„Schlechte Verhältnisse sollen wir positiv umdeuten“
Das derzeit beliebte Konzept der Resilienz legt Menschen nahe, ihre Widerstandskraft zu trainieren. Die Soziologin Stefanie Graefe über Schattenseiten dieses Trends, hinter dem auch Entpolitisierung steht.
Wie können wir halbwegs unbeschadet Krisen wie die jetzige überstehen? Wie psychische Belastungen schultern, ohne darunter zu zerbrechen? Inmitten der Corona-, Klima- und Wirtschaftskrise werden diese Fragen oft gestellt, und es werden auch gleich verschiedene Bewältigungstechniken angeboten. Relativ neu in diesem Zusammenhang ist der Begriff der Resilienz. Dahinter steht die Idee, dass Menschen Widerstandskraft trainieren können. Resilienztrainings versprechen „emotionale Stärkung“, „Lösungsorientierung“und lehren Flexibilität. Die Soziologin Stefanie Graefe hat das Phänomen untersucht und sich in ihrem Buch Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit (Transcript-Verlag) der Rolle von Resilienz im Modus der Dauerkrise gewidmet.
Standard: Wie kam der Begriff der Resilienz in die Psychologie?
Graefe: Der Begriff kommt aus der Materialwissenschaft. Es gibt ihn schon seit dem 19. Jahrhundert, und er beschreibt, dass ein Material nach einer Einwirkung von außen in seinen ursprünglichen Zustand zurückkommt, also elastisch ist. Durch die Psychologie bekam der Begriff ab den 1970er-Jahren Aufwind. Eine Psychologin aus den USA, Emmy Werner, hat mit ihrem Team in Hawaii über 40 Jahre Kinder in ihrer Entwicklung beobachtet. Ein Drittel dieser Kinder hatte keine gute Prognose. Sie erlebten Formen der Benachteiligung, Armut und Gewalt in der Familie. Doch ein Drittel dieser Kinder entwickelte sich dennoch gut – gut im Sinne der Normalitätserwartungen in der Gesellschaft. Für diese Kinder hat Werner den Begriff der Resilienz geprägt, so wie er bis heute im psychologischen und populärpsychologischen Diskurs eine große Rolle spielt. Er beschreibt in dieser Bedeutung die Fähigkeit, sich trotz schlechter Rahmenbedingungen gut zu entwickeln und sich davon nicht unterkriegen zu lassen.
Standard: Sie analysieren Resilienz im Zusammenhang mit dem Begriff „Krisenkapitalismus“. Was bedeutet das?
Graefe: Krise und Kapitalismus gehörten immer schon zusammen. Im Kapitalismus kommt es regelmäßig zu Wirtschaftskrisen, die dann immer auch Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben. Aber der Kapitalismus hat eine bemerkenswerte Fähigkeit, nämlich die, sich durch Krisen hindurch zu erhalten und sie zu nutzen, um sich zu transformieren. Die aktuelle Situation ist in mehrfacher Hinsicht krisenförmig. Grundlegende Sicherheiten stehen infrage. Das Versprechen des Nachkriegskapitalismus im Globalen Norden ist schon seit Jahren für viele nicht mehr glaubwürdig: dass es stetiges Wachstum gibt, dass es die nächste Generation immer besser haben wird als die Elterngeneration. Hinzu kommen jetzt noch die Corona-Krise, die Klimakrise und eine generell unsicherere Weltlage. Resilienz ist eine Antwort auf diese umfassende Krisensituation. Resilienz verspricht ein besseres Durchkommen durch die Krise – nicht eine Veränderung der Verhältnisse.
Standard: Resilienzkonzepte schlagen demnach also vor, sich bezüglich sozialer und ökonomischer Umstände geschlagen zu geben?
Graefe: Resilienz ist die Kunst der Anpassung. Das hat auch mit der Geschichte des Resilienzkonzepts zu tun. Die Psychologie ist nur eine Seite des Resilienzkonzepts. Eine andere Quelle ist die Ökosystemtheorie aus den 1970erJahren. Hier ging es nicht um Menschen, sondern etwa um Ökosysteme, also zum Beispiel Regenwälder. Man stellte fest, dass diese über eine erstaunliche Fähigkeit zur Erholung verfügen, etwa nach Naturkatastrophen. Das ist ein zyklischer Prozess, auf die Krise folgt die Anpassung und schließlich die Erneuerung. Im Kontext der ökologischen Theorie ist das eine sinnvolle Annahme. Wir erleben jetzt aber, dass diese Annahme auf menschliche Gesellschaften und Probleme angewandt wird. Es wird gesagt, dass krisenförmige Rahmenbedingungen nicht veränderbar sind, aber wir können lernen, besser damit umzugehen. Auch die zahlreichen Ratgeber zur Resilienz vermitteln diese Botschaft: Man muss akzeptieren, dass man das allermeiste in seinem Leben nicht ändern kann. Aber man kann versuchen, das Beste daraus zu machen. Diese Botschaft verbindet sich mit den Annahmen der Positiven Psychologie, die schon etwas länger en vogue sind.
Standard: Inwiefern?
Graefe: Die Positive Psychologie sagt: Konzentriere dich auf das Positive in deinem Leben und bleibe optimistisch. Resilienz geht noch weiter und sagt, dass auch das Negative zum Leben dazugehört – und positiv genutzt werden kann. Wenn man in schlechten Arbeitsverhältnissen arbeitet, soll man versuchen, diese so umzudeuten, dass sie zu einer persönlichen Herausforderung werden. Aber man soll sich von der Illusion befreien, die schlechten Verhältnisse ändern zu können.
Standard: Es ist also ein stark entpolitisierendes Konzept?
Graefe: Ja. Interessanterweise ist es zugleich ein politisches Konzept. Organisationen wie die EU, die WHO oder die Weltbank haben in den letzten Jahren Resilienzstrategien entwickelt. Teilweise natürlich, weil es auch ein Modebegriff ist. Doch die Kernbotschaft ist auch hier, dass selbst eine globale politische Organisation am krisenförmigen Zustand der Welt nicht grundsätzlich etwas ändern kann. In der EU beispielsweise werden Austeritätsprogramme mit dem Verweis auf die Resilienz der Volkswirtschaften gerechtfertigt. Resilienz ist also nicht nur ein psychologischer Begriff, sondern die Grundidee der Anpassung und Krisenfestigkeit als oberstes Handlungsziel gibt es auch auf politischer Ebene.
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