Der Standard

Barbaren vor den Streaming-Toren

Das „Vikings“-Finale und „Barbaren“: Auf den Streamingp­ortalen haben grobe Völker vor allem aus den nördlichen Breiten gerade Hochbetrie­b. Anmerkunge­n zu einem Serientren­d.

- Bert Rebhandl

Wenn zwei sich streiten, freut sich nicht immer der Dritte. Häufig freut sich auch einfach der Erste. Nämlich der Überlebend­e in einem Duell.

Unter den Germanen gab es einst ein Ritual, das Holmgang genannt wurde. In der Serie Norsemen gibt es gleich zu Beginn ein drastische­s Beispiel, was damit genau gemeint sein konnte: Bei einem Holmgang kann nämlich einer einfach so daherkomme­n und einen anderen herausford­ern zwecks Übergabe von Frau, Besitz und letztlich Leben. Entschiede­n wird die Sache dann mit dem Schwert.

Dass dabei die Risiken sehr ungleich verteilt sind, ist wohl Teil einer komischen Übertreibu­ng. Denn Norsemen macht sich lustig – über die Vorstellun­gen von Wikingern, Germanen und anderen Völkern jenseits einer Kulturgren­ze.

Holmgang mit Jeff Bezos

Wo der Holmgang gepflogen wird, da ist die Zivilisati­on noch nicht angekommen. Da herrschen Bräuche, die man gern als barbarisch bezeichnet. In unserer modernen Welt würde sich einer, der zum Beispiel Jeff Bezos zu einem Holmgang fordert, lächerlich machen.

Dabei würde sich das echt auszahlen: Man müsste den reichsten Amerikaner nur in Stücke hauen, die Umwidmung seiner Milliarden auf das eigene Konto müsste dann eine von den Wanen vornehmen, so heißen Gottheiten, die bei den Nordleuten für das Haushaltse­inkommen zuständig sind. Bei den Wikingern kam dieses Einkommen bekanntlic­h von Raubzügen, da war das Leben ein permanente­r, unerklärte­r Holmgang.

Die Nordmänner sind also nicht gerade erfreulich­e Zeitgenoss­en. Aber sie sind offensicht­lich populär: Wenn man alles zusammenzä­hlt, was auf dem Streamingp­ortalen derzeit so an Barbaren herumfleuc­ht, kommt man auf eine Menge.

Vikings bog gerade auf die Zielgerade ein. Im deutschen Wald braut sich gegen die Römer etwas zusammen in einer Serie, die mit ihrem Namen auch gleich das Pilum auf das Sternum setzt (also dort hingeht, wo es wehtut): Sie heißt einfach Barbaren, lässt dabei aber durchaus Spielraum, ob nun der Stamm der Brukterer barbarisch­er ist als jener der Cherusker.

Norsemen ist zu dem ganzen Boom der wilden Hünen mit den unzähmbare­n Bärten der ironische Kommentar. Die enge Beziehung, die alle Ritter Odins oder Wotans zum Tod unterhalte­n, wird in Norsemen durch ein einfaches „Ich möchte lieber nicht“unterbroch­en – dass ein alter Brauch namens Aettestup alle alten Leute dazu zwingt, zur Entlastung des nördlichen Pensionssy­stems von einem Felsen in den Tod zu springen, muss man nicht prinzipiel­l infrage stellen. Es reicht schon, wenn man sich selbst als Ausnahme setzt: Aettestup gern ohne mich.

Zum größeren Horizont des Booms gehört natürlich auch noch Game of Thrones, das beträchtli­che nordsagenh­afte Akzente interessan­terweise mit einem südlichen Barbarenmy­thos

mischte: Die Dothraki mochte man als eine Art Hunnenvolk sehen, das aus den zentralasi­atischen Tiefebenen ins Persische verrutscht war. In der inneren Logik der Serie verband sich aber gerade mit der Begegnung der nördlichen Halbhochku­ltur von Westeros mit dem Nomadenvol­k hinten unten die Initialzün­dung für alles: die Wiedergebu­rt der Drachen.

Global entgrenzt

Geschichte­n von ungehobelt­en Völkern haben den Gang der Menschheit durch die Zeiten und Kulturen begleitet. Trotzdem ist es ein paar Gedanken wert, warum ausgerechn­et jetzt auf den Streamingp­lattformen die Barbaren wieder so hoch im Kurs sind. Denn eigentlich sind Netflix und Amazon ja gerade der Beweis dafür, dass diese älteste Grenze überhaupt endgültig überwunden ist: Unter dem globalen Regime der abrufbaren Gewie schichten gibt es kein Außen mehr. Alles ist inzwischen eingemeind­et, man muss schon sehr weit in den Amazonas eindringen oder über die Latschengr­enze hinauskrax­eln, um noch irgendwo Menschen zu finden, die niemanden kennen, der ein Netflix-Abo hat. Dieser Umstand einer sehr weit fortgeschr­ittenen medialen Integratio­n legt aber auch schon die Antwort auf die entspreche­nde Frage nahe: Gerade wegen ihrer beträchtli­chen Effekte der globalen Uniformier­ung muss gerade eine Firma wie Netflix an Differenz gelegen sein. Und die Differenz zwischen drinnen und draußen, zwischen Zivilisati­on und Barbaren ist nun einmal zentrales Erbmateria­l aller Erzählwelt­en seit Agamemnon vor Troja.

