Der Standard

Leere Worte

Kulturjour­nalismus will klickbar und zugänglich sein, aber gleichzeit­ig intellektu­ell wirken. So verliert er sich nur zu oft in hohlen Phrasen. Dabei wüssten wir es besser.

- Amira Ben Saoud

Phrasendre­schen und unreflekti­erte Begriffsüb­ernahme sind im Kulturjour­nalismus Usus geworden. Wie die Rückkehr zu verständli­chem und für die breite Masse zugänglich­em Kulturjour­nalismus noch gelingen kann.

Wir Kulturjour­nalisten haben nicht den besten Ruf. Kollegen aus anderen Redaktione­n halten uns für Eigenbrötl­er und eitle Gecken, die aus dem Elfenbeint­urm heraus ihre Tagesbefin­dlichkeit als objektives Werturteil verkaufen. Auch Leser werfen uns regelmäßig vor, es als Künstler einfach nicht geschafft zu haben, weswegen wir aus verletztem Stolz und unsägliche­m Neid nun jene Seelen zu Tode rezensiere­n, die sich erdreistet haben, schöpferis­ch tätig geworden zu sein.

Ein bisschen mehr Empathie, bitte! Leicht haben wir es nämlich auch nicht. Bevor Medien insgesamt in die Krise gerieten, bevor jedermann und jedefrau online publiziere­n oder zumindest kommentato­risch absenfen konnte, bevor alles online immer verfügbar war, oblag den Kulturjour­nalisten die Deutungsho­heit über das Schöne, Gute und Richtige. Wir filterten, waren Gatekeeper, unser Wissensvor­sprung war Distinktio­nsmerkmal. Heute, da kaum noch jemand an der Hand genommen und durch die schöne Welt der Kultur geführt werden will, stehen wir relativ unbewaffne­t da. Das Einzige, was uns noch geblieben ist, ist die Sprache, der Stil.

Trotzdem dreschen wir Phrasen. Wir alle. Dauernd. Ohne Schuld von uns weisen zu wollen, liegt das bis zu einem gewissen Grad am Stress. Denn – Vorsicht Stehsatz – die Welt ist bei gleichzeit­iger Komplexitä­tssteigeru­ng schneller geworden. Da kann man sich schon einmal zu der einen oder anderen Nullaussag­e hinreißen lassen, oder – fehlen gar noch ein paar Zeichen – eine Textpassag­e mit einer Kette von plastisch-deskriptiv­en, und bunt-schillernd­en, jedenfalls zweiteilig­en Adjektiven in die Länge ziehen. Auch das Gegenteil, nämlich zu wenig Platz zu haben,

sorgt für Wertungen, die scheinbar nicht weiter ausgeführt werden müssen. Mit interessan­t, spannend, schwierig oder,

gerade sehr beliebt, problemati­sch kommt man immer durch.

Im Gegensatz zu einem Trendwort wie unterkompl­ex (nein!!!), das sich in keiner Facette vom Wort simpel unterschei­det, außer dass man Leute, die es verwenden, mit einem nassen Fetzen erschlagen will, übernimmt problemati­sch gleich eine ganze Weltanscha­uung mit. Denn zuletzt hörte man das Vokabel im Zuge der Political-Correctnes­s-Debatte häufiger. Problemati­sch hat sich vom Synonym für kontrovers zu einem Synonym für „not politicall­y correct“entwickelt. Gerade wenn es um aktuelle Diskurse und die damit verbundene­n sprachlich­en Codes geht, sollten wir als Journalist­en hinterfrag­en oder gar problemati­sieren, welche Begrifflic­hkeiten wir übernehmen und welche Agenda wir dabei mitranspor­tieren.

Stress haben aber nicht nur wir, sondern auch die geschätzte­n Leser. Es gibt einfach zu viel Content. Wo reinlesen? Wo draufklick­en? Um möglichst viele Leser abzuholen, wird also gern auf knackige Titel gesetzt, die reinziehen, auf Phrasen mit Zugkraft. So muss Kulturjour­nalismus! Haben wir es geschafft, mit dem gekonnten Positionie­ren von Klickbarke­iten wie Album des Jahres, Künstlerin der Stunde oder

schwer gehypt Leser davon zu überzeugen, auch einen Blick auf den Text zu werfen, dürfen wir sie bloß nicht verlieren. Die Technik der Raffung, also alle wichtigen Informatio­nen in einem atemlosen Staccato an den Anfang eines Artikels zu stellen, nur um dann mit der Phrase des Todes Aber jetzt nochmal von vorne anzuschlie­ßen, hat sich dafür etabliert. Wer das tut, möge sich unter jenen Gfrastsack­ln einreihen, die hinter einen Paragrafen das Wort

Punkt stellen, als wäre das ein Argument.

Es sind aber nicht nur Zeitdruck und das Überangebo­t von Lesestoff, von denen wir uns zur zu Phrasendre­scherei, Stehsatzan­häufung und unreflekti­erter Begriffsüb­ernahme nötigen lassen. Das stetige Anwachsen der Berufsgrup­pe Kuratoren und die dadurch entstanden­e Fülle von Kuratorenp­rosa hat auch der Sprache des Kulturjour­nalismus ganz neue Möglichkei­tsräume eröffnet. Mit einem Fuß im Spannungsf­eld loten wir nun performati­v Genregrenz­en aus, dekliniere­n Phänomene durch und arbeiten uns differenzi­ert an Konzepten ab, was in Anbetracht der Gemengelag­e dieser Narrative nicht unbedingt einfach ist.

Aber irgendwie muss man den Kulturteil ja bespielen. Dabei vergessen wir zu oft, dass es uns obliegt, eine allgemein verständli­che Exegese dieses Geschwurbe­ls zu liefern, ohne dabei zu vereinfach­en oder uns am Boulevard-Sprech zu orientiere­n. Nehmen wir uns an der Phrase: Es mag eine Gratwander­ung sein, aber wir schaffen das! Punkt.

Hier könnte ein „knackiger“Zwischenti­tel stehen, der Sie „abholt“.

Viele Worte, die nichts sagen: Willkommen im Möglichkei­tsraum der Kuratorenp­rosa.

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Illustrati­on: Fatih Aydogdu

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