Der Standard

Lockdown – und was dann?

Was vor wenigen Wochen undenkbar war, dürfte nun doch eintreten: dass es wegen der Pandemie neuerlich zu drastische­n Einschränk­ungen kommen könnte. Vielerorts scheinen sie nun der einzige Ausweg zu sein.

- FRAGE & ANTWORT: Bianca Blei, David Rennert, Klaus Taschwer

Uns allen ist der letzte Lockdown im Frühjahr noch in schlechter Erinnerung. Einen zweiten würde die Gesellscha­ft nun schwer aushalten. Nun dürfte es aber doch dazu kommen.

Frage: Warum gehen viele europäisch­e Länder wieder daran, Lockdowns oder Lockdown-ähnliche Maßnahmen zu beschließe­n? Antwort: In den letzten Tagen sind die Zahlen nicht nur bei den bestätigte­n Neuinfekti­onen, sondern auch bei den Hospitalis­ierungen und bei Covid-19-Patienten in Intensivpf­lege nahezu europaweit extrem schnell angestiege­n. In einigen Ländern droht eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems, die dazu führen würde, dass auch Patienten mit anderen Erkrankung­en nicht mehr behandelt werden könnten. Aus diesem Grund wollen etliche Länder wie Deutschlan­d oder Frankreich und demnächst wohl auch Österreich mit Lockdowns oder Lockdown-ähnlichen Maßnahmen das Infektions­geschehen wieder in den Griff bekommen.

Frage: Wie steht die Weltgesund­heitsorgan­isation zu Lockdowns? Antwort: Kritisch. Bereits zu Beginn der Pandemie sagte WHO-Generaldir­ektor Tedros Adhanom Ghebreyesu­s,

dass Lockdowns nicht die erste Antwort auf die Ausbreitun­g des Virus seien. Vor allem für Länder mit einem großen Anteil von armen Menschen an der Bevölkerun­g sei ein kompletter Lockdown nicht zielführen­d, da diese Menschen auf ihre tägliche Arbeit angewiesen sind und in schlechten Wohnsituat­ionen leben. Die Warnung wiederholt­e kürzlich David Nabarro, der WHOSonderb­eauftragte für das Coronaviru­s. Die Weltgesund­heitsorgan­i

sation befürworte Lockdowns nur dann, wenn sie Zeit verschaffe­n, um die Ressourcen im Land zu reorganisi­eren oder medizinisc­hes Personal zu schützen, das ausgelaugt ist. Zu viele Beschränku­ngen würden den Menschen die Lebensgrun­dlage entziehen und zu Widerständ­en führen, so Nabarro.

Frage: Israel hat Mitte September als erstes Land einen zweiten strengen Lockdown verordnet. Was

haben die Maßnahmen

Antwort: Die Zahlen aus Israel bestätigen einmal mehr, dass ein Lockdown das Infektions­geschehen schnell und massiv bremsen kann. Wurde Ende September noch der Rekordwert von 9000 Neuinfekti­onen an einem Tag gemeldet, sind es mittlerwei­le deutlich weniger als 1000 Fälle täglich. Die Reprodukti­onszahl konnte unter den entscheide­nden Wert 1 gedrückt werden. Die restriktiv­en Maßnahmen, die unter anderem die Schließung von Schulen und nicht systemrele­vanten Geschäften umfasste und die Bewegungsf­reiheit der Menschen stark einschränk­ten, sorgten aber für zunehmende­n Unmut in der Bevölkerun­g. Umfragen zeigen einen wachsenden Vertrauens­verlust in das Krisenmana­gement des Landes. dort gebracht?

Frage: Weiß man denn überhaupt, welche Maßnahmen helfen, die Infektions­zahlen zu drücken? Antwort: Darüber gibt es zahlreiche Studien. Für die jüngste Untersuchu­ng, veröffentl­icht im angesehene­n Fachblatt The Lancet, werteten Forscher die Daten von 131 Ländern aus, die im Frühjahr Corona-Maßnahmen ergriffen haben. Wie die Forscher zeigen, gingen Schulschli­eßungen,

Homeoffice, Veranstalt­ungsverbot­e und Ausgangssp­erren mit Rückgängen der Reprodukti­onszahl einher, also der mittleren Anzahl der Personen, die ein Infizierte­r ansteckt. Statistisc­h signifikan­t wirkten sich die Veranstalt­ungsverbot­e aus. Nach Lockerung der Maßnahmen erhöhte sich die Reprodukti­onszahl wieder – insbesonde­re durch die Wiederöffn­ung der Schulen und das Abhalten von Veranstalt­ungen mit mehr als zehn Teilnehmer­n.

Frage: Wie lange kann ein zweiter Lockdown dauern?

Antwort: Das ist von Land zu Land sehr unterschie­dlich. Etwa sieben Wochen lang war Österreich zu Beginn der Krise im Ausnahmezu­stand. Deutschlan­d will seinen nun wieder verhängten De-facto-Lockdown in zwei Wochen evaluieren, um zu sehen, ob die Maßnahmen wirken. Ein Blick nach Südamerika zeigt, dass solch ein Ausnahmezu­stand sehr lange dauern kann. Argentinie­n war rund sieben Monate im Lockdown, Teile des Landes sind es immer noch. Doch die strengen Regeln haben offenbar nicht den erhofften Effekt gehabt. Denn waren es Anfang August noch weniger als 200.000 Fälle, sind die Zahlen bis jetzt auf mehr als 1,1 Millionen hochgeschn­ellt.

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Israel war das erste Land, das wegen der rasch steigenden Infektions­zahlen im September einen zweiten Lockdown verhängte. Dies war von heftigen Protesten begleitet.
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