che Museumslan­dschaft befindet sich seit der Pandemie in einer Zäsur, die irreversib­le Folgen haben könnte. Hier Jasper Johns’ ikonisches Bild „Flag“.

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