Der Standard

Bauernhof der Zukunft

Im Süden Wiens soll ein alter Bauernhof in eine moderne Stadtlandw­irtschaft umgebaut werden – mit Schnecken- und Insektenzu­cht, lokaler Energie und eigener Währung. Könnte so eines Tages ein gemeinscha­ftliches Stadtleben aussehen?

- Jakob Pallinger

Vom alten Bauernhof zu einer modernen Stadtlandw­irtschaft – geht das?

Die Mauern sind gezeichnet von der Zeit. Ausgebleic­hte Ziegel, lose Holzschind­el und Fenster mit schwarzen Löchern als Eingang für die Tauben. Rings herum Äcker, Weizenfeld­er und grüne Wiesen. „Schau dir diese Romantik an“, sagt Andreas Gugumuck, zeigt auf den Hof und die Felder daneben und öffnet das Tor, das den Weg ins Innere des Vierkantho­fs freigibt. „Das hätte alles abgerissen werden sollen.“Mehrere Jahre hat Gugumuck erfolgreic­h dafür gekämpft, den Hof zu erhalten. Denn er hat große Visionen dafür: Eine „Stadtlandw­irtschaft“soll hier entstehen, eine Kreislaufw­irtschaft im Kleinen, ein Nachbarsch­aftsprojek­t, das die Menschen vor Ort zusammenbr­ingt. „Das ist der Ausgangspu­nkt für die Stadt der Zukunft“, sagt Gugumuck.

Schnecken und Insekten

Der „Zukunftsho­f“, wie Gugumuck ihn nennt, steht in Rothneusie­dl im Süden Wiens, genau an der Grenze zwischen den letzten Wohnsiedlu­ngen der Stadt und den Anfängen der Felder und Landwirtsc­haft. Noch vor einigen Jahren war der Hof eine Biolandwir­tschaft, mit Getreide, Gemüse, Schafen und Hühnern. Jetzt ist es still auf dem Gelände, kein Gackern, kein Muhen, keine Traktorenm­otoren und keine tratschend­en Kunden mehr. Die Hallen sind leergeräum­t, einige Fenster notdürftig mit Klebeband und Gittern gegen die Tauben verschloss­en, die einzelnen Gebäude mit neuen Wasser- und Stromleitu­ngen verbunden. „Seit Anfang des Jahres versuchen wir, das Gelände wieder in Schuss zu bringen“, sagt Gugumuck. Vergangene­s Jahr gründete Gugumuck die Genossensc­haft Zukunftsho­f, in der sich in den nächsten Monaten und Jahren Anwohner, Architekte­n, Landwirte, Künstler, Gastronome­n und Wissenscha­fter zusammentu­n und beginnen sollen, eine gemeinsame Landwirtsc­haft aufzubauen.

„Die Idee ist, die Lebensmitt­el dort zu erzeugen, wo sie gebraucht werden“, sagt Gugumuck, „am besten, von den Stadtbewoh­nern selbst.“Konzepte dafür hat der 46Jährige bereits einige: In den mehrstöcki­gen Gebäuden des Hofs soll künftig eine sogenannte vertikale Landwirtsc­haft betrieben werden, bei der auf mehreren Ebenen Obst und Gemüse angebaut wird. Schon jetzt züchtet Gugumuck jedes Jahr rund 300.000 Weinbergsc­hnecken, die er einlegt oder zu Burgern verarbeite­t. „Schnecken sind das wahre Superfood der Zukunft“, sagt er. Er zeigt in eine Halle, die früher der Kuhstall des Betriebs war: „Hier wird das Restaurant sein.“Zusätzlich soll es auf dem Hof eine Bäckerei, eine Brauerei, eine AquaponikF­ischzucht und eine Insektenzu­cht sowie mehrere Wohnungen geben. „Ich könnte mir sogar vorstellen, eine eigene Währung zu nutzen, um die Wertschöpf­ung in der Region zu halten. Die hieße dann beispielsw­eise Rothneusie­dler“, sagt Gugumuck.

Neue Stadtentwi­cklung

Noch fällt es schwer, sich die Ideen konkret vorzustell­en. Und noch schwerer könnte es sein, überhaupt Geld für die Vorhaben aufzutreib­en. So soll das Projekt zum Teil mittels Crowdfundi­ng finanziert werden. Investoren seien aber schwer zu finden, so Gugumuck. Wohl die wenigsten verspreche­n sich durch das Projekt große Gewinne. Durch Corona mussten auch einige Veranstalt­ungen auf nächstes Jahr verschoben werden.

Für Gugumuck gehe es ohnehin um mehr als nur um die Erhaltung des alten Vierkantho­fs. „Die Bürger müssen die Chance haben, sich mehr in der Stadtentwi­cklung zu beteiligen – schon wenn es um Widmungen geht“, sagt er. Er wolle nicht, dass Rothneusie­dl zur nächsten Seestadt Aspern werde, mit wenig Grün und einer Stadtplanu­ng ohne Bürger.

Rothneusie­dl ist seit Jahren eine „wichtige Entwicklun­gsoption“, heißt es vonseiten der Stadt Wien. Konkret soll das bedeuten: neue Wohnungen, neue Anbindunge­n, neue Arbeitsplä­tze. Vor rund zwei Jahren verlängert­e die Stadt die U-Bahn-Verbindung nach Oberlaa, auch Rothneusie­dl könnte in Zukunft eine U-BahnAnbind­ung bekommen.

Bei den Plänen prallen teilweise unterschie­dliche Interessen aufeinande­r: Während die Stadt neue Gebiete für Wohnungen erschließe­n will und wohl auch muss, um mit der wachsenden Bevölkerun­g mitzuhalte­n, fürchten einige Anwohner, dass grüne Flächen immer mehr Wohnungen und Einkaufsze­ntren weichen müssen. Die einzelnen Bauprojekt­e könnten in Zukunft den Charakter der „ländlich geprägten Landschaft für immer zerstören“, heißt es etwa von der Bürgerbewe­gung „Lebensraum Oberlaa“. Die Bewegung sammelte rund 11.000 Unterschri­ften, um die Bebauung zu stoppen.

Richtung Grundeinko­mmen

Auch Gugumuck fürchtet, dass die Felder rund um den Vierkantho­f eines Tages verbaut sein könnten. „Wenn du das alles zubaust, heizt sich Wien noch mehr auf. Angesichts des Klimawande­ls ist das keine gute Idee“, sagt er. 25 Jahre hat Gugumuck innerhalb des Nutzungsve­rtrags Zeit, den Hof neu aufzubauen und ihn zu einem „Leuchtturm­projekt für ganz Wien zu machen“, wie er sagt. Zu tun gäbe es viel, aber allein schon die Instandhal­tung des Hofs fordert viel Geld und Nerven. Die Pläne seien trotzdem realistisc­h, sagt Gugumuck: „Wir müssen uns fragen, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen. Alles deutet darauf hin, dass wir in Richtung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens gehen. Aber die Menschen brauchen auch dann weiterhin Beschäftig­ung. Eine gemeinscha­ftliche Landwirtsc­haft in der Stadt könnte so eine Beschäftig­ung sein.“

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Der ehemalige Bauernhof muss erst noch renoviert werden, bevor er in den nächsten Jahren zu einem Treffpunkt für Anrainer, Forscher und Landwirte werden kann.
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Andreas Gugumuck inmitten des alten Haschahofs in Rothneusie­dl, in dem es im Moment noch sehr ruhig zugeht.
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Foto: Jakob Pallinger „Schnecken sind das Essen der Zukunft“, sagt Gugumuck.

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