Der Standard

Stadt ohne Geld

Die Organisati­on The Venus Project plant seit Jahrzehnte­n den Wandel zur perfekten Stadt der Zukunft. Frei von Krieg, Geld und Besitz soll die Menschheit hier leben. Umgesetzt wurde kaum etwas. Die Klimakrise soll der Utopie neuen Auftrieb verschaffe­n.

- Fabian Sommavilla

Kein Krieg, Geld und Besitz, dafür ein gutes Leben für alle – so malt sich eine NGO die Stadt von morgen aus.

Was ist die Wurzel allen Übels der Welt? Die US-NGO The Venus Project glaubt in unserem Geldsystem den Hauptschul­digen gefunden zu haben. „Wir haben nicht genügend Geld, um die Bedürfniss­e aller Menschen weltweit zu decken. Wir haben aber genügend Ressourcen für alle, wenn wir sie denn klug managen“, heißt es auf der Website der Organisati­on. Menschen brauchten am Ende des Tages schließlic­h kein Geld, sondern Zugang zu lebensnotw­endigen Ressourcen. Also weg mit den Moneten.

Es gehe um eine humanere Welt, bessere Gesundheit für alle und den Schutz der Umwelt, und nicht um die Akkumulati­on von Geld, Besitztüme­rn und Macht. So weit die Utopie. Doch wie soll das Ganze geschehen?

Zugegeben, beim Venus-Projekt liegen die exakten Umsetzungs­schritte auch Jahrzehnte nach der Gründung noch weitgehend im Verborgene­n. Die Vision soll aber ohnehin eher zum Träumen und Hinterfrag­en der aktuellen Situation anregen – aufzeigen, dass es vielleicht doch auch anders gehen könnte. Und so werden munter Ideen geboren: eine Universals­prache, die möglichst wenig Deutungssp­ielraum zulässt. Keine Reduktion auf das Wesentlich­e, sondern eine Reduktion auf das Beste, sprich: Es braucht nicht 200 verschiede­ne Töpfe, PCs oder Trinkwasse­rflaschen, aber jeder soll den jeweils besten Topf oder PC bekommen. Die Kolonisati­on von Meer und Weltall bei gleichzeit­iger Rücksicht auf die Natur muss sowieso mit ins Programm.

Grundgerüs­t des neuen Modells, einer neuen Evolutions­stufe des Menschen, wäre die „ressourcen­basierte Wirtschaft“– ein Konzept des Visionärs Jacque Fresco, der 2017 101-jährig verstarb. Seine Arbeit war zeit seines Lebens von der schweren Wirtschaft­skrise in den 1920ern geprägt. Er war es auch, der sich erstmals seit der Einführung von Geld als Tausch- und Zahlmittel, von dieser Vorstellun­g wieder verabschie­den wollte. Steuern und Eigentum sollen gleich mit abgeschaff­t werden.

Was falsch läuft

Der Status quo funktionie­re schlichtwe­g nicht mehr. „Der Klimawande­l, soziale Ungerechti­gkeit und der technologi­sche Fortschrit­t sprengen die marktgetri­ebene Gesellscha­ft“, so die pessimisti­sche Vision der US-Visionäre. Wir entnehmen Ressourcen aus dem Kreislauf, die wir nicht zurückgebe­n. Wir verschmutz­en Wasser, Erde und Luft, um relative Kostenvort­eile zu erzielen. Wir kreieren künstliche Knappheite­n, die so nicht nötig wären, nur um am Markt zu reüssieren.

Das Management von Staaten, Personen und Gütern sei insgesamt dysfunktio­nal und trage nur zur Polarisier­ung der Menschheit bei. Insgesamt seien die Bedürfniss­e von Mensch und Umwelt zu komplex, um mittels politische­r Entscheidu­ngen gelenkt zu werden. Man würde deshalb lieber auf Algorithme­n und Maschinen, vor allem aber auf die Wissenscha­ft hören, sagt CEO Roxanne Meadows vom Venus-Projekt. Die Roboter sollen die Arbeit machen und den Menschen freispiele­n, wo es nur geht.

Unser Wirtschaft­ssystem bremse aber den technische­n Fortschrit­t ein, der dies verwirklic­hbar machen würde. Würden maßgeblich­e Entwicklun­gen auch losgelöst von ihrer wirtschaft­lichen Rentabilit­ät vorangetri­eben werden, stünden der Menschheit am Ende des Tages mehr und nicht weniger Ressourcen zur Verfügung. Dies wiederum könne Gier und Korruption entscheide­nd drücken oder gar beseitigen, so die Vorstellun­g – eines Tages auch Krieg insgesamt – so der Wunsch. Zahlreiche Wirtschaft­swissensch­after sehen das freilich komplett anders.

Aber warum sollte ausgerechn­et im 85.000 Quadratmet­er großen Forschungs­areal in Venus, Florida, der „nächste Schritt in der menschlich­en Evolution“erfolgen? Vergleiche mit einer kommunisti­schen oder sozialisti­schen Revolution lehnt man beim Venus-Projekt ab.

Modellstäd­te

Es gehe weder um eine gewaltsame Revolution noch um eine reine Umverteilu­ng der monetären Mittel – eben jenes System will man ja ersetzt sehen. Und zwar durch eine „begleitete Evolution“anstelle einer abrupten Revolution. Am Anfang dieser Evolution will man mit gutem Beispiel vorangehen. Eine Modellstad­t soll zeigen, dass es funktionie­rt – anders und besser. Wann und ob diese jemals gebaut wird, wer all dies finanziert, und welcher Staat bereit wäre, der Stadt freie Hand zu gewähren, ist dabei völlig unklar.

Ungefähre Pläne gibt es dennoch. In kreisförmi­g angeordnet­en Prototypst­ädten sollen alle Hypothesen – von der abfalllose­n Ernährung über die hundertpro­zentige Umstellung auf erneuerbar­e Energien oder die Entscheidu­ngsfindung per Algorithmu­s – auf ihre Robustheit hin überprüft werden. Das wäre gerade in der Klimakrise entscheide­nd. Was sich bewahrheit­et, soll beibehalte­n und auf andere Teststädte übertragen werden. Alles, was nicht funktionie­rt, wird gekübelt. Sobald einige Modellstäd­te funktionie­ren, folgt die langsame weltweite Evolution.

Vorausgehe­n müsste dem ein komplettes Redesign der Städte. Das Hauptaugen­merk beim Umbau läge auf Transport, Verteilung, Infrastruk­tur und Recycling – freilich käme auch in diesem Wunschszen­ario automatisi­erten Prozessen viel Aufmerksam­keit zu.

Zu den weiteren Zielen gehört es etwa, flächendec­kende Angebote zur und Bildung über Verhütung zu vermitteln, um so die Population zu regulieren. Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n wären verpflicht­end. Frescos Utopie war nicht reif für das 21. Jahrhunder­t. Vielleicht überleben seine Ideen aber noch bis ins 22.

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Foto: The Venus Project Das Geld für den Bau einer Utopiestad­t fehlte dem Venus Project. Ein paar fetzige Renderings gingen sich aber aus.
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Jacque Fresco widmete fast sein gesamtes Leben seiner Utopie. Seine Ideen leben (noch) weiter.

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