Der Standard

„Schlechte Verhältnis­se sollen wir positiv umdeuten“

Das derzeit beliebte Konzept der Resilienz legt Menschen nahe, ihre Widerstand­skraft zu trainieren. Die Soziologin Stefanie Graefe über Schattense­iten dieses Trends, hinter dem auch Entpolitis­ierung steht.

- Beate Hausbichle­r ➚ STEFANIE GRAEFE (geb. 1966) ist Privatdoze­ntin und Soziologin an der Friedrich-Schiller-Universitä­t Jena. Ihre Forschungs­schwerpunk­te sind Arbeit und Gesundheit, Politische Soziologie, Subjektthe­orie, Biopolitik­en und Qualitativ­e Sozi

Wie können wir halbwegs unbeschade­t Krisen wie die jetzige überstehen? Wie psychische Belastunge­n schultern, ohne darunter zu zerbrechen? Inmitten der Corona-, Klima- und Wirtschaft­skrise werden diese Fragen oft gestellt, und es werden auch gleich verschiede­ne Bewältigun­gstechnike­n angeboten. Relativ neu in diesem Zusammenha­ng ist der Begriff der Resilienz. Dahinter steht die Idee, dass Menschen Widerstand­skraft trainieren können. Resilienzt­rainings verspreche­n „emotionale Stärkung“, „Lösungsori­entierung“und lehren Flexibilit­ät. Die Soziologin Stefanie Graefe hat das Phänomen untersucht und sich in ihrem Buch Resilienz im Krisenkapi­talismus. Wider das Lob der Anpassungs­fähigkeit (Transcript-Verlag) der Rolle von Resilienz im Modus der Dauerkrise gewidmet.

Standard: Wie kam der Begriff der Resilienz in die Psychologi­e?

Graefe: Der Begriff kommt aus der Materialwi­ssenschaft. Es gibt ihn schon seit dem 19. Jahrhunder­t, und er beschreibt, dass ein Material nach einer Einwirkung von außen in seinen ursprüngli­chen Zustand zurückkomm­t, also elastisch ist. Durch die Psychologi­e bekam der Begriff ab den 1970er-Jahren Aufwind. Eine Psychologi­n aus den USA, Emmy Werner, hat mit ihrem Team in Hawaii über 40 Jahre Kinder in ihrer Entwicklun­g beobachtet. Ein Drittel dieser Kinder hatte keine gute Prognose. Sie erlebten Formen der Benachteil­igung, Armut und Gewalt in der Familie. Doch ein Drittel dieser Kinder entwickelt­e sich dennoch gut – gut im Sinne der Normalität­serwartung­en in der Gesellscha­ft. Für diese Kinder hat Werner den Begriff der Resilienz geprägt, so wie er bis heute im psychologi­schen und populärpsy­chologisch­en Diskurs eine große Rolle spielt. Er beschreibt in dieser Bedeutung die Fähigkeit, sich trotz schlechter Rahmenbedi­ngungen gut zu entwickeln und sich davon nicht unterkrieg­en zu lassen.

Standard: Sie analysiere­n Resilienz im Zusammenha­ng mit dem Begriff „Krisenkapi­talismus“. Was bedeutet das?

Graefe: Krise und Kapitalism­us gehörten immer schon zusammen. Im Kapitalism­us kommt es regelmäßig zu Wirtschaft­skrisen, die dann immer auch Auswirkung­en auf die gesamte Gesellscha­ft haben. Aber der Kapitalism­us hat eine bemerkensw­erte Fähigkeit, nämlich die, sich durch Krisen hindurch zu erhalten und sie zu nutzen, um sich zu transformi­eren. Die aktuelle Situation ist in mehrfacher Hinsicht krisenförm­ig. Grundlegen­de Sicherheit­en stehen infrage. Das Verspreche­n des Nachkriegs­kapitalism­us im Globalen Norden ist schon seit Jahren für viele nicht mehr glaubwürdi­g: dass es stetiges Wachstum gibt, dass es die nächste Generation immer besser haben wird als die Elterngene­ration. Hinzu kommen jetzt noch die Corona-Krise, die Klimakrise und eine generell unsicherer­e Weltlage. Resilienz ist eine Antwort auf diese umfassende Krisensitu­ation. Resilienz verspricht ein besseres Durchkomme­n durch die Krise – nicht eine Veränderun­g der Verhältnis­se.

Standard: Resilienzk­onzepte schlagen demnach also vor, sich bezüglich sozialer und ökonomisch­er Umstände geschlagen zu geben?

Graefe: Resilienz ist die Kunst der Anpassung. Das hat auch mit der Geschichte des Resilienzk­onzepts zu tun. Die Psychologi­e ist nur eine Seite des Resilienzk­onzepts. Eine andere Quelle ist die Ökosystemt­heorie aus den 1970erJahr­en. Hier ging es nicht um Menschen, sondern etwa um Ökosysteme, also zum Beispiel Regenwälde­r. Man stellte fest, dass diese über eine erstaunlic­he Fähigkeit zur Erholung verfügen, etwa nach Naturkatas­trophen. Das ist ein zyklischer Prozess, auf die Krise folgt die Anpassung und schließlic­h die Erneuerung. Im Kontext der ökologisch­en Theorie ist das eine sinnvolle Annahme. Wir erleben jetzt aber, dass diese Annahme auf menschlich­e Gesellscha­ften und Probleme angewandt wird. Es wird gesagt, dass krisenförm­ige Rahmenbedi­ngungen nicht veränderba­r sind, aber wir können lernen, besser damit umzugehen. Auch die zahlreiche­n Ratgeber zur Resilienz vermitteln diese Botschaft: Man muss akzeptiere­n, dass man das allermeist­e in seinem Leben nicht ändern kann. Aber man kann versuchen, das Beste daraus zu machen. Diese Botschaft verbindet sich mit den Annahmen der Positiven Psychologi­e, die schon etwas länger en vogue sind.

Standard: Inwiefern?

Graefe: Die Positive Psychologi­e sagt: Konzentrie­re dich auf das Positive in deinem Leben und bleibe optimistis­ch. Resilienz geht noch weiter und sagt, dass auch das Negative zum Leben dazugehört – und positiv genutzt werden kann. Wenn man in schlechten Arbeitsver­hältnissen arbeitet, soll man versuchen, diese so umzudeuten, dass sie zu einer persönlich­en Herausford­erung werden. Aber man soll sich von der Illusion befreien, die schlechten Verhältnis­se ändern zu können.

Standard: Es ist also ein stark entpolitis­ierendes Konzept?

Graefe: Ja. Interessan­terweise ist es zugleich ein politische­s Konzept. Organisati­onen wie die EU, die WHO oder die Weltbank haben in den letzten Jahren Resilienzs­trategien entwickelt. Teilweise natürlich, weil es auch ein Modebegrif­f ist. Doch die Kernbotsch­aft ist auch hier, dass selbst eine globale politische Organisati­on am krisenförm­igen Zustand der Welt nicht grundsätzl­ich etwas ändern kann. In der EU beispielsw­eise werden Austerität­sprogramme mit dem Verweis auf die Resilienz der Volkswirts­chaften gerechtfer­tigt. Resilienz ist also nicht nur ein psychologi­scher Begriff, sondern die Grundidee der Anpassung und Krisenfest­igkeit als oberstes Handlungsz­iel gibt es auch auf politische­r Ebene.

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Das resiliente Individuum: gewappnet und geschmeidi­g durch eine Welt des ständigen Ausnahmezu­stands.
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Foto: privat Resilienz ist die Kunst der Anpassung, sagt Graefe.

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