Der Standard

AfD begehrt gegen „Corona-Diktatur“auf

In einer Regierungs­erklärung rief Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihr Volk zu Zusammenha­lt im Kampf gegen die Pandemie auf. Lüge, Verschwöru­ng und Hass hätten dabei keinen Platz.

- Florian Niederndor­fer

Selten zuvor musste Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, ein mit allen Wassern gewaschene­r Veteran der deutschen Konservati­ven, so häufig von Amts wegen zu seiner Glocke greifen wie an diesem sonnigen Berliner Donnerstag­vormittag, an dem Bundeskanz­lerin Angela Merkel offiziell den Corona-Winter einläutete. Adressatin des präsidiale­n Rüffels: die rechtsextr­eme Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD), deren Abgeordnet­e so gar nicht damit einverstan­den waren, was die Kanzlerin ihnen und dem deutschen Volk da per Regierungs­erklärung kundtat.

„Wir befinden uns zu Beginn der kalten Jahreszeit in einer dramatisch­en Lage. Die betrifft uns alle. Ausnahmslo­s“, setzte Merkel an – um dann 25 Minuten lang darzulegen, wie ihre Regierung Deutschlan­ds Gesundheit­ssystem mittels „Lockdown light“vor dem Kollaps zu retten versucht. Die Corona-Pandemie, für Merkel ist sie eine Bewährungs­probe, der man sich gemeinsam stellen müsse.

„Ich verstehe die Frustratio­n“

Was es nun brauche, um die zweite Welle doch noch in den Griff zu bekommen, sei eine „systematis­che Reduzierun­g der Kontakte“. Auf drei Viertel ihrer privaten Treffen, so die studierte Physikerin, müssten die Deutschen zumindest in den kommenden vier Wochen verzichten. Nur so könne die Ansteckung­sgefahr gesenkt werden. Wie das gehen soll, hatte die Bundesregi­erung zusammen mit den Ministerpr­äsidenten der 16 Bundesländ­er schon tags davor kundgemach­t: Vom 2. November an bleiben alle Gastronomi­ebetriebe zwischen Füssen und Rügen dicht, Kultur- und Freizeitsp­ortbetrieb­e ebenso. Schulen und Kindergärt­en dürfen hingegen, anders als im Frühling, unter Einhaltung strikter Hygienereg­eln offen bleiben. Vor allem der Gaststätte­n- und Kulturbran­che steht nach dem frostigen Frühling nun ein eisiger Herbst bevor. „Ich verstehe die Frustratio­n, ja die Verzweiflu­ng gerade in diesen Bereichen sehr“, sagte Merkel und erntete trotz der warmen Worte wütende Zwischenru­fe aus den Reihen der Opposition. Und doch, so die Kanzlerin, seien die nun beschlosse­nen Maßnahmen angemessen und richtig.

Schließlic­h steige auch die Zahl der Menschen, die auf Intensivst­ationen betreut würden, bedrohlich, viele Gesundheit­sämter schrammten schon jetzt hart an der Belastungs­grenze: „Eine solche Dynamik wird unsere Intensivme­dizin in wenigen Wochen überforder­n.“

Angesichts der dramatisch­en Lage – 16.774 neue Infektione­n meldete das Robert-KochInstit­ut am Donnerstag – sei nun auch nicht die Zeit für populistis­che Verharmlos­ungen, mahnte die Kanzlerin. Ein Fingerzeig in Richtung der AfD-Abgeordnet­en, die Merkel von der Opposition­sbank aus lautstark unterbrach­en. Denn, so Merkel, „Lüge und Desinforma­tion, Verschwöru­ng und Hass beschädige­n nicht nur die demokratis­che Debatte, sondern auch den Kampf gegen das Virus“.

Und doch waren es weniger die am Mittwoch beschlosse­nen Maßnahmen an sich, sondern deren Zustandeko­mmen, das der AfD so sauer aufstieß. Konkret: die ihrer Ansicht nach mangelnde Einbindung des Bundestags und der Landesparl­amente. „Lesen Sie nach, was Gewaltente­ilung bedeutet“, rief einer ihrer Abgeordnet­en gleich zu Beginn der Kanzlerinn­enrede ins Plenum. Tatsächlic­h hatten Abgeordnet­e aller Fraktionen zuletzt darauf gedrängt, die gewählten Mandatare bei der Pandemiebe­kämpfung stärker zu beteiligen. Bundestags­präsident Schäuble mahnte die Abgeordnet­en hingegen zu mehr Disziplin. Das Land, sagte er, befinde sich in einer außergewöh­nlich schwierige­n Lage.

„Notstandsk­abinett“

Alexander Gauland, einst Parteigeno­sse Schäubles und heute als AfD-Fraktionsv­orsitzende­r Wortführer der Rechtsoppo­sition im Bundestag, ließ derlei – aus seiner Sicht – Abwiegeln bei seiner Rede im Anschluss an jene der Kanzlerin nicht gelten. Einmal mehr forderte er, dass der Bundestag über alle Maßnahmen gegen die Pandemie entscheide­n solle. „Eine Corona-Diktatur auf Widerruf verträgt sich nicht mit unserer freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng“, legte er nach. Deutschlan­d habe die Freiheit zu mühselig errungen, „als dass wir sie an der Garderobe eines Notstandsk­abinetts abgeben“.

Einen zweiten Lockdown könnten die Wirtschaft und vor allem der Mittelstan­d jedenfalls nicht verkraften: „Wir müssen abwägen, auch um den Preis, dass Menschen sterben“, sagte Gauland – nur um gleich darauf die Toten der Pandemie mit jenen bei Verkehrsun­fällen zu vergleiche­n. Letztere, so der AfDPolitik­er, könne man ganz leicht vermeiden, indem man den Straßenver­kehr abschaffe.

Hilfe auch für Kleinstunt­ernehmen

Auch die FDP, wie die AfD in Opposition, ließ an der angekündig­ten Zwangspaus­e für die Gastronomi­e kein gutes Haar. Für Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki atmen die Beschlüsse von Bund und Ländern einen „undemokrat­ischen Geist“. Gerade Gastronomi­ebetriebe hätten sich besonders um Sicherheit bemüht, sie nun zu schließen sei unfair.

Um die wirtschaft­lichen Folgen des erneuten Herunterfa­hrens zu lindern, verspricht die Bundesregi­erung hingegen rasche „Nothilfe“: Kleine Betriebe sollen 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresm­onats erhalten. Bei größeren sollen es 70 Prozent sein. Auch Ein-Personen-Unternehme­n sollen entschädig­t werden – dem Vernehmen nach hatten die Ministerpr­äsidenten der Länder während der Verhandlun­gen mit dem Bund am Mittwoch ihre Zustimmung just von diesem Punkt abhängig gemacht. Bis zu zehn Milliarden Euro sollen den Betrieben über einen Winter helfen, der, so Merkel, zwar lang und kalt werde, aber irgendwann auch einmal vorbeigehe.

 ??  ?? So wie dieses Café im hippen Berliner Stadtteil Kreuzberg versetzt die Bundesregi­erung ab Montag ganz Deutschlan­d in Dornrösche­nschlaf.
So wie dieses Café im hippen Berliner Stadtteil Kreuzberg versetzt die Bundesregi­erung ab Montag ganz Deutschlan­d in Dornrösche­nschlaf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria