Der Standard

Brennpunkt­schulen als Hotspots

Ob an den Schulen am 18. Jänner wieder der Präsenzunt­erricht starten wird, ist noch unklar. Ein neues Teilergebn­is der „Gurgelstud­ie“gibt weitere Aufschlüss­e über die Rolle der Kinder im Infektions­geschehen.

- Klaus Taschwer

Heute, Donnerstag, enden in Österreich die Weihnachts­ferien für die Schulen. Mit Ausnahme der Sonderschu­len ist es für die Kinder und Jugendlich­en allerdings keine Rückkehr in die Klassenzim­mer, sondern eine in den Fernunterr­icht. Frühestens am 18. Jänner soll dann der Präsenzunt­erricht wieder für alle 1,13 Millionen Schülerinn­en und Schüler starten.

Über den tatsächlic­hen Termin wird erst entschiede­n. ÖVP-Bildungsmi­nister Heinz Faßmann wird diesen Termin per Verordnung festlegen. In den kommenden Tagen stünden dazu noch politische Verhandlun­gen an, erklärte dazu jüngst Martin Netzer, Generalsek­retär im Bildungsmi­nisterium. Eine wichtige Grundlage für die Entscheidu­ng werden zum einen die Infektions­zahlen sein, die sich nach wie vor auf einem hohen Niveau bewegen.

Zum anderen gilt es aber auch, neue wissenscha­ftliche Evidenzen mitzubeden­ken. Das betrifft nicht zuletzt die britische Virusvaria­nte B.1.1.7, die sich in England überpropor­tional stark bei Kindern ausbreitet­e, womöglich auch deshalb, weil im November die Schulen nicht geschlosse­n hatten. Es gibt aber auch neue österreich­ische Erkenntnis­se zur Frage, welche Rolle den Schulen im Infektions­geschehen zukommt.

Umstritten­e Evidenzen

Diese Rolle ist seit Beginn der Pandemie höchst umstritten. Und obwohl es mittlerwei­le zahlreiche Studien dazu gibt, fehlen nach wie vor eindeutige Aufschlüss­e. Die kann es vermutlich auch nicht geben, da sehr viele verschiede­ne Faktoren eine Rolle spielen – von der Empfänglic­hkeit der Kinder für Infektione­n mit dem neuen Coronaviru­s über die Ansteckung­srisiken in der Schule selbst bis hin zur Frage, wie sehr Kinder und Jugendlich­e das neue Coronaviru­s weitergebe­n.

Eine weltweit ziemlich einzigarti­ge Überblicks­untersuchu­ng zur Rolle von Schulen im Pandemiege­schehen läuft seit September in Österreich: Ein Team von österreich­ischen Forschern um den Mikrobiolo­gen Michael Wagner (Uni Wien) erhebt seit Beginn des Schuljahrs 2020/21 die Häufigkeit aktiver Corona-Infektione­n an Volksschul­en, Mittelschu­len und AHS-Unterstufe­n in ganz Österreich – und zwar sowohl bei Schülern (bis 14 Jahre) als auch bei Lehrern.

Die zweite von insgesamt zehn geplanten Erhebungen lief von 10. bis 16. November, ehe sie vom neuerliche­n Lockdown unterbroch­en wurde. Und diese Ergebnisse liegen nun offiziell vor: Von den 3745 per Zufallssti­chprobe auf Sars-CoV-2 getesteten Schülern und Lehrern lieferten 53 ein positives Testergebn­is ab, wie Michael Wagner erklärt. Das sind 1,44 Prozent (Schwankung­sbreite: 1,06 bis 1,9 Prozent).

Die Gretchenfr­age lautet natürlich: Ist das nun viel oder wenig? Zur Beantwortu­ng dieser Frage hilft der Vergleich mit der ebenfalls vom Bildungsmi­nisterium mitinitiie­rten Prävalenzs­tudie der Statistik Austria mit dem fast identische­n Erhebungsz­eitraum (12. bis 14. November). Diese Untersuchu­ng ermittelte 2,12 Prozent positive Testergebn­isse bei zufällig ausgewählt­en Personen über 16 Jahre.

Laut dem Team, dem Wissenscha­fter der Medizinisc­hen Unis Graz und Innsbruck, der Uni Linz und der Uni Wien angehören, liegen die Ergebnisse in einer sehr ähnlichen Größenordn­ung. Eine darüber hinausgehe­nde Interpreta­tion sei nicht möglich, da die beiden Studien methodisch unterschie­dlich aufgebaut seien.

Laut Wagner „unterschät­ze“die Schulstudi­e die Infektions­zahlen systematis­ch ein wenig, da etwa Personen mit Symptomen, die nicht in die Schule gingen, auch nicht getestet würden. Anderersei­ts unterschät­ze auch die Statistik-Austria-Studie möglicherw­eise die wahre Prävalenz, da vermutlich vor allem gesundheit­sbewusste Personen an dieser Studie teilgenomm­en hätten.

Mit anderen Worten: Das Infek-tionsgesch­ehen in den Schulen scheint sich quantitati­v nur wenig vom Infektions­geschehen außerhalb der Schulen zu unterschei­den. Das zeigten auch weitere Analysen der Daten. So korreliert­en die Zahlen der jeweiligen Schulen positiv mit der Sieben-Tages-Inzidenz der jeweiligen Region, während etwa das Alter der Kinder oder der Pädagogen, deren Geschlecht oder die Schulform keinen Einfluss auf den Anteil Covid-19-Positiver hatte.

Soziale Benachteil­igung

Es gab aber noch zwei weitere Faktoren, die mit der jeweiligen schulische­n Infektions­rate positiv korreliert­en: die Bevölkerun­gsdichte am Schulstand­ort und die soziale Benachteil­igung. Je höher diese war, desto höher war auch die Wahrschein­lichkeit, auf Infektions­fälle in der Schule zu stoßen, wie Koautor Peter Willeit erklärt.

Für Generalsek­retär Netzer ist aufgrund der Studienerg­ebnisse offensicht­lich, dass man sich gerade über sozial benachteil­igte Schul-standorte, die naturgemäß oft in größeren Ballungsrä­umen liegen, im Zusammenha­ng mit der Covid-Kri-se Gedanken machen müsse. Eine seiner Schlussfol­gerungen: „Wir müssen hier mehr Testmöglic­hkeiten schaffen“, idealiter mit den weniger invasiven Gurgeltest­s.

Der nächste Durchlauf der Gur-gelstudie ist ab 18. Jänner geplant – vorausgese­tzt, der Präsenzunt­erricht beginnt dann tatsächlic­h wieder.

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Foto: APA Für die Schulstudi­e werden solche Gurgeltest­s eingesetzt.

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