Leere Worte
Kulturjournalismus will klickbar und zugänglich sein, aber gleichzeitig intellektuell wirken. So verliert er sich nur zu oft in hohlen Phrasen. Dabei wüssten wir es besser.
Phrasendreschen und unreflektierte Begriffsübernahme sind im Kulturjournalismus Usus geworden. Wie die Rückkehr zu verständlichem und für die breite Masse zugänglichem Kulturjournalismus noch gelingen kann.
Wir Kulturjournalisten haben nicht den besten Ruf. Kollegen aus anderen Redaktionen halten uns für Eigenbrötler und eitle Gecken, die aus dem Elfenbeinturm heraus ihre Tagesbefindlichkeit als objektives Werturteil verkaufen. Auch Leser werfen uns regelmäßig vor, es als Künstler einfach nicht geschafft zu haben, weswegen wir aus verletztem Stolz und unsäglichem Neid nun jene Seelen zu Tode rezensieren, die sich erdreistet haben, schöpferisch tätig geworden zu sein.
Ein bisschen mehr Empathie, bitte! Leicht haben wir es nämlich auch nicht. Bevor Medien insgesamt in die Krise gerieten, bevor jedermann und jedefrau online publizieren oder zumindest kommentatorisch absenfen konnte, bevor alles online immer verfügbar war, oblag den Kulturjournalisten die Deutungshoheit über das Schöne, Gute und Richtige. Wir filterten, waren Gatekeeper, unser Wissensvorsprung war Distinktionsmerkmal. Heute, da kaum noch jemand an der Hand genommen und durch die schöne Welt der Kultur geführt werden will, stehen wir relativ unbewaffnet da. Das Einzige, was uns noch geblieben ist, ist die Sprache, der Stil.
Trotzdem dreschen wir Phrasen. Wir alle. Dauernd. Ohne Schuld von uns weisen zu wollen, liegt das bis zu einem gewissen Grad am Stress. Denn – Vorsicht Stehsatz – die Welt ist bei gleichzeitiger Komplexitätssteigerung schneller geworden. Da kann man sich schon einmal zu der einen oder anderen Nullaussage hinreißen lassen, oder – fehlen gar noch ein paar Zeichen – eine Textpassage mit einer Kette von plastisch-deskriptiven, und bunt-schillernden, jedenfalls zweiteiligen Adjektiven in die Länge ziehen. Auch das Gegenteil, nämlich zu wenig Platz zu haben,
sorgt für Wertungen, die scheinbar nicht weiter ausgeführt werden müssen. Mit interessant, spannend, schwierig oder,
gerade sehr beliebt, problematisch kommt man immer durch.
Im Gegensatz zu einem Trendwort wie unterkomplex (nein!!!), das sich in keiner Facette vom Wort simpel unterscheidet, außer dass man Leute, die es verwenden, mit einem nassen Fetzen erschlagen will, übernimmt problematisch gleich eine ganze Weltanschauung mit. Denn zuletzt hörte man das Vokabel im Zuge der Political-Correctness-Debatte häufiger. Problematisch hat sich vom Synonym für kontrovers zu einem Synonym für „not politically correct“entwickelt. Gerade wenn es um aktuelle Diskurse und die damit verbundenen sprachlichen Codes geht, sollten wir als Journalisten hinterfragen oder gar problematisieren, welche Begrifflichkeiten wir übernehmen und welche Agenda wir dabei mitransportieren.
Stress haben aber nicht nur wir, sondern auch die geschätzten Leser. Es gibt einfach zu viel Content. Wo reinlesen? Wo draufklicken? Um möglichst viele Leser abzuholen, wird also gern auf knackige Titel gesetzt, die reinziehen, auf Phrasen mit Zugkraft. So muss Kulturjournalismus! Haben wir es geschafft, mit dem gekonnten Positionieren von Klickbarkeiten wie Album des Jahres, Künstlerin der Stunde oder
schwer gehypt Leser davon zu überzeugen, auch einen Blick auf den Text zu werfen, dürfen wir sie bloß nicht verlieren. Die Technik der Raffung, also alle wichtigen Informationen in einem atemlosen Staccato an den Anfang eines Artikels zu stellen, nur um dann mit der Phrase des Todes Aber jetzt nochmal von vorne anzuschließen, hat sich dafür etabliert. Wer das tut, möge sich unter jenen Gfrastsackln einreihen, die hinter einen Paragrafen das Wort
Punkt stellen, als wäre das ein Argument.
Es sind aber nicht nur Zeitdruck und das Überangebot von Lesestoff, von denen wir uns zur zu Phrasendrescherei, Stehsatzanhäufung und unreflektierter Begriffsübernahme nötigen lassen. Das stetige Anwachsen der Berufsgruppe Kuratoren und die dadurch entstandene Fülle von Kuratorenprosa hat auch der Sprache des Kulturjournalismus ganz neue Möglichkeitsräume eröffnet. Mit einem Fuß im Spannungsfeld loten wir nun performativ Genregrenzen aus, deklinieren Phänomene durch und arbeiten uns differenziert an Konzepten ab, was in Anbetracht der Gemengelage dieser Narrative nicht unbedingt einfach ist.
Aber irgendwie muss man den Kulturteil ja bespielen. Dabei vergessen wir zu oft, dass es uns obliegt, eine allgemein verständliche Exegese dieses Geschwurbels zu liefern, ohne dabei zu vereinfachen oder uns am Boulevard-Sprech zu orientieren. Nehmen wir uns an der Phrase: Es mag eine Gratwanderung sein, aber wir schaffen das! Punkt.
Hier könnte ein „knackiger“Zwischentitel stehen, der Sie „abholt“.
Viele Worte, die nichts sagen: Willkommen im Möglichkeitsraum der Kuratorenprosa.