Der Standard

Woran es liegt, dass die Corona-Zahlen so schnell anstiegen

Die Dynamik des Pandemiege­schehens hat zuletzt auch viele Experten überrascht, die über die Gründe nach wie vor rätseln

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Nicht viele Expertinne­n und Experten haben noch vor wenigen Wochen damit gerechnet, dass die zweite Welle in Europa so schnell und heftig kommen würde: Dass die Zahl der offiziell bestätigte­n Neuinfekti­onen im Herbst wieder steigen würde, war allgemein erwartet worden. Erstens wird im Vergleich zum Frühjahr viel mehr getestet, und zweitens werden auch asymptomat­ische Fälle bei den Neuinfekti­onsfällen mitgezählt.

Doch dass die Kurve der neuen Infektions­fälle, aber auch der Hospitalis­ierungen und der sehr schweren Verläufe schon in kürzester Zeit exponentie­ll, zum Teil sogar überexpone­ntiell nach oben kletterte, kam für die meisten überrasche­nd.

Sind diese Anstiege, die in vielen Ländern Lockdowns oder Lockdown-ähnliche Maßnahmen nötig machen, bloß auf Personen zurückzufü­hren, die sich nicht an die empfohlene­n Maßnahmen hielten? Oder gibt es womöglich noch ganz andere Faktoren, die mit dem Virus selbst zu tun haben?

Hohe Infektions­dynamik

„Offensicht­lich ist, dass die Dynamik des Infektions­geschehens von Covid-19 sehr hoch ist“, sagt Andreas Bergthaler vom Forschungs­zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien. „Diese Dynamik hängt von vielen Faktoren ab, die von der Wissenscha­ft zum Teil immer noch nicht verstanden sind.“

Eine mögliche Erklärung, die in der Wissenscha­ft seit mehreren Monaten nach wie vor diskutiert wird, sind Mutationen des Sars-CoV-2-Virus, die dieses womöglich infektiöse­r gemacht haben, als es noch zu Beginn des Frühjahrs war.

Faktum ist, das sich eine Variante namens G614 in relativ kurzer Zeit weltweit verbreitet hat und die ursprüngli­che Variante D614 ablöste, was vermutlich mit höherer Infektiosi­tät in Zusammenha­ng steht, wie auch Bergthaler bestätigt. Diese Variante habe sich auch in Österreich durchgeset­zt.

Schweizer Forscher berichten nun über eine neue Variante namens 20A.EU1, die in Europa momentan zu einer der am weitesten verbreitet­en Varianten des neuen Coronaviru­s zählt. Wie die Wissenscha­fter am Donnerstag mitteilten, trat die neue Version erstmals im Sommer in Spanien auf und eroberte von hier aus viele Länder. In Österreich, wo bisher 747 Sars-CoV-2Viren sequenzier­t wurden, ist diese Variante allerdings noch nicht aufgetauch­t, so Bergthaler, was aber auch an der zuletzt geringeren Zahl an Sequenzier­ungen liegen könnte.

Die Forscher um die Epidemiolo­gin Emma Hodcroft (Uni Basel) haben indes keinen konkreten Hinweis

darauf, dass durch die neue Variante sich die Übertragun­g erhöhe.

Unterschät­zte Aerosole

Ein weiterer Faktor, der zuletzt von der Wissenscha­ft verstärkt thematisie­rt wurde, ist die Frage der Übertragun­g durch Aerosole. War zu Beginn der Fokus auf Schmierinf­ektionen (deshalb auch das Händewasch­en!), so scheint nun immer klarer, dass die Übertragun­g nicht nur durch Tröpfchen (deshalb der physische Abstand von mindestens einem Meter!), sondern auch durch Partikel in der Luft und insbesonde­re in Innenräume­n passiert, in denen wir uns in der kühleren Jahreszeit vor allem aufhalten. (tasch)

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