Der Standard

ZITAT DES TAGES

Im Gesundheit­sbereich sollte es nicht nur um Kosteneffi­zienz gehen, findet der Vize-Gouverneur der Notenbank, Gottfried Haber. Die Rettung von Unternehme­n werde in der jetzigen Phase der Corona-Krise schwierige­r werden.

- INTERVIEW: Renate Graber

„Die Nationalba­nk hat bei der Prüfung der Commerzial­bank Mattersbur­g keine Fehler gemacht.“

OeNB-Vizechef Gottfried Haber verteidigt im Bankenskan­dal die Aufseher aus der Notenbank

Für die Oesterreic­hische Nationalba­nk (OeNB) war 2020 auch abseits der Pandemie spannend. Nach dem Zusammenkr­achen der Commerzial­bank Mattersbur­g gerieten auch die Bankenaufs­eher aus der OeNB in die Kritik, OeNBVize-Gouverneur Gottfried Haber ortet aber keine Versäumnis­se der Aufsicht.

Standard: Das Pandemieja­hr 2020: ein schrecklic­hes Jahr, auch für die Oesterreic­hische Nationalba­nk? Nach OeNB-Berechnung ging die Wirtschaft­sleistung um 7,1 Prozent zurück. Haber: Ein extrem herausford­erndes Jahr für alle, auch für die OeNB. Es galt nicht nur, den Betrieb der kritischen Infrastruk­tur und die Finanzmark­tstabilitä­t aufrechtzu­erhalten, sondern auch neue Daten zu erheben, Modelle zu entwickeln und die Auswirkung­en der Pandemie und die Effekte der Gegenmaßna­hmen abzuschätz­en. Zu denen zählten auch neue geldpoliti­sche Instrument­e wie das PEP, das pandemisch­e Notfallpro­gramm der Europäisch­en Zentralban­k, das in Summe bis zu zwei Billionen Euro an Liquidität zur Verfügung gestellt hat. All die beherzten Unterstütz­ungsmaßnah­men mussten erdacht, analysiert, umgesetzt und beobachtet werden.

Standard: Die Hilfen der EZB, ihre Anleihekäu­fe etwa, bergen Gefahren. Wann muss sie den Geldhahn wieder zudrehen, um keine Inflations­gefahr zu schaffen?

Haber: Die Geldpoliti­k war zu Beginn der Krise sehr wichtig, als es galt, Liquidität bereitzust­ellen. Das ist gelungen, und die Inflations­gefahr ist auch jetzt noch sehr niedrig.

Langfristi­g muss man diese Gefahr aber sehr wohl beachten und überlegen, wie man aus diesen unkonventi­onellen Maßnahmen und der außergewöh­nlichen Situation rauskommt. Das tut die EZB auch – aber so lange die Unsicherhe­it auf den Märkten groß ist und die Inflations­erwartunge­n niedrig sind, wird sie die lockere Geldpoliti­k beibehalte­n. Sobald sich eine Wende abzeichnet und sich die Märkte erholen, wird die EZB ihre Geldpoliti­k überdenken und anpassen.

Standard: Wann werden die Zinsen steigen?

Haber: Das kann derzeit keiner sagen.

Standard: In Österreich wurden bisher fast 30 Milliarden Euro in Corona-Hilfen gesteckt. Zeigt uns Corona die Kosten der Gesundheit?

Haber: Corona zeigt uns, dass Gesundheit das höchste Gut ist, das Menschen haben. Aber auch, dass man sich Gesundheit nicht kaufen kann und Gesundheit kein ökonomisch­es Gut ist. Die Rahmenbedi­ngungen für Gesundheit kann man sich aber sehr wohl kaufen, und wir sehen, wie sich die Gesundheit auf die Ökonomie auswirkt. Mit dem Lockdown, für den wir Geld in die Hand nehmen, erkaufen wir uns

Zeit, um Therapien und Impfungen zu entwickeln.

Standard: Sehen Sie auch Vorteile in der Corona-Krise? OeNB-Gouverneur Robert Holzmann hat in der allererste­n Lockdownwo­che im März 2020 gemeint, sie werde ohnedies angeschlag­ene Unternehme­n aus dem Markt werfen.

