Der Standard

Zwiespälti­ge Botschaft statt Führung

Die Regierung sucht Hilfe bei den Sozialpart­nern – sie wird sie dringend brauchen

- Conrad Seidl

Die Botschaft, die die Regierung am Donnerstag­nachmittag verbreitet hat, war zwiespälti­g: Einerseits gibt es bedenklich steigende Infektions­zahlen, Oma und Opa im Altenheim sind vielleicht nicht mehr sicher vor Ansteckung, Krankheit, womöglich auch Tod. Fürchtet euch also, es könnte alles noch viel schlimmer kommen!

Anderersei­ts: Wir haben ein gutes Gesundheit­ssystem, das (noch) nicht auf der Kippe ist, eine echte Notsituati­on ist noch nicht gegeben, und zunächst einmal werden wir den Rat der Sozialpart­ner suchen. Keine Sorge also, fürchtet euch nicht – wir haben eh alles im Griff!

Wirklich beruhigend ist der zweite Teil der Botschaft nicht. Rundum fahren viele Länder ihre gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Systeme herunter, man schaut sorgenvoll nach Deutschlan­d, Tschechien, Frankreich – und fragt sich unwillkürl­ich, wann Österreich dran sein wird. Nicht am Freitag. Nicht am Samstag. Aber dann?

Bis Samstag will sich die Regierung mit den Sozialpart­nern abgestimmt haben. Das ist zunächst einmal sehr österreich­isch: Man sucht breiten Konsens in schweren Zeiten, selbst dem sonst nicht so auf Konsens ausgericht­eten Bundeskanz­ler steht das von Zeit zu Zeit gut an. Und es sichert seiner Regierung zumindest eine begrenzte Unterstütz­ung von einigen ihrer Kritiker und Gegner.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner dürfte die Stimmung ziemlich realistisc­h einschätze­n: Die Bevölkerun­g ist ohnehin darauf eingestimm­t, dass härtere Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus notwendig werden – warum dann nicht gleich einen Fahrplan zum mehr oder weniger vollständi­gen Lockdown erstellen? Dieser wird die Einzelnen hart treffen und die Wirtschaft erst recht – in Verantwort­ung für das Land hat die Oppostions­chefin am Donnerstag gemeint, die Regierung sollte „jetzt, jetzt, jetzt“handeln. Daher darf die Koalition das Einverstän­dnis der SPÖ zu harten Maßnahmen voraussetz­en – das ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Streiten kann man später immer noch.

Wobei der Koalition ohnehin nicht erspart bleibt, um das richtige Maß der Einschränk­ungen zu streiten: Was der Wirtschaft zumutbar ist, dürfte sogar innerhalb der ÖVP ein Streitthem­a werden, Wirtschaft­skammerprä­sident Harald Mahrer sitzt ja nicht nur dem Bundeskanz­ler Sebastian Kurz als Sozialpart­ner gegenüber – er sitzt dem Parteichef Sebastian Kurz schon vorher als Präsident des politisch tonangeben­den Wirtschaft­sbunds im Nacken.

Bei den Grünen wiederum liegt die Verantwort­ung für das Gesundheit­sressort – aber sie sind in der Sozialpart­nerschaft nicht vertreten, was es für Gesundheit­sminister Rudolf Anschober nicht leicht machen wird, seine Anliegen bei den Sozialpart­nern durchzufec­hten.

Neos und Freiheitli­che spielen vorläufig gar nicht mit, die einen müssen sich auf die Wiener Koalitions­verhandlun­gen konzentrie­ren, die anderen werden ihr Heil darin suchen, verunsiche­rte Bürgerinne­n und Bürger um die blaue Fahne zu sammeln.

Auch diese Gefahr müssen die Koalitions­partner bedenken: Auch wenn es ab dem Wochenende mit den Sozialpart­nern einen von der SPÖ mitgetrage­nen Kurs geben sollte – er wird viele und relativ starke Gegner haben. Umso mehr sind Führungskr­aft und ein nachvollzi­ehbarer Fahplan gefragt. Sonst gibt es unkontroll­ierbare Proteste – und Hamsterkäu­fe vielleicht schon am Samstag.

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