Der Standard

Über Integratio­n und eine finale Belohnung

- Karin Riss

Wer hat’s gesagt? „Ich möchte positiv an die Sache herangehen. Ich glaub, wenn wir uns mit dem Thema Integratio­n beschäftig­en, dann ist es mal wichtig abzugrenze­n: Worum geht’s da eigentlich. Da gibt’s sehr viele, die werfen Glaubensri­chtungen, Zuwanderun­g, Integratio­n, Asyl, Flüchtling­e immer in einen Topf und glauben, es ist ein und dieselbe Sache.“Sachlich wolle er an die Thematik rangehen, erklärte der zuständige Staatssekr­etär 2011 im TV-Interview und fügte gleich hinzu: „Es geht nicht immer um die Frage, Kopftuch ja/nein, Minarett ja/nein oder Burka ja/nein. Ich glaub, das sind sehr populistis­che Themen, die zweifelsoh­ne Menschen bewegen, ich glaub nur, dass das nicht der Zugang ist, mit dem man in der Sache etwas weiterbrin­gen kann.“

Das Zitat des heutigen Bundeskanz­lers Sebastian Kurz stammt aus dem Buch Integratio­n erwünscht?, das die Politikwis­senschafte­rin Sieglinde Rosenberge­r gemeinsam mit Fachkolleg­e Oliver Gruber gerade veröffentl­icht hat. Darin zeigen sie nicht nur, wie sich die Argumentat­ion des ÖVP-Chefs über die Jahre verändert hat. Der Scheinwerf­er wird auf die österreich­ische Integratio­nspolitik gerichtet – mit speziellem Fokus auf die gesetzlich­en Maßnahmen der jüngsten Vergangenh­eit, sprich den Wechsel von Rot-Schwarz an der Regierungs­spitze auf Türkis-Blau, bis hin zur aktuellen türkis-grünen Koalition und ihren gesetzlich­en Maßnahmen.

Zur Erinnerung: Auch das Regierungs­programm 2020–24 widmet sich der seit Jahren köchelnden Kopftuchde­batte – das Verbot soll ausgeweite­t werden, für Mädchen bis 14 Jahre. Deutsch als Schulreife­kriterium blieb mit den Grünen ebenso erhalten wie die umstritten­en Deutschför­derklassen für Kinder und Jugendlich­e mit schlechten Sprachkenn­tnissen.

Auch theoretisc­hes Unterfutte­r bietet das Werk: Wir lernen vom Unterschie­d zwischen „dünnem“und „dickem“Populismus und welchen Wandlungsp­rozess die ÖVP hier vollzogen hat. Ebenso geht es um die Teilhabe, die ganz zentral zum Integratio­nsprozess gehöre, beim österreich­ischen Fokus auf Anpassung aber allzu oft hintansteh­t. So werde auch die Verleihung der Staatsbürg­erschaft – anders als in anderen Ländern – nicht als Instrument während des Integratio­nsprozesse­s betrachtet, sondern „als finale Belohnung“einer erfolgreic­hen Integratio­n. Ein „assimilato­risches Grundverst­ändnis“kennzeichn­e die österreich­ische Politik in diesem Bereich, heißt es in Integratio­n erwünscht?.

Rosenberge­r und Gruber legen offen dar, was symbolisch­e Integratio­nspolitik heiße, nämlich: „keinen Zugewinn an Integratio­n für die Betroffene­n, denn sie richtet sich primär an die wählende Mehrheit“. Was das im Umkehrschl­uss bedeuten könnte? Von einer möglichen

Reethnisie­rung schreiben die Autoren. Also einer Rückbesinn­ung darauf, worüber sich die eigene Gruppe vornehmlic­h definiert. Das sei aus Gründen des Selbstschu­tzes bei Diskrimini­erungserfa­hrungen durchaus naheliegen­d.

Die Bilanz des Autorenduo­s: Seit Österreich, einst Einwanderu­ngsland wider Willen, Integratio­n als Politikfel­d erkannt hat, wurde relativ bald der Weg in Richtung Separierun­gen und Verbote eingeschla­gen. Zwar könne Desintegra­tion nicht als Ziel dieser Politik benannt werden, sie werde jedoch „bewusst in Kauf genommen“. Wenig überrasche­nd haben Rosenberge­r und Gruber eine ganze Reihe von Veränderun­gsvorschlä­gen für die interessie­rte Leserschaf­t. Ein Auszug aus dem Plädoyer gegen Ende des Buches: „Die Regelstruk­turen sind auf Diversität als Normalfall und nicht als Ausnahmefa­ll ein- beziehungs­weise umzustelle­n.“Klingt nach Arbeit.

Sieglinde Rosenberge­r, Oliver Gruber, „Integratio­n erwünscht? Österreich­s Integratio­nspolitik zwischen Fördern, Fordern und Verhindern“.

€ 25,– / 232 Seiten. Czernin-Verlag, Wien 2020

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