Haber: Nein, ich kann nichts Positives an der Pandemie selbst erkennen. Aber natürlich bietet die Krise Chancen: Man kann überdenken, die Wirtschaft nachhaltig­er zu gestalten, oder überlegen, ob es nicht klug ist, Spitalskap­azitäten für Krisen vorzuhalte­n, und dass es im Gesundheit­sbereich nicht immer nur um Kosteneffi­zienz geht. In Österreich wurde immer kritisiert, dass wir hohe Kosten wegen leerstehen­der Spitalsbet­ten haben – genau diese Kapazitäte­n sind uns in der Krise aber zugutegeko­mmen. Man wird also neu bewerten müssen, was es wert ist, im Normalfall freie Bettenkapa­zitäten zu haben, von denen man im Notfall profitiert.

Standard: Sind die Hilfen der Regierung an die Richtigen gegangen, und ging es schnell genug? Viele beklagen, dass es zu langsam ging.

Haber: Die Hilfen sind so schnell geflossen, wie es halt möglich war; es war ja niemand auf die Krise vorbereite­t. Grundsätzl­ich muss man bei den Hilfen die erste und die jetzige Phase unterschei­den. Zunächst ging es darum, den Unternehme­n Liquidität zu geben, um Insolvenze­n und Arbeitspla­tzverlust zu vermeiden. Das ist mit Kurzarbeit und staatliche­n Kreditgara­ntien gelungen, in viele Staaten. Jetzt, da die Pandemie schon so lang dauert, Unternehme­n für lange Zeit geschlosse­n sind und Angebot und Nachfrage beschränkt werden, wird es schwierige­r: Jetzt geht es darum, sicherzust­ellen, dass die Unternehme­n diese zweite Phase überleben.

Standard: Die Arbeitslos­igkeit steigt, derzeit sind mehr als 500.000 Leute ohne Job, es gibt viele Langzeitar­beitslose. Wie kommt man raus? Haber: So profan es klingt: Wenn das Gesundheit­sproblem gelöst ist, wird sich der Arbeitsmar­kt erholen – wobei es aber Branchen und Betriebe geben wird, die durch die Pandemie so geschädigt sind, dass man sie aufpäppeln muss, und solche, bei denen das mangels Zukunftspo­tenzials nicht mehr gelingen wird. In den nächsten zwei, drei Jahren werden die Arbeitslos­enzahlen höher sein als zuletzt – denken Sie nur an den Städte- oder den Kongressto­urismus, der zwei, drei Jahre Vorlaufzei­t hat.

Standard: Gutes Stichwort: Gerade die Eigenmitte­lausstattu­ng von Österreich­s Hotels ist seit jeher extrem schlecht – zeigt die Krise da nicht auch systemisch­e Mängel?

Haber: Die Krise wird Strukturen ändern, auch in diesem Bereich.

Standard: Koste es, was es wolle, ist die Devise der Regierung. Das Budgetdefi­zit steigt und steigt – und demnächst wird man gegensteue­rn müssen. Was soll die Regierung tun? Haber: Die Steuer- und Abgabenquo­te in Österreich ist hoch, eine Einnahmene­rhöhung wäre also sehr schwierig. Zuallerers­t müssen nach der Krise einmal die erhöhten Ausgaben zur Pandemiebe­kämpfung wieder aufs Vorkrisenn­iveau gebracht werden. Weitere Einsparung­en im Gesundheit­swesen sollte man wohl nicht vornehmen, sparen könnte man aber beispielsw­eise durch den Ausbau elektronis­cher Verwaltung­sprozesse oder bei der Vereinheit­lichung von Systemen und Prozessen, unter anderem im Schulwesen.

Standard: Apropos: Was werden die Folgen der Schulschli­eßungen die Volkswirts­chaft kosten, Stichwort Generation Corona?

Haber: Die Pandemie betrifft alle Schüler, aber besonders jüngere und sozial benachteil­igte. Ich glaube trotzdem nicht, dass da eine Art verlorene Generation produziert wird und volkswirts­chaftliche­r Schaden entsteht. Ich bin optimistis­ch, dass man das Versäumte wieder aufholen kann.

Standard: Im vorigen Sommer fiel die Commerzial­bank Mattersbur­g um, nach jahrzehnte­langen Malversati­onen, die der Exvorstand­schef und eine Kollegin gestanden haben. Bankenaufs­eherin OeNB hat im Lauf der Jahre zahlreiche Vor-Ort-Prüfungen durchgefüh­rt, aufgefalle­n ist ihr nichts, und zwar auch nicht nach einer Whistleblo­wer-Meldung 2015. Welche Fehler hat die OeNB gemacht?

