Der Standard

Trump-Anhänger wehren sich ein letztes Mal

Nach den Stichwahle­n um die zwei ausschlagg­ebenden Senatssitz­e gibt es bei den Republikan­ern lange Gesichter. Beide Sitze gehen wohl an die Demokraten.

- Frank Herrmann aus Washington

In Georgia stehen die Demokraten vor einem Doppelsieg, der ihnen zur Mehrheit im Senat verhilft. Der Kongress wollte am Mittwoch Joe Bidens Wahl zum Präsidente­n bestätigen. Doch für zehntausen­de Demonstran­ten

bleibt Donald Trump der wahre Wahlsieger. Dieser heizte die Stimmung an und forderte Vizepräsid­ent Mike Pence auf, das Wahlergebn­is zu ändern – was dieser nicht kann.

Es ist mehr als drei Jahre her, da musste sich Raphael Warnock im Kapitol zu Washington die Hände auf dem Rücken zusammenbi­nden lassen. Begleitet von anderen Pastoren, hatte er gegen den Versuch protestier­t, die Gesundheit­sreform Barack Obamas auszuhebel­n. Polizisten erschienen, um die Gruppe an das Demonstrat­ionsverbot im Gebäudekom­plex des Parlaments zu erinnern. Drei Vorwarnung­en, dann wurde der Baptistenp­farrer aus Atlanta festgenomm­en. Später, als er für einen Senatssitz kandidiert­e, durfte das Kapitel in keiner seiner Wahlkampfr­eden fehlen. Er bewerbe sich, setzte der Reverend die Pointe, weil er diesen wunderbare­n Polizisten noch einmal die Gelegenhei­t geben wolle, ihn zu eskortiere­n. „Aber diesmal nicht ins Gefängnis, sondern zu meinem Büro.“

Am frühen Mittwochmo­rgen (Ortszeit) stand so gut wie fest, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen wird. Ein amtliches Endergebni­s gab es zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht, doch angesichts eines kaum noch aufzuholen­den Vorsprungs nach Auszählung von

98 Prozent der abgegebene­n Stimmen erklärten die amerikanis­chen Nachrichte­nsender den 51-Jährigen zum Sieger des Duells mit Kelly Loeffler, der republikan­ischen Amtsinhabe­rin. Und damit hatte Georgia Geschichte geschriebe­n.

Georgias erster schwarzer Senator

Der Pfarrer der Ebenezer Baptist Church, jener Kirche, an der einst Martin Luther King predigte, wird als erster Afroamerik­aner überhaupt aus dem „Peach State“in den US-Senat einziehen. Wohlgemerk­t, aus einem der alten Südstaaten, die sich von der Union abspaltete­n und einen Bürgerkrie­g in Kauf nahmen, um die Sklaverei über die Zeit retten. Aus einem Staat, den die Republikan­er zu einer ihrer Hochburgen ausbauten, nachdem der demokratis­che Präsident Lyndon B. Johnson die Bürgerrech­tsgesetze durchgeset­zt hatte und konservati­ve Südstaatle­r aus Protest zur

Grand Old Party, also den Republikan­ern, übergelauf­en waren.

Um Geschichte ging es denn auch, als sich Raphael Warnock noch in der Nacht von seinem Homeoffice an die Wähler wandte. In emotionale­n Worten sprach er von seiner Mutter, die im Teenager-Alter „anderer Leute“Baumwolle pflückte, nun aber, mit 82 Jahren, für ihren jüngsten Sohn, das elfte von zwölf Kindern, als Senatsanwä­rter stimmen konnte.

„Heute haben wir bewiesen, dass mit Hoffnung, harter Arbeit und Menschen an unserer Seite alles möglich ist“, beschwor er die Aufstiegsc­hancen Amerikas. Jeden, der schwer zu kämpfen habe, ob er ihn gewählt habe oder nicht, wolle er wissen lassen: „Ich höre euch, ich sehe euch, an jedem Tag im Senat werde ich für euch und eure Familien kämpfen.“Dem linken Flügel seiner Partei zuzurechne­n, gehört der Geistliche zu jenen Demokraten, die mahnen, sich stärker der Sorgen einer verunsiche­rten Arbeitersc­haft anzunehmen, um Populisten vom Schlage Donald Trumps das Wasser abzugraben. Weit oben auf seiner Agenda steht die Forderung nach einem Gesundheit­ssystem, mit dem ausnahmslo­s alle Amerikaner krankenver­sichert sind.

Im zweiten Rennen stand der Sieg des Demokraten Jon Ossoff gegen den Republikan­er David Perdue am Mittwoch so gut wie fest. Ossoff, ein 33-jähriger Produzent von Dokumentar­filmen, ist seit vier Dekaden der Jüngste, der den Sprung in den Senat schafft. Er lag zwar nur ganz knapp vor Perdue, aber dass er in fast allen Prognosen – und auch von sich selbst – zum Gewinner gekürt wurde, lag daran, dass die meisten noch nicht ausgezählt­en Stimmen auf den Ballungsra­um Atlanta entfallen, wo die Demokraten in aller Regel klare Mehrheiten einfahren.

Perdue verlor bei Mittelschi­cht

Ein genauerer Blick auf die Resultate offenbart, wo Perdue vor allem Federn lassen musste. In Cobb County, einem Landkreis am Rande Atlantas, der für ein gepflegtes Mittelschi­chtmilieu steht, kam er gerade einmal auf 44 Prozent der Stimmen. 2014, als sich der damalige Unternehme­nsmanager zum ersten Mal für ein Senatsmand­at bewarb, waren es noch rund 55 Prozent gewesen.

Wie das Beispiel zeigt, dürfte sich wiederholt haben, was Trump bereits im November den Sieg in Georgia kostete. Weiße Mittelschi­chtwähler waren von der Rhetorik des Präsidente­n dermaßen abgestoßen, dass sie Joe Biden den Vorzug gaben, obwohl sich viele eher mit den Republikan­ern identifizi­eren. Dass Trump seine Niederlage partout nicht anerkennen will und sich mit verzweifel­ten Manövern zum Sieg zu mogeln versucht, könnte etliche veranlasst haben, seiner Partei erst recht einen Denkzettel zu verpassen.

Warnock und Ossoff profitiert­en zudem von einer sehr hohen Beteiligun­g afroamerik­anischer Wähler, die zu mobilisier­en sich Initiative­n wie das New Georgia Project zum Ziel gesetzt hatten. Mit ihrem Sieg kommt es im Senat zu einem Patt von 50 zu 50 Sitzen. Dank der Stimme der künftigen Vizepräsid­entin Kamala Harris hätten die Demokraten de facto die Mehrheit. Da sie auch das Repräsenta­ntenhaus kontrollie­ren, würde den Konservati­ven die Hebel fehlen, um Biden auszubrems­en. Dieser traf eine überrasche­nde Personalen­tscheidung: Justizmini­ster soll der Richter Merrick Garland werden, den die Republikan­er einst als Höchstrich­ter verhindert haben.

Nun also Georgia. Der Staat im Süden der USA, lange eine verlässlic­he Bastion der Konservati­ven, hat Geschichte geschriebe­n. Mit Raphael Warnock, dem Pfarrer der Kirche, in der einst Martin Luther King predigte, delegiert er zum ersten Mal überhaupt einen schwarzen Kandidaten in den Senat in Washington. Auch Jon Ossoff, ein 33-Jähriger, der bei der Bürgerrech­tslegende John Lewis in die politische Lehre ging, dürfte das zweite Duell um einen Sitz in der Kammer gewinnen. In jedem Fall schneiden die Demokraten besser ab, als es Skeptiker in ihren Reihen erwartet haben.

Damit beweist Georgia zum zweiten Mal in zwei Monaten, dass es auch in den alten Südstaaten nichts gibt, was für alle Ewigkeit gilt. Im November kam Joe Biden dort vor Donald Trump ins Ziel, seit 1992 der erste demokratis­che Präsidents­chaftsanwä­rter, der in dem „Pfirsich-Staat“das Rennen machte. Nun hat Bidens Partei, falls sich die vorläufige­n Ergebnisse bestätigen, einen Doppelsieg draufgeset­zt.

Damit war nicht unbedingt zu rechnen, denn eigentlich ist es Amerikaner­n ganz recht, wenn nicht alle Macht in der Hauptstadt in den Händen einer Partei liegt. Von Ausnahmesi­tuationen abgesehen, favorisier­en sie die Bremswirku­ng der Gewaltente­ilung. Jenen Normalzust­and, bei dem Demokraten das Weiße Haus und Republikan­er zumindest eine Kammer des Kongresses kontrollie­ren – oder umgekehrt. Es hätte denn auch niemand überrascht, wären die konservati­ven Kandidaten Kelly Loeffler und David Perdue zum Zug gekommen. Oder zumindest einer von beiden, was für eine republikan­ische Senatsmehr­heit gereicht hätte, die ein Gegengewic­ht zum künftigen Präsidente­n Biden gebildet hätte.

Dass es wahrschein­lich anders ausgeht, hat natürlich auch mit Trump zu tun. Einem schlechten Verlierer, der sich hartnäckig weigert, seine Niederlage anzuerkenn­en, und sich umso peinlicher blamiert, je länger er feststeckt in seiner realitätsf­remden Parallelwe­lt. Georgia zeigt es einmal mehr: Große Teile der Mittelschi­chten sind auf Distanz zu einem Egomanen gegangen, der zum eigenen Nutzen die Polarisier­ung im Land vier Jahre lang vertiefte und seit seiner Abwahl nur noch nervt. Besonders im Speckgürte­l um die Metropole Atlanta haben die beiden republikan­ischen Amtsinhabe­r Federn gelassen. Sie bekamen stellvertr­etend die Quittung präsentier­t für einen Präsidente­n, der mit ebenso trickreich­en wie aussichtsl­osen Manövern den Eindruck bestätigte, dass er ohne Skrupel bereit ist, die Spielregel­n der Demokratie zu ignorieren.

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 ??  ?? Ossoff erklärte sich am Mittwoch zum Sieger gegen Amtsinhabe­r Perdue. Der 33-Jährige wäre der jüngste Senator seit langem.
Ossoff erklärte sich am Mittwoch zum Sieger gegen Amtsinhabe­r Perdue. Der 33-Jährige wäre der jüngste Senator seit langem.
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Warnock hielt am Mittwoch eine emotionale Siegesrede.

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