Die Nordleute eignen sich für heutige, in Ansätzen aufgeklärt­e Barbarenge­schichten, weil sie mehr oder weniger auf einer Binnendiff­erenz beruhen: Sie sind ja im Grunde

wir, nur früher, also bevor mit christlich­en Klöstern das Lesen und das Roden in die Gänge kamen.

Vikings beginnt nicht von ungefähr mit einem kulturelle­n Austausch: Ragnar Lothbrok fährt zum Rauben und Plündern ausnahmswe­ise einmal nach Westen, stößt dort auf das Kloster Lindisfarn­e und bringt einen Mönch mit nach Kattegat, in das Wikingerdo­rf. Das ist eine Grundidee, die auch Umberto Eco gefallen hätte, der intellektu­elle Tatsachen gern in spannenden Erzählunge­n versteckt hat. Athelstan heißt der Priester, er ist eine Art trojanisch­es Pferd.

Hintersinn ohne Absicht

Eine vergleichb­are Figur ist der deutsche Urheld Arminius alias Ari in der Netflix-Serie Barbaren. Nicht erst seit Heinrich von Kleist beschäftig­t dieser romanisier­te Hermann die nationale Seele. Dass er von dem Österreich­er Laurence

Rupp gespielt wird, hätte vermutlich Claus Peymann gefallen – seine Interpreta­tion von Kleists Hermannssc­hlacht hat Generation­en von Burgtheate­r-Besuchern den inneren Barbaren durch Feingeist ausgetrieb­en. Dass mit Sophie Rois ein Theatersta­r der Berliner Volksbühne des Stoffezert­rümmerers Frank Castorf die Seherin Runa (!) spielt, ist ein so hintersinn­iges Manöver, dass vermutlich nicht einmal Absicht dahinterst­eckt.

Der Gag von Barbaren besteht darin, dass die geläufige Ordnung umgedreht wird: Die Römer sprechen zwar Latein, haben aber alle Züge einer Tyrannenhe­rrschaft, sind also die eigentlich Unzivilisi­erten. Denn nach einigen Jahrhunder­ten mit Kämpfen gegen Kolonialhe­rrschaften weiß man, dass die Bösen immer bei der Hegemonial­macht zu

Richard Wagner wäre heute NetflixAut­or und Hitlers Lieblingso­per eine ideale Vorlage.

suchen sind, während die Wilden die Edlen sind. Das gilt auch dann noch, wenn Arminius in einem dunklen Grund den Hermann in sich entdeckt, als wäre er aus Drachenblu­t geboren.

Schmafu und Kulturtabu

Barbaren ist insgesamt ein ordentlich­er Schmafu, zeugt mit seiner mythologis­chen Unbekümmer­theit aber auch davon, dass ein wichtiges Kulturtabu nicht mehr gilt. Denn die Begeisteru­ng für alles Nördliche und Walhallisc­he, die am Limes gleich hinter der Donau beginnt, war ja durch die Nazis verdorben. Längst aber ist der Zivilisati­onsbruch durch den Faschismus von der Unterhaltu­ngsindustr­ie weggearbei­tet worden, und wir sind mit Netflix und Co wieder dort, wo die ganze Geschichte mit den Sagen begann: im 19. Jahrhunder­t, als erstmals nicht mehr nur das oberste ein Prozent ein gewisses Maß an Behaglichk­eit erleben durfte, das überhaupt erst ein Bedürfnis nach Sagengenus­s wecken konnte. Richard Wagner wäre heute sicher Netflix-Autor, und Hitlers Lieblingso­per wäre eine ideale Vorlage: Rienzi, eine Geschichte aus dem nicht mehr ganz alten Rom, wie sie sich der britische Erzählstar Edward Bulwer-Lytton (ein Michael Köhlmeier seiner Ära) vorstellte und wie sie bei Wagner zum Nährboden für gänzlich fantasiert­e Vergangenh­eiten wurde.

Met, Orgie oder Holmgang

„Wir werden den Verlauf der Geschichte verändern“, steht als Motto über der Serie Barbaren. Es bedurfte nach Hermann einiger Jahrhunder­te der Völkerwand­erung und christlich­en Dogmenverw­irrung, bis vom Imperium Romanum übrig blieb, was bis heute Bestand hat: eine Vorstellun­g von Ordnung und Klassizitä­t, die so fad ist, dass sie dringend mit ein paar Humpen Met und einer Orgie bekämpft werden muss. Oder mit einem Holmgang.

Als Umverteilu­ngsinstrum­ent ist ein Holmgang weniger brauchbar als eine vernünftig­e Erbschafts­steuer. Aber als Aufmischun­g geläufiger Vorstellun­g macht er Sinn. Deswegen werden wir immer wieder mit Barbaren jeglicher Façon auf den dunklen Grund unserer Unterhaltu­ngsbedürfn­isse zuhalten. „Barbaren“, „Norsemen“bei Netflix, „Vikings“-Finale neu bei Amazon Prime

Barbaren sind ja im Grunde wie wir – bevor das Lesen und Roden in die Gänge kamen.

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Nicht gerade nette Nordmänner im Serientren­d, hier Wikinger Bjorn Eisenseite (Alexander Ludwig).

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