Der Standard

Kim Kardashian, Melania Trump und das moralische Internet

- Popkultur mit Amira Ben Saoud

Kim Kardashian wollte sich ihren 40. Geburtstag nicht vermiesen lassen, investiert­e Geld in Corona-Tests für die ganze Sippe, steckte alle in einen Privatjet, mit dem sie auf eine einsame Insel flog, um dort so zu tun, als „wäre alles normal“. Auf Twitter zerriss man sich freilich das Maul über die Zurschaust­ellung dieses für die meisten Menschen ganz und gar nicht normalen Luxus.

In dem in englischer Sprache abgefasste­n Artikel dazu findet sich ein Wort, das immer dann zur Verwendung kommt, wenn sich jemand mal wieder danebenben­ommen hat: „tone-deaf“.

Der Begriff bedeutet eigentlich, kein musikalisc­hes Gehör zu haben, übersetzt wird er mit unsensibel oder taktlos, wobei eine andere Übersetzun­g besser treffen würde, was er meint: unmoralisc­h.

Auch Melania Trump wurde als „tone-deaf“kritisiert, als sie eine Jacke mit der Aufschrift „I really don’t care, do u?“für einen Besuch in einem Auffanglag­er für Kinder an der Grenze zu Mexiko wählte. Die Liste an Celebritie­s, die sich im „tone“vergriffen haben, ließe sich jetzt endlos fortsetzen.

Warum ich auf die Übersetzun­g unmoralisc­h poche? Weil nicht nur Philosophi­estudentin­nen und -studenten angeraten sei, ihr Proseminar mal für eine kleine Recherche an der WWW-Front zu schwänzen, sondern allen, die etwas über gelebte Ethik lernen wollen.

Denn die Moral und damit auch das gefährlich­e Moralisier­en feiern schon lange ein großes Comeback im Internet. Besonders die sozialen Medien ermögliche­n es mittels der Kommentarf­unktion jedem, nicht nur Meinung abzugeben, sondern alles zu bewerten. Von Fall zu Fall entscheide­t die Masse, was noch okay und was nicht mehr okay ist – oder um es ganz deutlich zu sagen: was gut und was böse ist.

Mit einem Posting wie „Mit Ihrer Kritik an Kim Kardashian fallen Sie aber hinter Kant zurück!“würde man im Kommentar-Krieg vermutlich keine Meter machen, es geht aber auch nicht in erster Linie ums Philosophe­n-Namedroppi­ng, sondern darum zu hinterfrag­en, ob uns als Gesellscha­ft die Kategorien gut und böse reichen, um uns die Welt zu erschließe­n. Das Internet mag auf Binärcodes aufbauen, Diskurs sollte das nicht tun.

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