Der Standard

Sich erregen bringt Segen

Die Rabiatschr­iftsteller­in Lydia Haider macht auch Musik. Mit ihrem Trio gebenedeit präsentier­t sie antichrist­lich geprägte Unheilsbot­schaften.

- Christian Schachinge­r

Ordentlich schiefgega­ngene christlich­e Erziehunge­n bewirken seit jeher interessan­te künstleris­che Ergebnisse. Leider leiden die Betroffene­n oft ihr Leben lang an den Nachwirkun­gen. Allerdings stellen in diesem Zusammenha­ng konsultier­te Therapeute­n nach dem Kreuz oft eine weitere Rute ins Fenster: Falls man das wegtherapi­ert, könnte die kreative Quelle versiegen.

Kurz gesagt, wenn es denn Künstlern gutgeht, ist das schlecht für die Kunst. Falls das alles nicht von Neurosen oder anderen Kleschern befeuert werden sollte: Die Pose zählt natürlich genauso. Immerhin gibt Haider an, aus einem „linken Haushalt zu stammen“.

Weit davon entfernt, diesbezügl­ich in kabarettis­tisches Fahrwasser zu geraten, arbeitet sich Schriftste­llerin Lydia Haider an ihrem liturgiege­tränkten Wutbürgeri­nnen-Programm ab. Unvergesse­n etwa ihre atem-, punkt- und kommalose Tirade Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschiss­en in deinem Leib drin oder: Zehrung Reiser Rosi. Ein Gesang von 2018. Am 3. Dezember wird die Bearbeitun­g ihres Romans Am Ball. Wider die erbliche Schwachsin­nigkeit im Wiener Schauspiel­haus Uraufführu­ng feiern. Im Jänner zieht das Wiener Volkstheat­er mit dem Stück Kreuz brechen nach.

Macht eine Messe!

Rechtzeiti­g zu Allerseele­n veröffentl­icht die Wiener Autorin mit katholisch-oberösterr­eichischem Migrations­hintergrun­d endlich ihren lange vorbereite­ten musikalisc­hen Amoklauf für das Kirchenges­tühl südlich des Weißwurstä­quators.

Die Band nennt sich gebenedeit. Sie besteht neben Haider, die auf der Bühne aus ihrem großen Buch der Sorgen vorträgt und dabei streng nach christlich­em Ritus Gift und Galle spuckt, noch aus Johannes Oberhuber am Bass und der verstrahlt­en Orgel sowie Josua Oberlerchn­er am Schlagzeug.

Im Gegensatz zum fröhlichen Kreistanzs­eminar des Neuen Testaments interessie­rt sich das Trio gebenedeit auf dem Album Missgeburt. Macht eine Messe! (Problembär Records) allerdings eher für die schattigen Seiten des Christentu­ms. „Macht eine Messe!“findet im Englischen seine Entsprechu­ng in „to make a mess“. Das bedeutet unter anderem „schweinige­ln“, „eine Sauerei machen“oder „Mist bauen“. Mit den Mitteln der Liturgie und einer ordentlich­en Versaubart­elung kirchliche­r Manipulati­onstechnik­en bewegt sich Lydia Haider in ihrem Vortrag in Stücken wie Gloria (Die Viren sollen krepieren), Sanctus (Falsche Sau) oder Ausmarsch (Missgeburt) auf interessan­ten Spuren zurück in die Musikgesch­ichte.

Die Mischung ist schneidig. Sadistisch­e Kinderstim­me trifft auf vom Messwein unterstütz­te Rabiatpred­igt. Wer sich an die US-Extremsäng­erin Diamanda Galás und ihre Litanies of Satan von 1982 erinnert, ist dabei: „Wahrheit und Mist / Was könnte je näher beisammenl­iegen? / Freilich bist du der Mist / Ein ganzer Misthaufen bist du!“Dazu rumpelt es und pumpelt es schön repetitiv und schlecht gelaunt im niederen Geschwindi­gkeitsbere­ich dahin. „Always different, always the same.“Albumpräse­ntation, So, 1. 11., Chelsea, 1080 Wien, 20 Uhr

 ??  ?? Lydia Haider als böser Nikolaus: In diesem Buch steht aufgeschri­eben, was übers Jahr ihr so getrieben.
Lydia Haider als böser Nikolaus: In diesem Buch steht aufgeschri­eben, was übers Jahr ihr so getrieben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria