Trump-Anhänger wehren sich ein letztes Mal
Nach den Stichwahlen um die zwei ausschlaggebenden Senatssitze gibt es bei den Republikanern lange Gesichter. Beide Sitze gehen wohl an die Demokraten.
In Georgia stehen die Demokraten vor einem Doppelsieg, der ihnen zur Mehrheit im Senat verhilft. Der Kongress wollte am Mittwoch Joe Bidens Wahl zum Präsidenten bestätigen. Doch für zehntausende Demonstranten
bleibt Donald Trump der wahre Wahlsieger. Dieser heizte die Stimmung an und forderte Vizepräsident Mike Pence auf, das Wahlergebnis zu ändern – was dieser nicht kann.
Es ist mehr als drei Jahre her, da musste sich Raphael Warnock im Kapitol zu Washington die Hände auf dem Rücken zusammenbinden lassen. Begleitet von anderen Pastoren, hatte er gegen den Versuch protestiert, die Gesundheitsreform Barack Obamas auszuhebeln. Polizisten erschienen, um die Gruppe an das Demonstrationsverbot im Gebäudekomplex des Parlaments zu erinnern. Drei Vorwarnungen, dann wurde der Baptistenpfarrer aus Atlanta festgenommen. Später, als er für einen Senatssitz kandidierte, durfte das Kapitel in keiner seiner Wahlkampfreden fehlen. Er bewerbe sich, setzte der Reverend die Pointe, weil er diesen wunderbaren Polizisten noch einmal die Gelegenheit geben wolle, ihn zu eskortieren. „Aber diesmal nicht ins Gefängnis, sondern zu meinem Büro.“
Am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit) stand so gut wie fest, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen wird. Ein amtliches Endergebnis gab es zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht, doch angesichts eines kaum noch aufzuholenden Vorsprungs nach Auszählung von
98 Prozent der abgegebenen Stimmen erklärten die amerikanischen Nachrichtensender den 51-Jährigen zum Sieger des Duells mit Kelly Loeffler, der republikanischen Amtsinhaberin. Und damit hatte Georgia Geschichte geschrieben.
Georgias erster schwarzer Senator
Der Pfarrer der Ebenezer Baptist Church, jener Kirche, an der einst Martin Luther King predigte, wird als erster Afroamerikaner überhaupt aus dem „Peach State“in den US-Senat einziehen. Wohlgemerkt, aus einem der alten Südstaaten, die sich von der Union abspalteten und einen Bürgerkrieg in Kauf nahmen, um die Sklaverei über die Zeit retten. Aus einem Staat, den die Republikaner zu einer ihrer Hochburgen ausbauten, nachdem der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson die Bürgerrechtsgesetze durchgesetzt hatte und konservative Südstaatler aus Protest zur
Grand Old Party, also den Republikanern, übergelaufen waren.
Um Geschichte ging es denn auch, als sich Raphael Warnock noch in der Nacht von seinem Homeoffice an die Wähler wandte. In emotionalen Worten sprach er von seiner Mutter, die im Teenager-Alter „anderer Leute“Baumwolle pflückte, nun aber, mit 82 Jahren, für ihren jüngsten Sohn, das elfte von zwölf Kindern, als Senatsanwärter stimmen konnte.
„Heute haben wir bewiesen, dass mit Hoffnung, harter Arbeit und Menschen an unserer Seite alles möglich ist“, beschwor er die Aufstiegschancen Amerikas. Jeden, der schwer zu kämpfen habe, ob er ihn gewählt habe oder nicht, wolle er wissen lassen: „Ich höre euch, ich sehe euch, an jedem Tag im Senat werde ich für euch und eure Familien kämpfen.“Dem linken Flügel seiner Partei zuzurechnen, gehört der Geistliche zu jenen Demokraten, die mahnen, sich stärker der Sorgen einer verunsicherten Arbeiterschaft anzunehmen, um Populisten vom Schlage Donald Trumps das Wasser abzugraben. Weit oben auf seiner Agenda steht die Forderung nach einem Gesundheitssystem, mit dem ausnahmslos alle Amerikaner krankenversichert sind.
Im zweiten Rennen stand der Sieg des Demokraten Jon Ossoff gegen den Republikaner David Perdue am Mittwoch so gut wie fest. Ossoff, ein 33-jähriger Produzent von Dokumentarfilmen, ist seit vier Dekaden der Jüngste, der den Sprung in den Senat schafft. Er lag zwar nur ganz knapp vor Perdue, aber dass er in fast allen Prognosen – und auch von sich selbst – zum Gewinner gekürt wurde, lag daran, dass die meisten noch nicht ausgezählten Stimmen auf den Ballungsraum Atlanta entfallen, wo die Demokraten in aller Regel klare Mehrheiten einfahren.
Perdue verlor bei Mittelschicht
Ein genauerer Blick auf die Resultate offenbart, wo Perdue vor allem Federn lassen musste. In Cobb County, einem Landkreis am Rande Atlantas, der für ein gepflegtes Mittelschichtmilieu steht, kam er gerade einmal auf 44 Prozent der Stimmen. 2014, als sich der damalige Unternehmensmanager zum ersten Mal für ein Senatsmandat bewarb, waren es noch rund 55 Prozent gewesen.
Wie das Beispiel zeigt, dürfte sich wiederholt haben, was Trump bereits im November den Sieg in Georgia kostete. Weiße Mittelschichtwähler waren von der Rhetorik des Präsidenten dermaßen abgestoßen, dass sie Joe Biden den Vorzug gaben, obwohl sich viele eher mit den Republikanern identifizieren. Dass Trump seine Niederlage partout nicht anerkennen will und sich mit verzweifelten Manövern zum Sieg zu mogeln versucht, könnte etliche veranlasst haben, seiner Partei erst recht einen Denkzettel zu verpassen.
Warnock und Ossoff profitierten zudem von einer sehr hohen Beteiligung afroamerikanischer Wähler, die zu mobilisieren sich Initiativen wie das New Georgia Project zum Ziel gesetzt hatten. Mit ihrem Sieg kommt es im Senat zu einem Patt von 50 zu 50 Sitzen. Dank der Stimme der künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris hätten die Demokraten de facto die Mehrheit. Da sie auch das Repräsentantenhaus kontrollieren, würde den Konservativen die Hebel fehlen, um Biden auszubremsen. Dieser traf eine überraschende Personalentscheidung: Justizminister soll der Richter Merrick Garland werden, den die Republikaner einst als Höchstrichter verhindert haben.
Nun also Georgia. Der Staat im Süden der USA, lange eine verlässliche Bastion der Konservativen, hat Geschichte geschrieben. Mit Raphael Warnock, dem Pfarrer der Kirche, in der einst Martin Luther King predigte, delegiert er zum ersten Mal überhaupt einen schwarzen Kandidaten in den Senat in Washington. Auch Jon Ossoff, ein 33-Jähriger, der bei der Bürgerrechtslegende John Lewis in die politische Lehre ging, dürfte das zweite Duell um einen Sitz in der Kammer gewinnen. In jedem Fall schneiden die Demokraten besser ab, als es Skeptiker in ihren Reihen erwartet haben.
Damit beweist Georgia zum zweiten Mal in zwei Monaten, dass es auch in den alten Südstaaten nichts gibt, was für alle Ewigkeit gilt. Im November kam Joe Biden dort vor Donald Trump ins Ziel, seit 1992 der erste demokratische Präsidentschaftsanwärter, der in dem „Pfirsich-Staat“das Rennen machte. Nun hat Bidens Partei, falls sich die vorläufigen Ergebnisse bestätigen, einen Doppelsieg draufgesetzt.
Damit war nicht unbedingt zu rechnen, denn eigentlich ist es Amerikanern ganz recht, wenn nicht alle Macht in der Hauptstadt in den Händen einer Partei liegt. Von Ausnahmesituationen abgesehen, favorisieren sie die Bremswirkung der Gewaltenteilung. Jenen Normalzustand, bei dem Demokraten das Weiße Haus und Republikaner zumindest eine Kammer des Kongresses kontrollieren – oder umgekehrt. Es hätte denn auch niemand überrascht, wären die konservativen Kandidaten Kelly Loeffler und David Perdue zum Zug gekommen. Oder zumindest einer von beiden, was für eine republikanische Senatsmehrheit gereicht hätte, die ein Gegengewicht zum künftigen Präsidenten Biden gebildet hätte.
Dass es wahrscheinlich anders ausgeht, hat natürlich auch mit Trump zu tun. Einem schlechten Verlierer, der sich hartnäckig weigert, seine Niederlage anzuerkennen, und sich umso peinlicher blamiert, je länger er feststeckt in seiner realitätsfremden Parallelwelt. Georgia zeigt es einmal mehr: Große Teile der Mittelschichten sind auf Distanz zu einem Egomanen gegangen, der zum eigenen Nutzen die Polarisierung im Land vier Jahre lang vertiefte und seit seiner Abwahl nur noch nervt. Besonders im Speckgürtel um die Metropole Atlanta haben die beiden republikanischen Amtsinhaber Federn gelassen. Sie bekamen stellvertretend die Quittung präsentiert für einen Präsidenten, der mit ebenso trickreichen wie aussichtslosen Manövern den Eindruck bestätigte, dass er ohne Skrupel bereit ist, die Spielregeln der Demokratie zu ignorieren.