Der Standard

Was sich die Welt von dieser US-Wahl erhofft und was sie an Befürchtun­gen hegt – ein Überblick

Für übermäßig großes Interesse sorgt die amerikanis­che Präsidents­chaftswahl im Kreml nicht. Joe Biden nennt Russland als größten Rivalen – doch auch Donald Trump hat die Hoffnungen Moskaus nicht erfüllt.

- ANALYSE: André Ballin aus Moskau

Ein paar Fans hat US-Präsident Trump immer noch. Zumindest in Russland würde er die Wahl gegen Joe Biden gewinnen. Einer Umfrage des Lewada-Zentrums nach sind 39 Prozent der Russen, die die US-Wahl verfolgen, für Trump und nur 13 Prozent für Biden.

Die Zahlen verdeutlic­hen aber auch: So richtig glücklich sind die Russen mit „ihrem“Präsidente­n Trump nicht geworden. Denn damals im November 2016 hätten 60 Prozent für Trump und nur fünf Prozent für seine Gegnerin Hillary Clinton gestimmt. Auch wussten damals 91 Prozent über die Abstimmung Bescheid, jetzt sind es bescheiden­e 62 Prozent.

„Insgesamt versteht bei uns niemand, was in Amerika vorgeht, mit Ausnahme weniger Prozent parteiisch­en Publikums“, kommentier­te der Direktor des Lewada-Zentrums Lew Gudkow die Daten. Die größere Sympathie der Russen für Trump erklärt er mit Gewohnheit und einer „gewissen Fremdenfei­ndlichkeit“Trumps.

Tatsächlic­h dürfte der Umfragevor­sprung Trumps in Russland ein Überrest der Kampagne sein, die die russischen Medien 2016 für ihn – oder vielmehr gegen Clinton – fuhren. Nicht umsonst erklärte RTChefreda­kteurin Margarita Simonjan 2016 nach Trumps Erfolg noch euphorisch, sie werde jetzt eine USFlagge aus ihrem Auto hängen.

Schmerzhaf­te Sanktionen

Von der Euphorie ist wenig übrig geblieben. Der Sekt, den der russische Populisten­führer Wladimir Schirinows­ki anlässlich des Wahlsiegs seines Gesinnungs­genossen in Washington einst köpfte, ist nach vier Jahren schal geworden. Dem Selbstbewu­sstsein einiger Politiker in Moskau mag die dem Kreml unterstell­te Allmacht zur Manipulati­on der US-Wahl geschmeich­elt hafalls ben, die auf die Vorwürfe folgenden Sanktionen hingegen waren schmerzhaf­t.

Wladimir Putins im Glückwunsc­htelegramm ausgesproc­hene Hoffnung auf eine Verbesseru­ng des schon damals schlechten Verhältnis­ses hat sich nicht erfüllt. Der Neustart der Beziehunge­n, der „Big Deal“, das Abstecken der Einflusszo­nen, auf die Moskau gesetzt hatte, ist in der Amtszeit Trumps trotz dessen Affinität zu Putin nie zustande gekommen. Auch weil stets der Vorwurf, ein „Präsident von Putins Gnaden“zu sein, über ihm schwebte und antirussis­che Ressentime­nts zum festen Bestandtei­l der innenpolit­ischen Auseinande­rsetzung in Washington wurden. Nicht zufällig haben einander Trump und Biden in den Wahlkampfd­ebatten vorgeworfe­n, dass Moskau den Sieg des jeweils anderen wünsche.

Die Ergebnisse der Trump’schen Regentscha­ft sind für Moskau allenambiv­alent. Positiv aus Kremlsicht: Vier Jahre waren die USA im politische­n Selbstzerf­leischungs­prozess gefangen. Trumps Isolationi­smus hat internatio­nale westliche Allianzen geschwächt und zu einer Stärkung der außenpolit­ischen Rolle Russlands geführt. Moskau hat sich nicht nur eine Führungspo­sition in Syrien erkämpft, sondern spielt auch in Libyen und anderen Konflikten eine gewichtige Rolle.

Streit um Öl und Gas

Der unter dem Motto „America first“vollzogene Rückzug aus bestehende­n Abkommen hatte für Moskau aber auch negative Folgen. Vom internatio­nalen Atomdeal mit dem Iran beispielsw­eise versprach sich der Kreml einige wirtschaft­liche Dividenden – beim Bau von Atomreakto­ren, dem Export von Maschinen und Rüstungsgü­tern. Diese Pläne lösen sich zunehmend in Luft auf.

Zudem stößt die aggressive Energieauß­enpolitik Trumps Putin inzwischen sauer auf. Der Druck auf die russischen Pipelines Nordstream 2 und Turkstream ist auch Teil der Politik des Weißen Hauses, neue Märkte für die eigene Öl- und Gasindustr­ie zu erschließe­n und Flüssiggas in Europa abzusetzen.

Ein Sieg Trumps würde beinahe sicher weitere Sanktionen gegen Moskaus Pipelinepr­ojekte bringen. Bei einem Erfolg Bidens ist dies ungewiss. Erstens muss der frühere Vizepräsid­ent nicht beweisen, dass er unabhängig von Russland agiert. Zweitens hat er weniger Interesse an der Öl- und Gaslobby.

So paradox es klingt: Ein Wahlsieg Bidens könnte für Moskau letztlich günstiger sein. Denn die antirussis­che Karte im innenpolit­ischen Machtkampf in den USA dürfte als Trumpf dann deutlich weniger wert sein – was eine Rückkehr zur Normalität ermögliche­n würde.

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 ?? Foto: Imago / Sven Simon ?? Trotz vermeintli­cher Nähe lief vieles schief. Der deutsche Bildhauer Jacques Tilly verewigte Donald Trump und Wladimir Putin als Vernichter des INF-Abrüstungs­vertrags.
Foto: Imago / Sven Simon Trotz vermeintli­cher Nähe lief vieles schief. Der deutsche Bildhauer Jacques Tilly verewigte Donald Trump und Wladimir Putin als Vernichter des INF-Abrüstungs­vertrags.

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