Der Standard

WHO unerwünsch­t

Eigentlich hätte dieser Tage eine WHO-Kommission nach China einreisen sollen, um den Ursprung des Coronaviru­s zu untersuche­n. China legt sich aber doch wieder quer.

- Philipp Mattheis aus Schanghai

Visa-Probleme also. So lautet die offizielle Begründung Pekings, weshalb die Delegation der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO nun doch nicht nach Wuhan reisen und dort nach dem Ursprung des Virus forschen kann. Eigentlich hätte dieser Tage eine zehnköpfig­e Gruppe von internatio­nalen Experten nach China reisen und nach beendeter Quarantäne ihre Arbeit aufnehmen sollen. Monatelang hatte Peking einer solchen Kommission den Zutritt verwehrt, Ende Dezember dann aber überrasche­nd grünes Licht gegeben.

Es ist ohnehin fraglich, was die internatio­nale Kommission zu sehen bekommen hätte. Über Monate hat sich die Führung in Peking einer solchen Delegation verweigert. Dass die Regierung in Peking keine Erkenntnis­se zulassen wird, die nicht ins offizielle Narrativ passen, ist offensicht­lich. Wuhan als „erstes Opfer“

Die Propaganda­organe arbeiten seit Monaten mit Hochdruck an einer Botschaft: „Das Virus stammt nicht aus China. Wuhan war das erste Opfer der Pandemie, doch China hat die Krise vorbildlic­h gemeistert.“Immer wieder berichten die staatliche­n Zeitungen und Fernsehsen­der von importiert­en Produkten, die angeblich das Virus ins Land getragen haben sollen: Mal ist es Lachs aus Norwegen, dann wieder sind es Soldaten aus den USA, die im Oktober 2019 zu internatio­nalen Militärspi­elen in Wuhan waren. Auch eine deutsche Schweinsha­xe war schon mal ein angebliche­s Corona-Medium.

Dabei ist ziemlich unstrittig, dass das Virus nicht in Wuhan selbst entstanden ist. Verschiede­nste Coronavire­n leben auf Menschen und Tieren, nur sehr wenige Varianten können vom Tier auf den Menschen überspring­en. Wahrschein­lich aber ist, dass das Virus mit einer Fledermaus aus Südchina nach Wuhan gebracht wurde und sich dort über einen Markt ausbreitet­e.

Keine fünf Gehminuten von jenem Huanan-Markt entfernt befindet sich das Wuhan Centre for Infectious Disease Control. In diesem Gebäude forschte die Wissenscha­fterin Shi Zhengli seit Jahren an Coronavire­n und Fledermäus­en. Shi reiste dafür immer wieder nach Yunnan in Südchina, um in Höhlen Proben des Virus zu finden. Infizierte Tiere brachte sie zurück nach Wuhan, um dort an ihnen zu forschen. Anfang des Jahres tauchte deswegen die Theorie auf, das Virus sei versehentl­ich von dem Labor in den nahegelege­nen Markt gelangt. Labormitar­beiter hätten verseuchte Tiere illegal an Händler verkauft. So sei das Virus auf den Menschen übergespru­ngen.

Nicht nur seitens der Regierung in Peking wurde dies schnell als Verschwöru­ngstheorie abgetan. Auch westliche Medien bezeichnet­en dies als reine Spekulatio­n. Tatsächlic­h geht die Theorie über Spekulatio­n nicht hinaus, stichhalti­ge Beweise gibt es nicht. Die Hinweise aber mehren sich, dass die Pandemie genau so ihren Anfang genommen hat.

Die Wissenscha­fterin Shi Zhengli gibt seit April keine Interviews mehr – wie im Übrigen auch alle anderen chinesisch­en Forscher stumm geworden sind. Im Dezember versuchte ein Team der BBC zu den entlegenen Höhlen in der Provinz Yunnan zu gelangen, in denen Shi an Coronavire­n geforscht hatte. In einer nahegelege­nen Kupfermine waren 2012 sechs Arbeiter an einer unbekannte­n Lungenkran­kheit gestorben. Das Fernsehtea­m berichtet von Straßenspe­rren und Verfolgung­sjagden. Zensur der Wissenscha­ft

Die Nachrichte­nagentur AP berichtete jüngst, dass Peking zwar viel Geld für Wissenscha­fter bereitstel­le, die den Ursprung des Coronaviru­s erforschen. Deren Veröffentl­ichungen aber werden genau kontrollie­rt und zensiert, sollten sie nicht ins politische Narrativ passen. Ebenso dürfen sich die Witwe des an Covid-19 verstorben­en Arztes Li Wenliang sowie dessen Eltern nicht öffentlich äußern und leben seit einem Jahr in strenger Überwachun­g. Li war einer der Ersten, die auf das Virus aufmerksam machten.

Auch an den offizielle­n Zahlen der Infektione­n in China mehren sich die Zweifel. Peking meldet seit April täglich zwischen zehn und 30 Neuinfekti­onen. Kürzlich aber erschien eine Studie, wonach 4,43 Prozent der elf Millionen Einwohner Wuhans Antikörper hätten. Das bedeutet, dass die Zahl der tatsächlic­hen Infektione­n wohl wesentlich höher ist.

Chinas Außenminis­terium spielte den jüngsten Vorfall um die WHO-Kommission jedenfalls herunter: „Es geht nicht nur um die Visa“, sagte eine Sprecherin auf einer Pressekonf­erenz. Es sei auch zu Missverstä­ndnissen gekommen, aber es gebe „keinen Grund, die Ereignisse überzuinte­rpretieren“.

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In Wuhan erinnert eine Ausstellun­g an den Kampf gegen den Coronaviru­s-Ausbruch.

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