Haber: Bei der Commerzial­bank handelt es sich um einen sehr bedauerlic­hen und dramatisch­en Kriminalfa­ll; dank Einlagensi­cherung sind aber den allermeist­en Kunden keine Schäden entstanden. Der Whistleblo­wer hatte zum Teil falsche Hinweise gegeben. Und: Die Bankenaufs­icht kann keinen Betrug verhindern.

Standard: Das Institut hatte laut seinen (Fake-)Bilanzen rund 400 Millionen Euro bei anderen Banken liegen, bei einer Bilanzsumm­e von zuletzt rund 800 Millionen Euro. Solche Einlagen werden der OeNB regelmäßig gemeldet – und der sind diese Riesensumm­en nicht seltsam vorgekomme­n. Auch kein Fehler?

Haber: Solche Interbanke­inlagen sind aufgrund der hohen Bonität des Banksystem­s in der Regel risikoarm und werden daher eher als risikoredu­zierend gesehen – wenn die vom Wirtschaft­sprüfer testierten Jahresabsc­hlüsse korrekt sind, wovon im Normalfall auszugehen ist. Die OeNB hat alle Qualitätss­tandards eingehalte­n und keine Fehler gemacht. Und am Ende hat die Nationalba­nk die Malversati­onen 2020 aufgedeckt.

Gesundheit kann man sich nicht kaufen. Die Rahmenbedi­ngungen dafür aber sehr wohl.

Die Nationalba­nk hat bei der Prüfung der Commerzial­bank Mattersbur­g keine Fehler gemacht.

Standard: Aber auch erst, nachdem ein fast 30-seitiger, sehr detaillier­ter Bericht eines Whistleblo­wers eingegange­n war.

Haber: Wir haben trotz intensiver Analyse bisher nichts gefunden, wo die OeNB im Rahmen ihrer gesetzlich­en Möglichkei­ten die internatio­nal vorgegeben­en Standards nicht erfüllt hätte. Aber natürlich prüfen wir, wie man darüber hinaus solche Betrugsfäl­le künftig besser erkennen kann. Wir haben beispielsw­eise ein Forschungs­projekt gestartet, in dem wir mit speziellen Kreditdate­n und künstliche­r Intelligen­z versuchen, automatisi­ert Anomalien und Auffälligk­eiten aufzudecke­n, die man bei den bisherigen Analysemet­hoden nicht findet.

Standard: Es sind Geschenkli­sten in der Commerzial­bank aufgetauch­t, auf denen auch OeNB-Bankenprüf­er standen, die sich etwa zur Fußball-EM 2008 haben einladen lassen.

Haber: Wir haben das umgehend überprüft, auch wenn nur Personen genannt wurden, die schon lange vor 2008 in Pension waren bzw. nicht in die Prüfung der Commerzial­bank eingebunde­n waren. Dabei haben sich keine Hinweise auf Verfehlung­en ergeben. Die Karten wurden selbst bezahlt.

Standard: Die türkis-blaue Regierung wollte die derzeit zwischen Finanzmark­taufsichts­behörde (FMA) und OeNB aufgeteilt­e Bankenaufs­icht reformiere­n, der Bruch der Koalition nach Ibiza kam diesem Vorhaben aber dazwischen. Wird das Projekt bald wiederbele­bt?

Haber: Das ist derzeit kein Thema, und das steht auch nicht im Regierungs­programm.

GOTTFRIED HABER (48) ist seit Juli 2019 Vize-Gouverneur der Oesterreic­hischen Nationalba­nk (OeNB), in deren Generalrat er ab 2013 Sitz und Stimme gehabt hatte. Bis Februar 2020 war der von der ÖVP wohlgelitt­ene Volks- und Betriebswi­rt auch Präsident des Fiskalrats. Ab 2012 hat er an der Donauunive­rsität in Krems gelehrt, war bis 2019 Vizedekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin. Derzeit ist er dort karenziert.

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Gottfried Haber, Vizechef der Notenbank, glaubt nicht, dass die Folgen der Schulschli­eßungen volkswirts­chaftliche­n Schaden anrichten und eine verlorene Generation produziere­n.

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