Eine Frage des Optimismus
Novak Djokovic besitzt die Gabe, Tiebreaks für sich zu entscheiden. Das zeigt er auch in Wien. Jurij Rodionov kam gegen Daniel Evans nicht so weit, der Wiener scheiterte mit 5:7, 3:6.
Der 21-jährige Jurij Rodionov ist am Donnerstag vermutlich mit dem falschen Fuß aufgestanden. Nach dem sensationellen Erfolg über den Weltranglistenzwölften Denis Shapovalov war im Achtelfinale der Erste Bank Open gegen den Briten Daniel Evans Schluss. Der Wiener verlor 5:7, 3:6 und kritisierte sich danach selbst. „Es lag an der fehlenden Erfahrung, ich war zu nervös, zu verhalten, konnte mein Spiel nicht durchziehen.“
Superstar Novak Djokovic hatte am Donnerstag frei, verließ die Blase nur zum Training. Heute trifft er im Viertelfinale auf den Italiener Lorenzo Sonego, der den Polen Hubert Hurkaz 7:6 (6), 7:6 (2) schlug.
In seinen ersten beiden Partien hatte der Serbe Anlaufproblemchen, er musste sowohl gegen Landsmann Flilp Krajinovic als auch im Achtelfinale gegen den Kroaten Borna Coric ins Tiebreak. Er wehrte mehrere Satzbälle ab, gegen Coric sogar vier, das Match endete nach 2:07 Stunden 7:6 (11), 6:3. Die Nervenstärke von Djokovic ist legendär, seine Tiebreak-Bilanz seit dem WimbledonFinale 2019 lautet 21:2.
Im damaligen Fünfsatz-Thriller gegen Roger Federer hat er zwei seiner drei Gewinnsätze ab 6:6 geholt. Lediglich zwei Spieler schafften seither ein Tiebreak gegen den Weltranglistenersten. Zunächst gelang das Dominic Thiem im November 2019 im Gruppenspiel der ATP-Finals, als er den „Djoker“6:7 (5), 6:3, 7:6 (5) besiegte. Zum zweiten Mal passierte es heuer in der zweiten Runde der US Open, als ihm Kyle Edmund den einzigen Satz im Turnierverlauf vor seiner Disqualifikation im Achtelfinale abnahm.
In Wien nach seinem Geheimnis befragt, hatte Djokovic keine Zauberformel parat. „Es ist nur so, je mehr Tiebreaks du gewinnst, je mehr Selbstvertrauen du hast, desto optimistischer gehst du in die Tiebreaks“, sagte der 33-Jährige auf einer logischerweise virtuellen Pressekonferenz. Coric sei im ersten Satz der Bessere gewesen. „Er hätte es verdient, ihn zu gewinnen.“
Thiems Vorbild
Thiem hat heuer eine TiebreakStatistik von 13:8. Bei den US Open, die er bekanntlich gewann, lautete sie 5:0. Der 27-Jährige hat sich Djokovic als Vorbild genommen: „Er spielt in Tiebreaks sehr viele Returns rein und versucht, den Ball so ins Feld zu spielen, dass der Gegner nichts machen kann.“
Freilich will es Djokovic nicht unbedingt auf die Tiebreaks ankommen lassen. Seine Leistungen in den ersten Sätzen seiner bisherigen Wien-Matches haben nicht mehr zugelassen. „Aber ich habe auf meine Chancen gewartet und sie genutzt, als die da waren. Man muss dann auch einen Weg zum Sieg finden. Jedes Match ist eine mentale Herausforderung, man muss die genaue Balance finden.“
Djokovic hält mittlerweile auf der Tour bei einer Jahresbilanz von 39 Siegen bei nur zwei Niederlagen, wobei nur jene im French-Open-Finale gegen Rafael Nadal sportlicher Natur war. Im Grunde zeigt der Jahresverlauf, dass Djokovic in allen seinen Turnieren ins Finale kommt, sofern er davor nicht disqualifiziert wird oder sich verletzt.
In Wien würden dem nun sechsfachen Ranking-Ersten per Jahresende sicher auch am Sonntag etliche seiner Landsleute zujubeln: „Es war sehr schön, die serbischen Fahnen zu sehen. Ich weiß, dass in Wien viele Serben wohnen“, sagte Djokovic. „Ich fühle mich sehr wohl hier. Viele Spieler lieben dieses Turnier. Tennis ist hier populär. Natürlich haben Dominic Thiems Erfolge auch viel bewirkt. Die Leute hier verstehen Tennis“, lobte Djokovic das Publikum. Es sind halt wegen Corona nur 1000 Maskenträger da.
Das Stadthallenturnier ist in diesem Jahr vermutlich die letzte relevante Sportveranstaltung in Europa vor Zuschauern. Thiem traf am Donnerstag nach Blattschluss auf den Chilenen Cristian Garin. (hac, APA)